Abschied von „Vater Humboldt“

Die Geschichtswerkstatt Kalk stellt am Samstag ihr neuestes Projekt vor: einen Industrie- und Kulturpfad. Seit 1995 wird die Vergangenheit des rechtsrheinischen Stadtteils dokumentiert

VON Annette
von Czarnowski

Eigentlich wollte Klaus Sobik 1995 in der Volkshochschule Kalk einen Vortrag über Werksrenten hören. Die Veranstaltung entpuppte sich als „Lockvogel“. Statt guten Ratschlägen über Werksrenten zu lauschen, wurden Sobik und weitere ehemalige Arbeiter der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) von Lokalhistoriker Hermann Strick aufgefordert, selber zu erzählen: über ihre Erfahrungen als Arbeiter in den Kalker Industriebetrieben und die Maschinen, die ihnen anvertraut waren. Viele seiner Kollegen gingen, Sobik blieb und wurde Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Kalk.

Ehemalige Arbeiter der Kalker Industriebetriebe – neben der CFK unter anderen die Akkumulatorenfabrik Gottfried Hagen, die Maschinenbauer Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD), die Eisengießerei Peter Stühlen – stellen noch heute einen Teil der Mitglieder. Privat haben sich die meisten vorher kaum mit Geschichte befasst, jetzt stöbern sie in Archiven, halten Vorträge und bringen als Zeitzeugen Jugendlichen in Schulen die Geschichte ihres Stadtteils nahe.

Das Ende einer Kalker Ära, den Niedergang der große Industriebetriebe, haben sie persönlich miterlebt. Sobiks alter Arbeitsplatz, die CFK, schloss 1995, das Kalker Wahrzeichen, der CFK-Schornstein, wurde 1996 gesprengt. Durch Betriebsschließungen verlor Kalk seit den Siebzigerjahren fast 8.500 Industriearbeitsplätze.

Wie Sobik stießen noch weitere ehemalige Kalker Industriearbeiter zur Geschichtswerkstatt. Der industrielle Niedergang der Neunzigerjahre bedeuteten nicht nur den Verlust ihres Arbeitsplatzes, sondern auch eines Teils ihrer Identität. „Das war nicht nur ein Arbeitsplatz. Früher hieß es ‚Mutter Deutz‘ und ‚Vater Humboldt‘ – bis wir auf der Straße standen“, berichtet Horst Mai, ehemals bei KHD.

Die Geschichte Kalks ist nicht zu trennen von der Geschichte seiner Industrie im 19. und 20 Jahrhundert. Durch die Ansiedlung protestantischer Unternehmer im rechtsrheinischen Köln wuchs Kalk rapide von 976 Einwohnern im Jahre 1858 auf 27.700 bei der Eingemeindung nach Köln 1910. „Das ‚hillije Kölle‘ hatte für die Industrie auf der ‚Schäl Sick‘, die seinen Reichtum sicherte, wenig übrig und ruhte sich lieber auf seiner Tradition als Handels- und Römerstadt aus“, berichtet Historiker Fritz Bilz, ebenfalls Mitglied der Geschichtswerkstatt.

Einen Namen machte sich die Geschichtswerkstatt erstmalig mit dem Projekt „Maschinenretter“: Ehemalige Arbeiter gingen in die stillgelegten Betriebe und restaurierten die Maschinen, mit denen sie wenige Jahre zuvor gearbeitet hatten. Der Turboverdichter vor den Kalker Marienarkaden ist eines der Industriedenkmäler, die so erhalten blieben. Das blau-weiße Logo der CFK wird demnächst am alten Wasserturm, der im künftigen Einkaufszentrum „Köln Arcaden“ zugebaut wird, prangen und an die Vergangenheit erinnern.

Die Geschichtswerkstatt Kalk stellt am 20. November um 14.30 Uhr am Bezirksrathaus Kalk den Industrie- und Kulturpfad Kalk vor. Dazu erscheint eine Buchpublikation. www.gw-kalk.de