Trauer, Zorn und Entrüstung in Presevo

Die Erschießung eines albanischen Jungen in Südserbien durch serbische Polizisten verschärft die ohnehin vorhandenen Spannungen zwischen Albanern und der serbischen Regierung in Belgrad. Neue Gewaltausbrüche scheinen möglich

AUS PRESEVO ANDREJ IVANJI

Die roten albanischen Fahnen mit dem doppelköpfigen schwarzen Adler sind in Presevo auf halbmast gesetzt. Still zieht ein Trauermarsch langsam durch das Zentrum. Immer mehr Menschen schließen sich der langen Kolonne an, bis es schließlich rund 20.000 Albaner sein mögen, die dem Sarg des sechzehnjährigen albanischen Jungen Dashim Hajrulahu folgen. Serbische Soldaten hatten ihn am vergangenen Freitag, als er die Grenze zu Mazedonien illegal passieren wollte, erschossen.

Von wegen „illegaler Grenzübergang“, der Junge wollte doch nur seine Mutter in Mazedonien besuchen, flüstern einige Menschen empört. Schnell wächst der Zorn der Trauernden. Keine Vorschriften könnten die Ermordung eines Jungen rechtfertigen, meint man und empfindet die Erklärung des Verteidigungsministers als Beleidigung und Provokation: Die Soldaten hätten sich lediglich an die Dienstvorschriften gehalten, hieß es in Belgrad.

Der Trauermarsch von Sonntag verwandelt sich am Montag in eine politische Massendemonstration. Wieder wehen in der milden Mittagssonne albanische Fahnen, aber auch US-amerikanische Banner sind aufgetaucht, von den Vereinigten Staaten erwartet man mehr Verständnis für die „albanische Frage“, als von der EU. „Kosovo ja, Serbien nein“, steht auf vielen Transparenten und „Demokratisches Serbien tötet albanische Kinder“. Einige Parolen erinnern an die albanische „Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac“ (UCPMB), die aufgrund eines durch Nato und EU vermittelten Friedensabkommens 2001 aufgelöst worden ist.

Das Presevotal sei ein „Reservat, in dem serbische Soldaten auf Albaner wie auf Freiwild schießen dürfen“, erklärt vor den versammelten Menschen der als moderat bekannte Präsident der Gemeinde Presevo, Riza Halimi. Ein Staat, der sich allein auf die Militärmacht stütze und keinen Rückhalt in der Bevölkerung habe, der habe keine Zukunft. Gemeint ist Serbien.

Von lautem Beifall begleitet, verliest Ragmi Mustafa, Präsident des Parlaments von Presevo, die in neun Punkte zusammengefassten Forderungen aller albanischen Parteien in Südserbien an Belgrad: Stationierung von internationalen Friedenstruppen, die die Albaner in Südserbien beschützen sollen; Entfaltung einer multiethnischen Polizei; Demilitarisierung des Presevotals; Rückzug der serbischen Armee, der Polizei und der Gendarmerie; Eröffnung neuer Grenzübergänge zum Kosovo und zu Mazedonien, die von der Polizei, nicht von der Armee bewacht werden; Verkürzung der fünf Kilometer langen Grenzzone, in der sich albanische Äcker befinden; schließlich internationale diplomatische Vermittlung.

Kommt nicht infrage, war die einstimmige Reaktion in Belgrad. Man warf albanischen Politikern in Südserbien vor, ein „tragisches Unglück politisch zu missbrauchen“, Verhandlungen mit der serbischen Regierung abzulehnen, die „Minderheitsfrage“ der Albaner in Südserbien „internationalisieren“ und die territoriale Integrität Serbiens infrage stellen zu wollen. Das mehrheitlich von Albanern bewohnte Presevotal sei jedoch eine innenpolitische Angelegenheit Serbiens.

Belgrad wirft Albanern in Südserbien vor, sich für „Selbstisolation“ entschieden zu haben. Sie boykottierten stets serbische Parlamentswahlen, hätten lediglich Interesse an der lokalen Macht gezeigt und politische Integration abgelehnt. Auch diesmal lehnten sie den Vorschlag als „unseriös“ ab, im Koordinationszentrum der serbischen Regierung für Südserbien und das Kosovo teilzunehmen.

Seit Monaten berichten serbische Medien über einen „heißen Frühling“ im Kosovo und in Südserbien. Auch einige Politiker warnen, sich auf Quellen der Geheimdienste berufend, dass „albanische Extremisten“ neue „Gewaltausbrüche“ vorbereiten, wie im März des Vorjahrs im Kosovo, um die Unabhängigkeit der „südserbischen Provinz“ zu beschleunigen. Serbiens mit Abstand stärkste Partei, die ultranationalistische Serbische Radikale Partei, rief bereits alle Serben auf, „Serbien zu verteidigen“. Dieses Szenario albanischer Führer kenne man schon: Zuerst wollten sie ein Problem internationalisieren, um dann territoriale Ansprüche stellen zu können. Man dürfe nicht vergessen, dass Albaner in Südserbien vor wenigen Jahren eine Angliederung des Presevotals an das Kosovo forderten und dass Albaner im Kosovo, in Südserbien und Mazedonien eine koordinierte Unabhängigkeitspolitik führten.