Der tägliche Radslalom durch die Stadt

Der Umweltverband BUND hat untersucht, auf welchen Straßen es sich gut Rad fahren lässt. Für Stadtteile wie Neukölln oder Friedrichshain ist das Ergebnis wenig schmeichelhaft. Auch auf Hauptstraßen fehlen Radstreifen. Die Verwaltungen schieben Geldnot vor, lassen aber Fördergelder verfallen

von ULRICH SCHULTE

Jeder Fahrradfahrer kennt das Gefühl: Man biegt in eine Straße ein – sagen wir in den Kottbusser Damm – und fühlt sich wie eine Antilope, die aus Versehen in einen Betriebsausflug einer Löwengang geraten ist. Radstreifen gibt’s nicht, vorn parkt ein Lkw, von hinten schießt ein Auto heran. Im April hatte der Umweltverband BUND einen Plan vorgelegt, der jede Straße der Stadt auf ihre Radtauglichkeit prüft. Jetzt leiten die Radlobbyisten daraus nötige Maßnahmen ab, die zeigen: Viele Bezirke sind längst kein radfreundliches Pflaster.

Die Analyse zeitigt die Ironie, dass sich Naturschützer für Asphalt stark machen: Die Stadt brauche 32 Kilometer neue Radstreifen, außerdem müssten 13 Kilometer Kopfsteinpflasterstrecke neu asphaltiert werden, um wichtige Netzlücken zu schließen, fordert der BUND. Vor allem die Bezirke hätten die Zeichen der Zeit nicht verstanden – selbst Hauptverkehrsstraßen in den Zentren seien zum Teil unzumutbar: „Einige Bezirke sind in der Planung und Umsetzung weit zurück“, sagt BUND-Radexperte Tilo Schütz. Radfahren sei mancherorts lebensgefährlich und unattraktiv. „Gleichzeitig lassen die Bezirke Geld zum Ausbau des Radverkehrs verfallen.“ Im nächsten Jahr drohe ein Fördertopf von derzeit 2,77 Millionen Euro auf 2,5 Millionen gekürzt zu werden.

Während der Senat ein Hauptroutennetz zentral plant und im Innenstadtring bis 2006 fertig stellen möchte, sind die Bezirke für die kurzen Wege und Nebenstrecken zuständig. Sie wursteln dabei meist im Alleingang vor sich hin: Zwar kümmern sich Arbeitsgruppen um Belange von Radfahrern, reden aber selten mit den Nachbarn. Auf der Wilhelmstraße prangt in Mitte ein komfortabler Radstreifen, an der Grenze zu Kreuzberg endet er abrupt. „Die Absprache funktioniert auch deshalb nicht, weil manchmal der Baustadtrat zuständig ist, manchmal die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung, manchmal andere Planer“, sagt BUND-Verkehrsreferent Martin Schlegel.

Bezirke wie Schöneberg oder Wilmersdorf sind dank asphaltierter Straßen und ruhiger Nebengassen im Vorteil, in anderen herrscht die Kopfsteinpflasterwüste. Besonders drastische Beispiele sind Friedrichshain und Neukölln (s. Kästen). Dabei lässt der BUND bezirkliche Finanznöte nicht gelten, oft mangele es schlicht an Aufgewecktheit. „Die Verwaltungen müssen das Verkehrsmittel Fahrrad mitdenken“, sagt Schütz. Sonderzuweisungen des Senats für den Straßenbau böten genug Möglichkeiten.

Um den Radweg-Flickenteppich auszubessern, sei es zum Beispiel dringend nötig, auf Hauptverkehrsstraßen wie der Müller-, Turm- oder Karl-Marx-Straße Radstreifen anzulegen. Straßen mit Kopfsteinpflaster wie die Simon-Dach- oder Mariannenstraße brauchten eine Asphaltdecke. Selbst auf dem engen Kottbusser Damm bliebe nach den Berechnungen der Radlobbyisten neben einem 1,60 Meter breiten Radstreifen für die Autos ein „überbreiter Fahrstreifen“. Einziger Nachteil für die Motor-Fans: Zwei Lkws könnten sich dann nicht mehr überholen.

Die komplette BUND-Analyse gibt’s im Internet unter www.bund-berlin.de.