Die harte Schule der Erfinder

Die private Kreativitätsgrundschule in Karlshorst ist der Einstieg für Wissenschaftler und Manager. Hier lernen Kinder ganztags – und schon im zweiten Schuljahr drei Fremdsprachen. Fachleute kritisieren die frühzeitige Anpassung an Wirtschaftsinteressen

VON JAN DÖRNER

Das Klassenzimmer von Robert und Max sieht aus wie alle Klassenzimmer dieser Welt. An den Wänden hängen bunte Bilder. Auf den Fensterbrettern vegetieren Topfpflanzen vor sich hin. In Kästen warten Pappkarten mit Rechenaufgaben darauf, gelöst zu werden. Und trotzdem ist alles anders als in anderen Grundschulen. Es gibt Bücher mit französischen Vokabeln, arabischen und sogar chinesischen. Robert nimmt das lässig: „Nein, gleichzeitig Englisch, Französisch und Arabisch zu lernen macht mir nichts aus.“ Max stimmt ihm zu. „Aber Chinesisch mache ich nicht mehr.“ Das hat ihm nicht so gut gefallen.

Die beiden 9-jährigen Pimpfe sind Schüler der privaten „BIP Kreativitätsgrundschule“ im Lichtenberger Stadtteil Karlshorst. Seit der Gründung vor fast zwei Jahren stehen hier ab der ersten Klasse Englisch und wahlweise Arabisch und Chinesisch auf dem Lehrplan. In der zweiten Klasse kommt Französisch als weiteres Pflichtfach hinzu. „Die Kinder lernen die Umgangs- und Begegnungssprache, und sie lernen singen“, sagt Schulleiterin Steffi Poßner. Was hörbar ist: „Salam aleikum“, kräht ein Dutzend Erstklässler, als die Direktorin beim Rundgang vorbeikommt.

Nahziel der Schule ist, dass alle Schüler nach der sechsten Klasse die Empfehlung für das Gymnasium bekommen. Langfristig soll diese wie die anderen Kreativitätsschulen in Deutschland auf eine spätere Tätigkeit als „kreativer Erfinder, Wissenschaftler, Unternehmer, Manager vorbereiten“. Daher werden neben europäischen auch Sprachen der „interessanten Wirtschaftsräume“ Naher Osten und China gelehrt, erklärt Poßner.

Es geht aber nicht nur um Fremdsprachen. BIP steht für: Begabung, Intelligenz, Persönlichkeit. „Wir erfüllen den staatlichen Lehrplan und unterrichten noch weit darüber hinaus“, sagt Poßner. Der Aufenthalt in der Schule von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr sei Pflicht. „Wir unterrichten die fünf Künste Tanz, Schauspiel, Bildkunst, Musik sowie kreatives Schreiben. Logisch-technisches Denken wird den Kindern beim Schachspiel und am Computer beigebracht.“ Pro Klasse kümmerten sich zwei Pädagogen um maximal 20 Kinder. „Da bleibt keiner unbemerkt hinter den anderen zurück“, betont die Direktorin. „Aber wir sind ausdrücklich keine Hochbegabtenschule“, sagt Poßner. „Bei uns zählt rechtzeitige Anmeldung und nicht der Intelligenzquotient.“ Auch den Vorwurf, Hochbetuchtenschule zu sein, lässt die Direktorin nicht gelten, obwohl pro Kind 226 Euro monatlich berappt werden müssen.

Viele Eltern sparen hart für das Schulgeld, wie etwa Jens Wilczek, Vater von zwei Kindern auf der BIP-Schule. „Mit dem Schulgeld und der Miete für unsere Wohnung kann man pro Monat eine Rate für ein selbst gebautes Haus abbezahlen.“ Aber da das Niveau auf staatlichen Schulen sinke, sehe er die Ausbildung seiner Kinder als Investition in die Zukunft.

Das BIP-Konzept entwickelten Gerlinde und Hans-Georg Mehlhorn. Letzterer gab 1993 seine Professur für pädagogische Psychologie an der Leipziger Hochschule für Musik auf, um sich dem eigenen Institut zu widmen. Mehlhorns Ansichten klingen nicht nach antiautoritärer Erziehung. Die kindliche Neugier, sagt er, sorge nicht ausreichend dafür, dass ein Kind sich von selbst holt, was es schlau macht. „Deswegen sind unsere Schulen die ersten Ganztagsschulen, in denen auch wirklich den ganzen Tag Schule ist.“ Es werde intensiver als anderswo gearbeitet und Disziplin gelehrt. „Wir versuchen, die Entwicklung vorzuverlegen“, sagt Mehlhorn. „Wir schaffen die Grundlage für eine verkürzte Ausbildung nach dem Abitur.“

Laut Hans-Georg Mehlhorn zeigen Untersuchungen zwar, dass BIP-Pennäler besser ausgebildet sind als ihre Altersgenossen auf herkömmlichen Grundschulen. Aber ist das Mehlhorn-Konzept die Lösung für die Bildungsprobleme des Landes? Michael Räßler, PDS-Stadtrat für Bildung in Lichtenberg, findet die BIP-Schule Klasse. Die Bedingungen dort seien „anders“ als an staatlichen Schulen, ebenso die angenehme Atmosphäre und das niedrige Alter der Lehrer. „Die Schule ist eine Bereicherung für den Bezirk. Sie hat sich als eine gute Alternative herumgesprochen“, sagt Räßler.

Angela Bolland, Professorin für Grundschulpädagogik an der Universität Leipzig, beurteilt das Mehlhorn-Konzept dagegen kritischer: „Es ist meines Erachtens kein geeigneter Weg. Mit mehr Leistung auf Lernschnellwegen und dem uralten Trichterprinzip werden die Probleme im Bildungsbereich nicht gelöst.“ Es sei richtig, früh mit der Förderung von Kindern zu beginnen. Allerdings sei wichtig, aus welchen Beweggründen frühkindliche Bildung initiiert werde, betont Bolland. Nötig für eine Förderung etwa im Sinne der „Persönlichkeitsbildung von Anfang an“ sei viel Freiraum für entdeckendes Lernen. „Für Kinder sind selbst gewählte und selbst organisierte Tätigkeiten wichtig. Die enge Betreuung durch die Pädagogen fördert nicht die Persönlichkeit der Kinder, sondern deren Unselbstständigkeit“, meint Bolland. Das BIP-Konzept versuche, ein gesellschaftliches Problem zu lösen, „indem der Hebel bei den Kindern, den Schwächsten in einer Gesellschaft, angesetzt wird, um sie frühzeitig den wirtschaftlichen Anforderungen gemäß zu formen“, kritisiert sie.

Die Eltern schreckt das nicht ab. Der Andrang beweist das, meint Poßner. Im Sommer eröffnen zwei weitere Kreativitätsgrundschulen in Berlin. In Karlshorst gehen im Moment 116 Schüler in die Klassen eins bis vier. Gerne würde Poßner ein leer stehendes Schulhaus auf dem Nachbargrundstück nutzen. Denn ohne weitere Räume gibt es im nächsten Jahr keine neuen ersten Klassen“ – und kein BIP-Gymnasium, wie sie es gerne hätte. Dann müssten die BIP-Kinder in Karlshorst wieder zurück auf staatliche Schulen wechseln oder eines der BIP-Kreativitätsgymnasien in Leipzig, Chemnitz oder Dresden besuchen.

Robert, Max und der Rest der vierten Klasse interessiert das erst mal wenig. Es geht zum Sportunterricht. Auf dem Programm steht jetzt Fußball. Und weil der Ball rund ist, wird gebolzt wie an jeder anderen Grundschule.