Stasi-Hysterie und Rufmord in Polen

Der „Fall“ des bekannten Historikers Jerzy Holzer erregt das Land. Angeblich soll er mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Wie aus einem Regimekritiker ein Täter und wieder ein Regimekritiker wird

WARSCHAU taz ■ „Jerzy Holzer – ein Stasi-Agent?“ In Polen stehen die Telefone nicht still. Der Historiker und Deutschlandkenner gehört zu den bekanntesten Regimekritikern Polens vor 1989. Das Standardwerk zur Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność stammt aus seiner Feder. Wie kann es sein, dass ausgerechnet Jerzy Holzer mit dem polnischen Staatssicherheitsdienst zusammenarbeitet hat?

Tatsächlich hatte der Deutschlandexperte am Montagabend in einer Fernsehsendung bekannt: „1965 habe ich mit dem polnischen Sicherheitsdienst zusammengearbeitet.“ Am nächsten Morgen servierte die konservative Rzeczpospolita ihren Lesern die vermeintliche Sensationsgeschichte auf der Titelseite.

„Ich bin entsetzt über diese Fernsehsendung“, so Holzer im Gespräch mit der taz. „Dreimal habe ich mich mit den Reportern getroffen, um die Arbeit der Stasiaktenkommission von 1990 zu erläutern. Doch im Film kommt das Thema gar nicht vor!“ Stattdessen werde er dort angeklagt, als angeblicher Stasi-Agent jede Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit verhindern zu wollen. „Das ist absurd! Ich trete immer wieder öffentlich dafür ein, die Stasiakten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so wie es im Lustrationsgesetz steht. Es gibt Aufsätze und Bücher zum Kommunismus in Polen von mir.“

Dass Holzer 1965, zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere, selbst für kurze Zeit mit dem Sicherheitsdienst zusammengearbeitet hat, sei kein Geheimnis. Als er vor seiner ersten Reise nach Deutschland unterschrieben habe, die Haltung der deutschen Ostforscher für die polnische Stasi zu beschreiben, sei das naiv gewesen. „In Mainz habe ich schnell gemerkt, dass die Deutschen nicht samt und sonders Revanchisten und Revisionisten waren. Das habe ich dann in meinem zweiten Bericht auch schon geschrieben.“

Ende 1965 sorgte der deutsch-polnische Bischofsbriefwechsel für viel Aufregung. Die kommunistische Propaganda Polens stellte die Friedensbotschaft der polnischen Bischöfe und insbesondere den Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ als niederträchtigen Landesverrat dar. Holzer aber, der die Diskussion in Deutschland verfolgte, gewann einen ganz anderen Eindruck. „Ich habe den Brief und seine Auswirkungen auf die deutsch-polnische Versöhnung als außerordentlich positiv bewertet. Das hat mir ein Reiseverbot von sieben Jahren eingebracht.“

Der „Fall Holzer“ sorgte für so viel Aufsehen, dass die Rzeczpospolita in ihrer gestrigen Ausgabe volle Kraft zurückruderte und Fragmente aus den insgesamt drei Akten publizierte, die die Stasi über Holzer führte: „Er hat etwas operatives Material übermittelt“, heißt es in der ersten Akte, „aber keine eigene Initiative entwickelt und die Themen nur oberflächlich abgehandelt.“ Schon 1966 wird Holzer von der Stasi beobachtet und verfolgt. Auch das ist in den Akten zu lesen. So verteidigt Holzer den Philosophen und Dissidenten Leszek Kolakowski. Holzers Buch wird von der Zensur verboten, da der Autor „die Geschichte Polens falsch interpretiert“, wie es im Stasibericht heißt. 1967 kritisiert Holzer scharf die antisemitische Hetzkampagne der Regimes. 1968 verteidigt er die Studentenrevolte in Warschau und verurteilt den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei. So geht es weiter, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Die Akten sind dick.

„Ich habe keinen moralischen Kater wegen 1965“, meint Holzer. „Ich war damals naiv. Aber ich habe niemandem geschadet. Und das eine Jahr in Deutschland genügte sogar, um aus mir einen überzeugten Förderer der deutsch-polnischen Verständigung zu machen. Das ist bis heute so geblieben.“ GABRIELE LESSER