Ärztepfusch eingestanden

Der Fall des fünfjährigen Phillip Holtz treibt Gutachter seit der Geburt des Jungen um. Erst jetzt räumt die Stadt Bremen ein, dass es Behandlungsfehler bei der Geburt im ZKH Nord gegeben habe. Nun beginnen die Verhandlungen über das Schmerzensgeld

„Menschen ohne Rechtschutz wären vielleicht schon eingeknickt“

taz ■ Fünf Jahre haben die Eltern des kleinen Philipp Holtz darum gekämpft, dass die schwere Behinderung ihres Sohnes als ärztlicher Behandlungsfehler bei der Geburt anerkannt wird. Der Junge kam im November 1996 im ZKH Nord tot zur Welt. Er wurde wiederbelebt. Doch Sauerstoffmangel schädigte sein Gehirn. „Wenn die Ärzte sich richtig um meine Frau gekümmert hätten, wäre das nicht geschehen“, ringt seither Rüdiger Holtz um Schadenersatz und Schmerzensgeld für den Sohn. Doch erst seit vergangenen Donnerstag, als das lokale Fernsehmagazin buten un binnen mit Dreharbeiten über Philipps Fall begann, ist ein Ende der langjährigen Auseinandersetzungen in Sicht.

„Der Versicherer hat jetzt anerkannt, dass ein Schmerzensgeldanspruch zu Recht besteht“, erklärte dazu gestern die Sprecherin der Gesundheitsbehörde, die die Aufsicht über die kommunalen Kliniken führt. Dass diese Wende Zufall ist, kann unterdessen Phillips Vater nicht glauben. Denn just als die Behördenvertreter ihm vergangene Woche eine außergerichtliche Einigung über Schmerzensgeld in Aussicht stellten, hatte auch sein Anwalt zum Angriff geblasen – und von derselben Behörde Namen und Privatadressen der beteiligten Ärzte am ZKH Nord erbeten. Zwecks Zustellung der Klageschrift. Nun werde es vorm Landgericht ernst. Ohne all das, da ist Vater Holtz sicher, müsste er heute noch auf eine Einigung mit der Stadt warten. „An Zufälle glaube ich nicht mehr.“ Die Sprecherin der Gesundheitsbehörde dagegen sagt: „Hier wurde nichts unnötig verzögert.“

Für die Eltern des kleinen Philipp ist das nach dem langwierigen Kampf schwer nachvollziehbar. „Immer wieder hat die Stadt doch die Gutachten angezweifelt“, berichtete gestern der 40-jährige Vater Holtz von dem Verfahren, das sich allein vor der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern in Hannover über drei Jahre hinzog. Zuletzt habe die Stadt im Oktober das Votum der anerkanntermaßen unparteilichen Schlichtungsstelle in Hannover nicht akzeptiert. Deren mit MedizinerInnen und JuristInnen besetzte Schlichtungskommission hatte eine „außergerichtliche Regulierung“ vorgeschlagen, weil ein „geburtshilflicher Fehler“ vorliege. Die Betreuung der Mutter sei „Unterstandard“ gewesen, so das Votum des Gremiums – das vor bundesdeutschen Gerichten in der Regel Bestand hat. Erst als auch der ehemalige Chef der Hamburger Kinderklinik in Eppendorf als letzter und renommierter Gutachter eine „Versorgungsstörung“ während und gegen Ende der Geburt feststellte, erkannte auch die Stadt, dass es einen Zusammenhang zwischen Philipps Behinderung und der Behandlung gebe. In diesem Zusammenhang sei er von einem Behördenvertreter gefragt worden, ob er die für gestern anberaumte Pressekonferenz noch für dienlich halte, erzählt Holtz. Doch der gebeutelte Vater will auch aufklären. „Wer nicht so einen langen Atem hat und vielleicht keine Rechtschutzversicherung, der wäre vielleicht schon eingeknickt.“ Er unterstützt die Forderungen der PatientInnenstelle, dass Bremen unbedingt ein Melderegister für derartige Fälle brauche. „Es geht mir nicht nur um unseren Sohn.“

Für den allerdings wollen Holtz und sein Hamburger Anwalt, Matthias Teichner, nun verhandeln. Es soll um 500.000 Euro Schmerzensgeld und 750.000 Euro Schadenersatz gehen. „Einbuße an Lebensfreude“ will der Anwalt dabei für den geschädigten Jungen geltend machen. Philipp kann nicht laufen, nicht greifen, nicht sprechen und wird mit einer Sonde künstlich ernährt. Über hundert Mal war er seit seiner Geburt wieder im Krankenhaus. Was das für die Eltern nach den Erfahrungen der Mutter bedeutet, kann man nur ahnen: Die Frau war an einem Samstagmorgen in die Klinik gekommen, nachdem grünlich verfärbtes Fruchtwasser abgegangen war. Ein sicheres Zeichen für Probleme. Doch erst am nächsten Sonntag früh ergab ein – „sporadischer“, so der Vater – Besuch der Hebamme, dass die Herztöne des Ungeborenen ausgeblieben waren. Zu spät. ede