Ansturm auf Arbeitsagentur

„Agenturschluss“ in Bremen: Rund 300 Menschen demonstrieren gegen Hartz IV und Arbeitslosengeld II. 100 Polizisten sind im Einsatz. Proteste bleiben weitgehend friedlich. Betroffene sind verständnisvoll, manche genervt, viele verzweifelt

Wer zu spät kommt, soll besser Zeitung lesen. Die Schecks sind jetzt eh weg

Bremen taz ■ „Das nähääärvt“, kräht das Kind an der Hand seiner Mutter und zeigt auf die Menschenmenge vorm Bremer Arbeitsamt am Doventorsteinweg gestern Morgen. „Das nervt“, sagt die Mutter, „das ist doch eh durch – was soll das hier noch?“ „Das“ ist Hartz IV und die Proteste dagegen. Seit gestern gibt es das Arbeitslosengeld II und deshalb war bundesweiter „Agenturschluss“, so nennt sich die konzertierte Aktion von Erwerbsloseninitiativen, Sozialbündnissen und zahlreichen linken Gruppierungen vor den Arbeitsagenturen vieler Städte. In Bremen demonstrieren nach Polizeischätzungen in den Morgenstunden 200 bis 300 Menschen. Im Laufe des Vormittags werden es weniger. Einen für 12 Uhr angekündigten Demozug in die Innenstadt starten die Veranstalter eine Stunde eher – von Hartz IV Betroffene sind kaum dabei.

Gelangen am Morgen noch Protestierende ins Gebäude der Arbeitsagentur, so geht im Laufe des Vormittags nichts mehr. Rund 100 Polizeibeamte in Overalls, jede Menge Metallgitter und ein paar Polizeihunde versperren den Zugang zu der öffentlichen Einrichtung. Ein Versuch „des massiven Eindringens“ samt Angriff auf einen Polizeibeamten wird mit einer vorläufigen Festnahme quittiert. Agentur-Kunden müssen abseits der Demo an der Seite des Hauses anstehen, um von Agenturmitarbeitern grüppchenweise ins Haus geleitet zu werden, vorbei an Polizisten und gefilzt vom Sicherheitsservice, den die Arbeitsagentur engagiert hat.

„Bin ich ein Schwerverbrecher?“, fragt eine Kundin, „was soll das Theater!“ Auch sie ist genervt, wie Mutter und Kind vorm Haus, aber es sind nicht die Demonstranten, die sie ärgern. Die 42-jährige Sozialpädagogin bekommt seit gestern das neue Arbeitslosengeld II statt wie bisher Arbeitslosenhilfe. Dass sie weniger als bisher bekommen könnte, ist nicht ihr vorrangiges Problem: Sie bangt um ihre Wohnung. Deren Miete sei zwar bis April bewilligt, aber danach sei sie mit den derzeitigen Wohngeldhöhen nicht zu halten. Und die Ein-Euro-Jobs „sind die totale Unverschämtheit“, findet die Sozialpädagogin. Sie erzählt von Menschen, die unter dem allgemeinen Druck bereit seien, jeden Job anzunehmen. „So weit bin ich noch nicht.“

Ein 53-jähriger Schlosser ist kein bisschen kämpferisch mehr. Bisher bekam er Arbeitslosenhilfe, „vorher hab ich 30 Jahre eingezahlt.“ Jetzt will er einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen, „und das heißt ja auch: Offenlegung der Vermögensverhältnisse.“ Nicht, dass er viel hätte. Aber: „Ich verliere fast alles.“ Und: „Ist das richtig? Will der Schröder das?“

Wieder andere sind eher ohne Meinung. „Was hilft’s“, findet ein Mann in der Schlange schulterzuckend. „Was soll’s“, ein anderer. „Das bringt mich nicht weiter im Leben“, sagt ein Mann und deutet auf die trommelnden und trillernden Protestierenden vorm Haus. Ein 34-jähriger Mann ohne Ausbildung sieht seine Chance in den Ein-Euro-Jobs. „In den ersten Arbeitsmarkt komm ich sowieso nicht rein, da ist der Druck viel zu hoch.“

Während unten die Kundschaft die unterschiedlichsten Gefühle hegt, üben sich die Offiziellen zwei Stockwerke höher in Optimismus. Die Programmierfehler, durch die fehlerhafte Kontonummern der Bezieher an Banken und Sparkassen weitergegeben wurden „sind schon wieder beseitigt“, so Arbeitsagentur-Direktor Christian Hawel, und bei Umstellungen solcher Art „gibt es ja immer irgendwelche Friktionen.“ Wer wegen solcher „Friktionen“ ohne Geld, aber mit Anspruch dastehe, dem werde ein Barscheck ausgehändigt, so Thomas Schneider, Chef der Bagis, die als Arbeitsgemeinschaft von Arbeitsagentur und Sozialzentren die Arbeitslosengeld-II-Empfänger betreut. „Wir haben es geschafft, alle, die ihren Antrag rechtzeitig abgegeben haben, rechtzeitig zu versorgen“, so Schneider. Am letzten Arbeitstag des vergangenen Jahres, am 30. Dezember, seien noch rund 230 Neuanträge abgegeben worden.

Mit den Demonstranten habe man vernünftig diskutiert, sagt Schneider. Während seine Mitarbeiter die Situation „durchwachsen“ nennen, herrscht laut Schneider, und es klingt fast schwärmerisch, „Aufbruchstimmung: Wir starten in eine neue Zukunft.“ Und während im Doventor demonstriert und kontrolliert wird, „wird in den anderen Außenstandorten der normale Betrieb aufgenommen.“

So ganz normal ist es hier jedoch nicht. Arbeitslosengeld-II-Bezieher berichten von Hin- und Hergeschicke zwischen den verschiedenen Stellen, einer hochschwangeren Frau wird am Nachmittag in der Bagis-Geschäftsstelle West beschieden, sie komme zu spät. Sie brauche Geld und sie sei seit morgens unterwegs, verteidigt sich die Frau, allerdings erst im Volkshaus Walle. Statt Sozialhilfe bekommt sie seit gestern jedoch Arbeitslosengeld II, damit ist nicht mehr das Sozialzentrum im Volkshaus, sondern die Bagis-Stelle im Schiffbauerweg zuständig. „Woher soll ich das wissen?“, fragt die Schwangere und ist den Tränen nah. „Steht doch alles in den Medien“, kontert eine Bagis-Mitarbeiterin und schließt ihre Tür– überdies sind hier eh die Schecks ausgegangen. sgi/jpa