„Ich bin geimpft gegen dich“

Aufnahmen auf dem Schulhof. Unverblümte Äußerungen über das Verhältnis zwischen Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft, über den Stellenwert von Religion, Familie und Beziehungen der Geschlechter: „Weil die haben ja nicht so eine Angst, dass sie Jungfrau sind und dann nicht mehr“

von ULRIKE MIGDAL

ERDINC: Bei uns sind zu 95 Prozent Ausländer. Auf dieser Schule wird Deutsch so gut wie nie gesprochen, also nie. Man zwingt die Schüler fast zur Sprache, also ehrlich.

PAUL: Wir kommen uns so vor wie in der Minderheit, weil unsere alte Klasse, da warn wir fünf deutsche Mädchen und Jungs, und wir warn 25 Schüler. Die meisten Ausländer, die provozieren immer. Die denken, sie wärn auffer Schule so was wie der King. Und dann spielen die sich immer auf und machen immer welche an.

PAUL: Die beleidigen uns ja immer mit „Kartoffel“, „Scheißdeutsche“ und so. Die glauben, dass sie die bessere Religion haben, weil die denken, dass ja der islamische Glauben besser is als der christliche Glauben, weil der Allah über alles steht, und dass die sowieso nur Recht haben, und deshalb haben sie auch immer diese Konflikte mit uns.

HASNE: Sind da ein paar Deutsche und Christe und katholisch, ich bin Muslim, und da denken die anderen, dass wir schlimm sind. Beispiel wie meine Klasse, da sind ein paar Muslime drin, aber da sind auch Christe, die uns nich maken, die sagen immer: Ich bin geimpft gegen dich. Dann bekommt man ja nie Freunde, deswegen hass ich Schule.

ÜMÜT: Wann wir uns mit den Deutschen verstehen? Beim Spicken während der Arbeit in der Schule.

PAUL: Wenn man mit ausländischen Leuten, speziell mit Türken, Harmonie haben will, dann muss man sich entweder so anpassen, wie die sind, oder man sucht sich welche, die genau dann auch Harmonie haben wollen. Also, wenn die Türken sind und auch Muslime sind und kaum was mit ihrer Religion am Hut haben, dann kann man auch mit denen Spaß haben und reden. Aber wenn die ganz fest an Allah glauben, dann kann man das knicken.

AHMED: Für mich ist meine Religion besser. Ich bin Moslem von der Geburt. Meine Freundin ist Muslim geworden. Also die Mutter ist nicht Moslem. Also für meine Familie ist das ein Riesenunterschied. Erstens die Familie, und zweitens die hat eine andre Kultur. Für die Liebe würd ich meine Religion nicht aufgeben. Und die, die ich lieben soll, die ich als Frau nehmen soll, soll auf jeden Fall die gleiche Religion haben wie ich.

MILIZA: Wegen der Liebe zu meinem Vater bin ich zum Islam übergetreten. Und wegen der Liebe zu Gott. Ich bin rübergetreten, weil die Moslems, die beten stärker zu Gott. Zum Beispiel die Christen, die gehen einmal in der Woche in die Kirche, die Moslems gehen jeden Tag in die Moschee, und die gehen richtig in die Knie, um zu beten. Das ist ein stärkerer Glaube. Sie tun alles für die Religion. Hier auch dieser Krieg jetz, dieser heilige Krieg, das tun die auch nur für Gott. Sie kämpfen für die Religion, das hat mich sehr beeindruckt.

SAIDA: Ich find die islamische Religion besser als die christliche. Ich find die höher stehend. Wir haben so Sachen, die im Koran stehen,was alles passiern wird später, und wir denken, dass unsere Religion auch das richtige Religion is, und das is auch das richtige Religion.

ÜMÜT: Weil wir Türken sind, find ich ja Türken besser als Deutschen, weil erstens meine Mitbürger sind, zweitens moralisch sind, drittens viele Gerichte haben, Essensgerichte.

TUNCAY: Wir dürfen in unsrer Kultur leben. Die Deutschen haben ja nix gegen uns, aber die wollen, dass manche Türken ein bisschen moderner werden. Damit die sich den Deutschen anpassen.

JENNIFER: Die Frauen werden da unterdrückt. Die dürfen nichts sagen und müssen dann ihre Kopftücher tragen. Nein, ich hab keine Freundinnen in der Richtung.

PARISA: Ich hab eine Freundin, die kommt aus Kosovo, die lebt seit zehn Jahren hier. Als sie in die sechste Klasse war, hat der Vater gesagt: Du brauchst nicht mehr zur Schule zu gehen, du bleibst jetzt zu Hause und hilfst deiner Mutter. Du musst heiraten. Der Vater hat ihr verboten, zur Schule zu gehen. Jetzt hat die keine Ausbildung. Meine Freundin is voll traurig. Sie sagt: Ich kenn den Mann gar nich, ich liebe den gar nich. Die Eltern sagen: Liebe spielt keine Rolle. Für uns, wir sind Moslems, es gibt keine Liebe, Hauptsache, der arbeitet, der kann gut verdienen, und fertig.

HASNE: Mir stört das, dass die andren immer Miniröcke anhaben und so Scheißesachen anhaben, mit großem Ausschnitt, ja, ihre Tittis kann man sehen. Das sind die Deutschen, die blöden, die Schlampen. Die sollen normale Sachen anhaben, doch nich so! Im Winter, gucken Sie, die ham alle Miniröcke an! Wenn ich jetz verheiratet bin, kommt mein Mann und fragt mich: Warum hattest du das an? Weißt du nicht über – was gut ist? Warum denkst du nur an Sex und Verlieben und dass du ins Bett gehst?

PARISA: Von den Eltern wird das, wie die Deutschen sind, als negativ gesehn und immer als Beispiel für schlechtes Verhalten gesagt. Die deutschen Mädchen werden von den Ausländern als Schlampe bezeichnet. Die Moslems sagen immer oder die Eltern von die sagen: Willst du wie die Deutschen sein? Die mit jedem schlafen oder so? Wenn du über Freiheit sprichst, die denken sofort, wenn man nur ein bisschen mehr Freiheit will, dann will man mit jemandem schlafen oder Sex haben. Und wenn ich sehe, wie alle die auslachen, dann lass ich das lieber. Dann bleib ich lieber so.

TUNCAY: Ich bin verantwortlich für meine Schwester, deshalb muss ich auf sie aufpassen, weil das is ja nich so etwas wie einfache Beziehung, das is die Ehre, die eigene Ehre is das.

BARES: Meine Ehre wäre angegriffen, wenn jemand meine Familie beleidigen würde oder meine Schwester anmachen würde, dann würd ich sofort angreifen, sofort draufgehn, das is für mich A und O. Ja, mit den Fäusten oder Gewehren sofort drauf.

MILIZA: Für die spielt die Ehre, die is an erster Stelle. Frau und wat weiß ich, egal, Hauptsache, die Ehre is – die wollen nich blamiert werden. Die wollen als perfekte Menschen dargestellt werden. Zu dem Perfektsein gehört: Jungfräulichkeit der Frau und dass man ganz sich der Religion widmet und dass die Kinder, die man aufzieht, ein gutes Leben führen, also nach dem Vater gehen. Dass sie ganz religiös sind und Jungfrau bleiben, bis sie heiraten. Ja, jeder Mensch macht Fehler, aber das darf man sich nicht erlauben. Man darf sich schon Fehler erlauben, aber jetz nich irgendwas, was mit Jungs oder was mit Männer oder was mit Rauchen, Trinken oder überhaupt Eng-Anziehn zu tun hat. Oder überhaupt mit einem Jung zu sprechen. Wenn es das is, is das schlimm, aber ansonsten darfst du dir alles leisten, was du möchtest, du darfst machen, was du willst. Man darf den Jungen nicht mal die Hand geben. Sogar dem eigenen Verlobten darf man nich die Hand geben, geschweige denn ihn umarmen.

MELTEM: Die Männer dürfen bei uns mehr, weil …

SAIDA: Die dürfen zur Disko gehen, die dürfen bis abends draußen bleiben, das ist ja egal.

MELTEM: … weil die haben ja nich so eine Angst, dass sie Jungfrau sind und dann nich mehr.

HALIWA: Wenn ein Mädchen keine Jungfrau ist, ist die halt eben nichts wert.

AHMED: Auch die Jungen müssen sich zurückhalten bis zur Ehe. Ist ja Gleichberechtigung.

PAUL: Also ich bin schon lange keine Jungfrau mehr. Und dann ist das auch für mich kein höchster Wert. Wenn man einen liebt, dann liebt man denjenigen, und wenn man dann mit ihm schlafen will, dann schläft man mit ihm und nicht erst warten, bis man verheiratet ist. Ich weiß, dass die Jungfräulichkeit für die ein hoher Wert is. Ja natürlich. Aber für die weiblichen Muslime. Für die männlichen hier auf der Schule, die erzählen ja, wie oft die schon im Puff waren und dort und jenes, und dass die ein Mädchen nur ins Bett kriegen wollen und so, hab ich heute auch schon wieder gehört.

MILIZA: Wenn die Jungs wollen, dass die Mädchen Jungfrauen sind, dann solln die Jungs selber Jungfrauen bleiben. Für den Mann is dann auch nur eine Frau bestimmt, und nicht tausende. Die Männer dürfen das auch nich, aber die fühlen sich als was Besseres. Die verändern den Koran, die gehen einfach nach ihrem Kopf, die Männer, die ham se nich mehr alle. Ja, muss ich sagen. Die verprügeln die Frau, wenn sie mit einem Mann spricht, obwohl sie nichts Schlimmes getan hat, aber der Mann schläft mit tausend Frauen und geht in Bordells und wat weiß ich, und das findet er voll schön. Aber wenn eine Frau mal irgendeinen hübschen Mann anguckt, is sie schon die Letzte.

SAIDA: Also, unsre Eltern verbieten uns eigentlich gar nichts. Wir dürfen rausgehen, wir dürfen alles Mögliche, aber grad nicht so viel wie die Jungs. Ich find das okay, dass Mädchen nich alles dürfen wie die Jungs.

ÜMÜT: Weil Männer stärker gebaut sind zum Beispiel und mehr Verantwortung haben. Frauen haben die Aufgabe: Haushalt, kochen, putzen, Kinder versorgen.

HASNE: Die Jungs, die Jungs dürfen mehr, weil die Jungen sind. Die Jungen dürfen spielen, die dürfen machen, was sie wollen. Die Mädchen ja auch, aber die Mädchen haben viel Arbeit.

AYSEL: Ich hab immer Langeweile, weil ich bin immer zu Hause.

SELMO: Ich würd gerne Langeweile haben, aber ich hab keine Zeit dazu.

AYSEL: Ich hab manche Freundin, sie dürfen nicht nach der Schule nach draußen gehen, und ich will auch nicht nach draußen allein gehen, und deswegen muss ich immer zu Hause bleiben. Ich ruf zu meinen Freundinnen, und ich frag sie: Kommst du mit mir nach draußen? Dann sagen sie: Nein, wir dürfen nicht. Ihre Familien, die sagen, draußen is dunkel, und wir dürfen nicht. Ja, im Sommer, wenn es hell ist – nein, dürfen sie auch nicht, sie sagen, müssen wir waschen und sauber machen, wir müssen auf unsre Geschwister aufpassen. Aber die Jungen, die gehen nach draußen, wann die wollen und bis ganz spät, wie die wollen, die Jungen machen, was sie wollen, aber die Mädchen, die dürfen das nicht.

SELMO: Find ich beschissen.

AYSEL: Das ist religiös. Die Familien, sie sagen, das ist zu spät, und die Jungs sind jetzt draußen, und die machen an.

SELMO: Au Mann, anmachen ist doch gut.

AYSEL: Ja, die Mädchen warten, bis ein Mann zu ihnen kommt und ihnen heiratet.

SABRI: Die Mädchen müssen Haus sauber machen, sie können eigentlich nur zur Stadt gehen, so Sachen kaufen, und danach wieder nach Hause, Essen machen, bügeln, staubsaugen, alles so sauber machen, und danach is das dann so spät, da müssen sie schlafen. Nächster Tag, wieder so Frühstück machen, Teller waschen …

HASNE: Ja klar, die Mädchen sind da, zu arbeiten, zu kochen! Die Männer können doch nich kochen!