Trio vor Diorama

Wir Sensenmänner: Bernd Rauschenbach, Joachim Kersten und Jan Philipp Reemtsma lesen Arno Schmidts Geschichte „Großer Kain“ – sogar im Chor

VON JAN SÜSELBECK

Das Interesse an den Fotos, die Arno Schmidt als Flachlandfan auf seinen niedersächsischen Spaziergängen schoss, übertrifft alle Erwartungen, staunt Janos Frecot. Die von ihm kuratierte Ausstellung „Arno Schmidt fotografiert. Bilder aus Bargfeld“ ist nun in Berlin zu sehen, das ist schon ihre fünfte Station – Frecot: „Und sie ist bereits bis Herbst nächsten Jahres ausgebucht.“

„Schmidt ging nie weit weg von seinem abgelegenen Haus in Bargfeld, und schon gar nicht fuhr er selbst mit dem Auto durch die Gegend. Was aber hat er dort gesehen?“, fragt sich Frecot. Offenbar mehr als wahllose Diamotive: „Wenn man seine Fotos betrachtet, hat man den Eindruck, dass in den Bildern der leichte Wind und die Luftfeuchtigkeit der norddeutschen Tiefebene lebendig werden. Seine Fotografien sind wie geknipste Tagebuchblätter – Skizzen eines Künstlers, der die ihm sichtbare Welt als ‚Protest gegen die Vergänglichkeit‘ festhalten wollte.“

Das Studio der Berliner Akademie der Künste ist voller andächtiger Zuhörer. Sie sind nicht nur wegen der Ausstellung gekommen, sondern auch um eine besondere Lesung zu hören: Zur Feier des Tages sind Bernd Rauschenbach, Joachim Kersten und Jan Philipp Reemtsma angereist, um Arno Schmidts Erzählung „Großer Kain“ vorzutragen.

Als bekanntes Lesetrio haben die drei ausgewiesenen Schmidt-Spezialisten ein Heimspiel: Funktionieren die umherhängenden Bilder doch wie ein harmonisches Diorama zu ihrer routinierten Performance. Besonders die Landschaftsbeschreibungen der lebendig vorgetragenen Geschichte passen ausnehmend gut in das Setting der Ausstellung: „Einzelbäume, wie aus Rauch gepustet : mit hutförmigen Köpfen, auch solche wie Sektkelche, Pinsel truppweise; sie standen vermutlich am Grunde des Luftozeans und schwankten synkron hin & her“, haucht Kersten ins Mikrofon.

Lässig wechseln sich die Sprecher beim Lesen ab. Sie modulieren ihre Stimmen, ohne dem eigentümlichen Rhythmus des Texts selbstdarstellerische Gewalt anzutun. Ab und zu lesen sie an dramaturgischen Knotenpunkten der Geschichte auch im Chor – etwa wenn Schmidts burleske Hauptdarsteller im ländlichen Garten Rasen mähen und wegen des dabei benutzten altmodischen Werkzeugs ausrufen: „Wir Sensenmänner!“

Das Publikum lacht viel. Geradezu könnte man meinen, hier würde eingängiges Kabarett geboten – nicht aber die Lesung eines der komplexeren Texte der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Immerhin entstammt „Großer Kain“ dem stark von Joyce beeinflussten Erzählband „Kühe in Halbtrauer“ (1964).

Schmidts Fotos kann man wie ein Spiegelbild dieser untiefen Textwelten betrachten. Sie scheinen zunächst Banales zu zeigen, lassen jedoch auch die dämonischen Seiten der Natur zur Geltung kommen. Je länger man sie betrachtet, um so rätselhafter erscheinen einem Schmidts Schnappschüsse. Wie heißt es doch in „Großer Kain“: „Es ist irr=ratio=nal.“