Energie aus eigener Produktion

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer verlangt den kompletten Umbau des Energiesystems. Wenn sich jeder selbst versorgt, wird der Bau neuer Stromtrassen zur zweitrangigen Frage. Vorrangiges Setzen auf Offshore-Wind unsinnig

aus HamburgGernot Knödler

Die Debatte über neue Hochspannungsleitungen wegen des norddeutschen Windstromsgeht nach Ansicht des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer in die falsche Richtung. Wie der Präsident des Verbandes Eurosolar vor dem Wirtschaftsforum der Hamburger SPD sagte, geht sie von einer Integration der Erneuerbaren Energien in das bestehende Stromnetz aus. Dagegen biete der Übergang in ein neues Energiezeitalter die Chance, die Energieversorgung dezentral zu organisieren. „Man muss an Systemlösungen denken!“, forderte Scheer, der wegen seines Engagements für Erneuerbare Energien 1999 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Scheer holt weit aus, wenn er versucht klar zu machen, warum sich die Welt eher über kurz als lang die Erneuerbaren Energien erschließen muss. Er beginnt bei der Sonne, die als praktisch unendliche Energiequelle das Wirtschaften auf der Erde überhaupt erst möglich macht. Er spricht von der Endlichkeit fossiler Energieträger und auch des Urans, dem er bei heutigem Verbrauch eine Verfügbarkeit von 40 bis 50 Jahren, ähnlich wie der flüssigen Erdöls, attestiert.

Er beruft sich auf das Pentagon, das bereits in den 70er Jahren erkannt habe, dass es nur die Wahl gebe zwischen dem Erschließen Erneuerbarer Energien und der militärischen Sicherung des Zugangs zum Öl. Er rechnet vor, dass die USA seit dem Golfkrieg 1991 rund 60 Milliarden Dollar für die Stationierung ihrer Streitkräfte in dieser Region ausgegeben haben, dass die stark ölabhängigen Länder Deutschland und Japan mit jeweils neun Milliarden Euro die Hälfte dieses Krieges bezahlt haben und dass die USA pro Fass Öl, das sie seither importierten, 100 Dollar an militärischem Aufwand bezahlten.

Die Kosten für Förderung und Sicherung fossiler Energie werden weiter steigen. Der Preis, den die Umwelt für die Förderung und den Transport bezahlt, ist dabei nicht einmal eingerechnet. „In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts werden wir vor der größten Herausforderung stehen: der Energiewende“, prophezeit Scheer.

Die Kosten der Energieträger müssen seiner Ansicht nach in systemischen Zusammenhängen betrachtet werden: Erneuerbare Energie, sei es Windstrom, Sonnenengergie, Geothermie und zum Teil auch Biomasse, kann am selben Ort verbraucht werden, wo sie erzeugt wird. Atomare und fossile Energie macht dagegen lange Transportketten für die Gewinnung der Rohstoffe und die Verteilung der Energie notwendig. Das erzeugt Kosten, die nicht einem Windrad angelastet werden dürfen, das ein kleines Dorf versorgt.

Damit dieser Strom kontinuierlich fließen kann, müssen clevere Speicher entwickelt werden. Scheer: „Die Speichertechnologie für Strom stagniert seit 50 Jahren.“ Zurzeit bereite er eine weitere Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vor. Regelenergie, mit der die Schwankungen im Stromangebot und -verbrauch ausgeglichen werden, soll einen Bonus erhalten, sofern sie aus Speichern stammt. Auch das heutige Energiesystem nutzt Speichertechniken, etwa um Verbrauchsschwankungen auszugleichen, denen die unflexiblen Atomkraftwerke nicht folgen können.

Eine Priorität für Offshore-Windparks wäre vor dem Hintergrund einer zukünftigen tendenziell dezentralen Energieerzeugung unsinnig. Aus Sicht des SPD-Politikers wäre sie „nichts weiter als Feigheit“, der mangelnde Mut visionär zu denken und sich auf einen Konflikt mit den Stromversorgern und Ölkonzernen und deren eingefahrenen Strukturen einzulassen.