Lass mich dein Schimpanse sein

Ganze Tage unter Affen: In „Human Nature – Die Krone der Schöpfung“, einer Kooperation von Regisseur Michel Gondry und Drehbuchautor Charlie Kaufman, führt der Zufall drei Triebtiere zusammen. Der Film jongliert mit den Evolutionsstufen und entwickelt sich so zur Behaviorismus-Farce

VON ANDREAS BUSCHE

Will der Mensch etwas über sich selbst erfahren, geht er am besten in den Zoo. In der Primatenanlage offenbart sich ihm die ganze Wahrheit über die eigene Existenz – nur dass sich dem Betrachter dieses originär-libertären, natürlicherweise unkonditionierten Treibens jenseits der Umzäunung nicht mehr instinktiv die Nackenhärchen aufstellen, weil er sich durch hundertfach überschriebene kulturelle Codes und über Jahrmillionen evolutionär notwendig gewordene Verhaltenskorrekturen geschützt wähnt. Zu divergent erscheinen die Lebenskonzepte, als dass der Anblick triebhaft kopulierender Schimpansen mit dem eigenen, unterdrückten Verlangen korrespondieren könnte. Man wendet sich also höflich ab und vergewissert sich seiner Zivilisiertheit.

Michel Gondrys Behaviorismus-Farce „Human Nature – Die Krone der Schöpfung“ allerdings legt nahe, dass es mit dieser Gewissheit nicht weit her ist. Bei Gondry, dessen zweiter Film „Vergiss mein nicht“ ebenfalls gerade in den Kinos angelaufen ist, liegen öffentliches Masturbieren und der Tisch-Knigge weniger als eine Evolutionsstufe voneinander entfernt. Hinter der Fassade guter Manieren treten paradiesische Urzustände zu Tage. Unter dem Deckmantel der Satire spielt Gondrys Film verschiedene Modelle vom richtigen Leben im falschen durch – und kommt dabei zu überraschenden Schlüssen. Kein Wunder, stammt das Drehbuch zu „Human Nature“ doch von Charlie Kaufman, der für „Being John Malkovich“ die geniale Methode erfand, für 20 Minuten in den Kopf einer Celebrity zu steigen.

Auch das Personal von „Human Nature“ hat so manche Probleme mit dem Kopf. Die wahren Ursachen der Neurosen liegen jedoch viel tiefer verschüttet. Da haben wir zunächst Nathan Bronfman (Tim Robbins), den seine Eltern als Kind immer in den Zoo mitnahmen, um ihm – am lebendigen Anschauungsobjekt – das kleine Einmaleins der menschlichen Verhaltenslehre vorzuführen. Jahre später hat er den häuslichen Drill so verinnerlicht, dass er weißen Mäusen mit Hilfe von Elektroden Tischmanieren beizubringen versucht. Alles zum Wohle der Forschung.

Für Lila (Patricia Arquette) verkörpert der Wissenschaftler die absolute Erfüllung bloßen Menschseins. Lila selbst hatte sich in die Wälder abgesetzt, nachdem ihr in der Pubertät ein dichter Körperpelz gewachsen war. Von ihrem Baumhaus aus schrieb sie einen Öko-Bestseller, bis es sie irgendwann wieder unter die Menschen und auf den Behandlungsstuhl einer befreundeten Elektrolytikerin trieb – alles der leidigen Triebe wegen.

Das Triebtier schlechthin (und somit Objekt jedweder Begierden) in dieser ungleichschenkligen menage à trois ist Puff (Rhys Ifans), eine Art Kaspar Hauser, dessen Vater sich nach der Ermordung Kennedys freiwillig von der menschlichen Gesellschaft verabschiedete, um fortan ein zwangloses Leben als Affe zu führen. Der Zufall – oder besser: die Triebe – haben diese drei Menschen zusammengeführt. Aber wenn wir ihnen das erste Mal begegnen, hat einer von ihnen bereits ein Einschussloch in der Stirn, während ein anderer vor dem Kongress für ein verfassungsmäßiges Recht auf Primitivismus ficht. Die Richter ziehen die Verfassungsänderung weitsichtig in Erwägung. Die Sprecherpositionen haben sich schon am Anfang von „Human Nature“ verschoben: Das gutturale Grunzen des Wahlprimaten ist britischer Distinguiertheit gewichen, dem Wissenschaftler bleibt nach dem Verlust seiner Wissenschaftlichkeit die nackte Triebstruktur als irrationale Existenzgrundlage. Hätte nur noch gefehlt, dass er sich in seinen eigenen Fäkalien wälzt.

Doch Gondrys Film und Kaufmans Skript spielen nur die nächstliegenden Möglichkeiten dieser viel versprechenden Grundidee durch – als wäre eine werkgetreue Shakespeare-Rezitation schon der Gipfel der Kultiviertheit. Kaufman sollte es besser wissen. Mit seinem Drehbuch zu „Adaption“ hat er die Irrtümer menschlicher Verhaltensweisen hintergründiger auseinander gefriemelt. Die Essenz der menschlichen – oder der männlichen? – Natur fasst Nathan in „Human Nature“ wie folgt zusammen: „Wenn du zweifelst, tu nie, was du wirklich tun willst.“ Ganz so einfach gestaltet sich das richtige Leben im falschen dann doch wieder nicht. Am Ende nämlich nehmen sie sich alle nichts – die Menschen und all die anderen Affen.