„Es ist persönliche Genugtuung“

ARNOLD FISCHER

„Am nächsten Tag, nachdem ich ein paar Stunden zu Hause war, stelle ich frühmorgens das Radio an und höre, dass die Täter durch einen Tunnel entkommen sind. Mir ist fast der Rasierapparat aus der Hand gefallen“ „Die Festnahme war für meine Leute und mich eine persönliche Genugtuung. Wir haben es unseren hochintelligenten Gegnern gezeigt. Die Täter waren super, aber wir waren einfach noch besser“

Es ist der Jahrhundertfall, der größte Coup der deutschen Kriminalgeschichte: Heute vor zehn Jahren – am 27. Juni 1995 – stürmten Maskierte die Commerzbank Schlachtensee. Sie nehmen 16 Kunden und Angestellte als Geiseln und fordern 17 Millionen Mark Lösegeld, einen Hubschrauber und einen Fluchtwagen. Die Bankräuber entkommen durch einen zuvor gegrabenen Tunnel. Selten hat sich die Polizei so blamiert. Aber Kriminalhauptkommissar Arnold Fischer (60) und seine Leute machen die Schlappe wieder wett. Fünf Wochen später nehmen sie die sechs Tunnelgangster fest. „Es war uns eine Genugtuung“, sagt der pensionierte Kommissar

VON PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Fischer, die Tunnelgangster, was sagt ihnen das noch?

Arnold Fischer: Das war ja mindestens ein Jahrhundertfall und der absolute Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn. So was hat es auf der ganzen Welt nicht noch mal gegeben. Logistik, Planung und Tatausführung waren schon genial.

Wann genau am 27. Juni 1995 haben Sie von dem Banküberfall in Zehlendorf erfahren?

Der Überfall fand gegen 10.20 Uhr statt. Eine Stunde später hatten wir im Raubkommissariat die Meldung der Funkbetriebszentrale auf dem Tisch: Vier maskierte Täter haben die Commerzbank Schlachtensee überfallen und mehrere Menschen als Geiseln genommen. Mein erster Gedanke war: Das ist ’ne Übung.

Übung für wen?

Wir von der Kripo hatten zwei Wochen vorher ein Seminar – Bankraub mit Geiselnahme. In diesem haben wir einen Fall in Form eines Planspiels durchgesprochen. Mir war dann aber sehr schnell klar, dass es Ernst ist. Ein paar meiner Mitarbeiter sind sofort raus, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Ich bin im Büro geblieben, um die eingehenden Hinweise abzuklären.

Das Ganze hatte den Anschein eines normalen Überfalls mit Geiselnahme?

Richtig. Aber die Größenordnung war für Berliner Verhältnisse einzigartig. In der Bank sind 16 Kunden und Angestellte festgehalten worden, so viele wie nie zuvor und nie danach.

Was ist dann passiert?

Im Laufe des Tages hat ein Polizist den Tätern 5 Millionen Mark Lösegeld überbracht. Die wollten aber 17 Millionen haben, dazu einen Hubschrauber und einen Flucht-Pkw. Damit sollte vorgetäuscht werden, dass sie den Tatort fahrend oder fliegend verlassen.

Die Täuschung ist ihnen gelungen.

Wohl wahr. Bis spät in die Nacht hinein hatte sich nichts getan. Ich bin dann für ein paar Stunden nach Hause. Frühmorgens stelle ich das Radio an und höre, dass die Täter durch einen Tunnel entkommen sind. Mir ist fast der Rasierapparat aus der Hand gefallen. Zurück im Büro, wurde ich mit der Leitung der Ermittlungen innerhalb der Sonderkommission Coba (Commerzbank) betraut.

Was haben Sie damals empfunden?

Glück. Jagdfieber. Der Fall war eine Herausforderung. Sozusagen das Sahnehäubchen kriminalistischer Arbeit.

Als die Täter flüchteten, war die Bank von Spezialeinheiten und Scharfschützen umstellt. Die Polizei hat sich selten so blamiert.

Das haben die Medien so dargestellt. Aber so einfach war das nicht. Dass da unten noch ein Tunnel war, war überhaupt nicht absehbar.

Auf der Sonderkommission Coba lastete vermutlich ein riesiger Erfolgsdruck?

Das kann man so sagen. Der damalige Polizeipräsident …

Hagen Saberschinsky …

… hat sich auf einer Pressekonferenz zu dem Satz erdreistet: Ich ziehe denjenigen die Ohren lang, die das nicht aufklären. Das kommentiere ich hier besser nicht. Fakt ist: Wir bekamen ziemlich schnell 60 Leute zur Verfügung gestellt.

Wer ist als Erster in den Tunnel rein?

In den 100 Meter langen Regenwasserkanal haben wir erst einen Roboter von den Wasserwerken reingeschickt. Mit Kamera. Ganz vorsichtig. Wir wussten ja nicht, ob da drinnen vielleicht Fallen eingebaut sind. Das waren hochprofessionelle Täter. Man musste mit jeder Schweinerei rechnen. War aber nicht. Die waren wohl froh, mit dem Geld zu entkommen. Im restlichen Teil des Tunnels, den die eigenhändig gegraben hatten, mussten meine Leute krauchen.

Der Schacht hatte einen Durchmesser von einem Meter – nichts für Klaustrophobiker. Wie war der Tunnel von innen gesichert?

Der Stollen war gut gemacht. Wände und Decken waren mit Holzbohlen abgestützt. Aber man musste damit rechnen, dass was einstürzt. Die Täter hatten ja selber zweimal eine Panne, wie wir später erfahren haben.

Was war passiert?

Einmal ist Sand nachgerutscht. Dabei ist einer fast erstickt. Ein anderes Mal ist Regenwasser eingedrungen. Einer ist fast ertrunken.

Nach 190 Metern mündete der Tunnel in einer Garage. Dort war der völlig unscheinbare Ausstieg.

Die Garage war für unsere Ermittlungen der rote Faden. Wir wussten schnell, dass sie von einer fiktiven Person angemietet worden ist. Vormieter war ein Bruder des Haupttäters Khaled Al-B. So ist der Syrer, von Beruf Röntgenassistent, in den Fokus der Ermittlungen geraten. Er hatte schon Anfang der 90er-Jahre von dem Plan gesprochen, als er wegen einer Drogensache im Knast saß: Man müsse mal nach Rififi-Art eine Bank ausrauben. Der Röntgenassistent hat sich die Hände aber nicht schmutzig gemacht. Gebuddelt haben zwei seiner Brüder, ein weiterer Syrer mit dem Spitznamen Momo, ein Deutscher und zwei libanesische Brüder. Der eine, Ibrahim, war so korpulent, dass er stecken zu bleiben drohte. Darum hat er sich darauf verlegt, die Sandsäcke rauszutragen, die auf Skateboards zum Tunnelausgang geschoben wurden.

Die Bauarbeiten haben über ein Jahr gedauert. Wie erklären Sie sich, dass niemand was mitbekommen hat?

Einmal gab es einen Erdrutsch. Eine kleine Absackung. Passanten haben es dem Tiefbauamt gemeldet. Eine Baufirma hat das in Ordnung gebracht. Von oben. Die unten haben dann erst mal eine Pause gemacht.

Die Beweise gegen die Familie Al- B. waren zunächst sehr dünn.

Durch Telefonüberwachung haben wir einiges mitbekommen, aber das reichte nicht. Nach dreieinhalb Wochen dann ein Jubelschrei im Landeskriminalamt: An einem der Schläuche, mit denen der Tunnel belüftet worden war, hatte sich ein Fingerabdruck gefunden. Da unten war ja ein Haufen Kram. Leere Cola-Dosen, Schläuche, Verlängerungsschnüre, um Licht zu machen. Aber nirgendwo war ein Fingerabdruck. Die haben ganz streng mit Handschuhen gearbeitet. Aber irgendwann macht jeder einen Fehler. Damit hatten wir den zweiten Al-B. Bruder.

Was gab es noch für Indizien?

Aus einer vertraulichen Quelle wussten wir, dass einer der Täter jemandem gegen Bezahlung den Auftrag gegeben hatte, auf einem Holzplatz Holzbohlen zu klauen. Und es gab einen Hinweis auf den Hilfsarbeiter Momo. Den hatten die anderen für die richtigen Drecksarbeiten eingesetzt und ziemlich übel über den Leisten gezogen.

Statt der versprochenen 200.000 Mark soll er 1.500 bekommen haben.

Momo hat als Einziger eine Aussage gemacht. Am 20. Juli, noch in der Nacht seiner Festnahme, hat er ausgepackt. Danach ging die Maschinerie los, und wir haben einen nach dem anderen abgepflückt. Die waren ja alle in Berlin. Außer Ibrahim. Der hatte sich in den Libanon abgesetzt, hat sich aber später freiwillig gestellt.

Beinahe wäre das schief gegangen.

Das war an einem Sonntag. Ich kriege vom Bundesgrenzschutz am Flughafen in Frankfurt a. M. einen Anruf: Da ist ein Mann, der sagt, er werde gesucht. Wegen der Tunnelgeschichte in Berlin. Die erste Reaktion der BGS-Beamtin war: Ja, ja, April, April. Danach hat er verzweifelt den nächsten angesprochen: Mensch, ich werde gesucht, mit Haftbefehl. Der Beamte hat dann endlich mal in seinen Computer geguckt. Ich habe mich sofort ins Flugzeug nach Frankfurt gesetzt und ihn ans Handgelenk geschnallt und abgeholt.

Das nennt man Einsatz.

Ich hatte die Hoffnung, wenn er sich selbst stellt, erzählt er vielleicht noch was. Hat er aber nicht.

Was war mit der Beute?

Dafür hat sich die Presse immer besonders interessiert. Uns ging es in erster Linie darum, die Straftat aufzuklären. Die Wiederbeschaffung der Beute ist eigentlich Sache der Versicherung.

Bis heute ist unklar, wie viel genau aus der Bank eigentlich rausgeholt worden ist.

Die Schlachtenseer Bürger haben natürlich keine Auskunft darüber gegeben, was sie in ihren Schließfächern gelagert hatten. 200 Fächer sind komplett ausgeräumt worden. Das Einzige, was feststeht, ist das Lösegeld: 5,62 Millionen Mark. Insgesamt haben wir immer eine Summe von 10 Millionen vermutet. 5,3 Millionen konnten wir wiederbeschaffen. Mehr als die Hälfte war auf einem Dachboden in Wusterwitz in Brandenburg versteckt. Ein Teil ist in Polen aufgetaucht, einzelne Scheine verstärkt in Holland und im Schwarzwald. Der Rest ist vermutlich in Syrien beziehungsweise im Libanon gelandet.

Da gab es noch so eine Geschichte mit einem BMW.

Wir hatten den Hinweis, dass die Täter einen BMW von Hamburg nach Syrien verschifft hatten. Ich bin mit einem Kollegen nach Livorno geflogen. Dort haben wir das Schiff im Hafen gestoppt. Unterstützt von italienischen Polizisten, sind wir in drei, vier Etagen zwischen hunderten von Autos rumgekrochen. Die standen eng an eng. Es war mitten im Sommer und tierisch heiß. Aber wir hatten Glück. Nach einer halben Stunde hatten wir den Wagen. Spezialisten von BMW haben den dann völlig auseinander genommen. Aber es war nichts drin.

Waren Sie auch mal im Libanon?

Nein, aber in Syrien. Wir hatten erfahren, dass ein Teil der Beute im Lichtschacht eines Hauses der Al-B.s versteckt ist. Ich bin erst rübergeflogen, als die syrische Polizei das Geld schon gefunden hatte. „Hier ist es“, hat der Polizeipräsident von Damaskus gesagt und eine Mülltüte auf seinen Schreibtisch gestellt. Wir mussten erst mal zählen. 900.000 Mark waren es. Ob das alles war, was sichergestellt worden ist, wissen wir natürlich nicht. Dann bin ich zum Basar und habe für 13 Mark einen Koffer gekauft. Ich konnte doch nicht mit dem Geld in einer Mülltüte nach Hause fliegen.

Wie hat Ihnen Damaskus gefallen?

Man hat gemerkt, Syrien ist ein Polizeistaat. Überall standen sie mit ihren MPs. Man fühlte sich nicht so recht wohl. Wir sind aber trotzdem mit einem hohen syrischen Beamten von Interpol essen und Wasserpfeife rauchen gegangen. Sie müssen dafür sorgen, dass in Deutschland in der Presse steht: Die Syrer haben gut mitgearbeitet, hat er zu uns gesagt. Das haben wir gemacht. Das war ja wirklich so.

Sind Sie nach der Aufklärung des Falls befördert worden?

Meinen höchsten Dienstgrad hatte ich schon 1985 erreicht. Weiter als bis zum Ersten Kriminalhauptkommissar ging es für mich nicht mehr. Aber für meine Leute und mich war es eine persönliche Genugtuung. Wir haben es unseren hochintelligenten Gegnern gezeigt. Die Täter waren super, aber wir waren noch besser. Und wir haben einen Beitrag zur Wiederherstellung des Ansehens der Berliner Polizei geleistet, über die so viel Häme ausgegossen worden ist.