„Beißend süßlich“

Torsten Barthels Kommentierung des sachsen-anhaltischen Begräbnis- und Bestattungsrechts liest sich wie ein Roman. Schade, dass das Werk wohl nur von Landesbeamten gelesen werden wird

INTERVIEW VON MARTIN REICHERT

Assessor jur. Torsten F. Barthel, 40, ist Geschäftsführer der BA Kommunalberatung mit Sitz in Berlin. In dieser Funktion verfasste er den Begräbnis-Kommentar.

taz: Herr Barthel, wie erkennt man eigentlich eine Leiche?

Torsten F. Barthel: Zum Beispiel an grünlichen Flecken auf der Bauchdecke. Es entsteht ein gewisser Geruch nach einer Zeit, das Aufquellen …

Wie ist denn der Geruch, steht das auch in Ihrem Buch?

Ja. Beißend-süßlich. Der Tod ist irgendwann offensichtlich, die Ursache weniger. Viele unnatürliche Todesarten werden gar nicht entdeckt, man vermutet, dass zwanzig bis dreißig Prozent der unnatürlichen Todesfälle gar nicht erkannt werden, weil die vorgeschriebene Leichenschau nicht richtig durchgeführt wird.

Wer sieht sich schon gerne Tote an.

In Sachsen-Anhalt muss jeder Arzt bereit sein, eine Leichenschau durchzuführen, auch ein Augenarzt. Die Ärzte haben oft keine Lust. Die Leiche wird dann nicht richtig ausgekleidet, nicht umgedreht und auch die Körperöffnungen werden nicht untersucht.

Das muss man auch?

Ja, komplett. Sonst kann nicht festgestellt werden, ob ein Fremdeinwirken zum Tod geführt hat.

Genug davon! Das Begräbnis- und Bestattungsrecht liegt für die meisten von uns völlig im Dunkeln.

Ja, und deshalb werden die Behörden auch mit Fragen überschwemmt. Etwa zur Flugbestattung.

Bitte?

Das ist eine Unterform der Weltallbestattung. Ein Teil der Asche wird in eine etwa fingerhutgroße Urne gepresst und dann von Raketen, die in Houston starten, ins Weltall gebracht, wo sie verglühen. Eine Untervariante sieht vor, dass die Asche im Weltall ausgestreut wird, allerdings nur ein Teil der Asche. Dann gibt es noch die Weltallbestattung, bei der die Miniurne auf alle Ewigkeit im Weltall kreist.

Das ist doch nach deutschem Recht nicht erlaubt?

Nein, aber es gibt Möglichkeiten, die gesetzlichen Bestimmungen zu umgehen. Es ist völlig legal, Bestattungen oder Einäscherungen in Polen oder den Niederlanden durchführen zu lassen.

Im Weltall ist die tote Großmutter dann immer noch nicht.

Richtig, denn der deutsche Gesetzgeber geht vom Bestattungszwang aus und auch vom Friedhofsbenutzungszwang, das heißt, ich darf die Urne mit der Asche nicht wieder mit nach Hause nach Deutschland nehmen und auf den Kaminsims stellen.

Das heißt: Ich bringe die Oma nach Polen, lasse sie dort verbrennen und bringe sie illegal wieder zurück, und niemand fragt mich mehr danach?

Da fängt dann die Grauzone an.

Eine Ordnungswidrigkeit?

Das Nichtbestatten ist eine Ordnungswidrigkeit, das Einführen oder Mitnehmen ist erst mal nicht ordnungswidrig.

Das heißt, wenn ich mit der kremierten Oma an der Grenze erwischt werde, passiert mir gar nichts?

Nein. Das ist völlig legal. Bei der Ausfuhr muss es ein Leichenwagen sein. Bei der Einfuhr kann die Asche auch in einer Kaffeedose sein. Man müsste sie nur entsprechend zur Bestattung auf einem Friedhof abliefern. Man kann die Urne aber offiziell als verloren gegangen anmelden. Die örtliche Ordnungsbehörde könnte dann eine Hausdurchsuchung beantragen. Aber wahrscheinlich wird sie die Urne nicht finden …

Weil sie längst im Weltall kreist.

Theoretisch wäre das möglich, ja.

Sachsen-Anhalt wollte den Friedhofszwang liberalisieren. Und nun?

Das Gesetz liegt auf Eis. Die Kirchen leisten großen Widerstand. Sachsen-Anhalt wollte den Urnenzwang, also den Friedhofszwang, aufheben und hat auch daran gedacht, private Begräbniswälder zuzulassen. Auch Kremationseinrichtungen und Friedhöfe in privater Trägerschaft, wie in Nordrhein-Westfalen.

Und wenn nun der Sachsen-Anhalter früh aufsteht und die Urne einfach wieder ausbuddelt?

Das ist geregelt im Strafgesetzbuch: Störung der Totenruhe, das kann mit Freiheits- oder Geldstrafe geahndet werden – man ist dann vorbestraft! Der Schutz der Totenruhe wird extrem hoch bewertet.

Was bedeutet das genau?

Es gibt einen Fall, wo in einem Familiengrab eine falsche Leiche bestattet wurde, die da also gar nicht reingehört hat, und dann haben die Familiengrabnutzer – also die Angehörigen natürlich, die noch leben – verlangt, dass die Leiche wieder ausgegraben wird, weil sie ja sozusagen als Fremdleiche – oder wie man so schön sagt: Gastleiche – im falschen Grab lag. Der Totenschutz wurde dann höher bewertet als die Fehlbelegung des Grabes, und die fremde Leiche musste im falschen Grab liegen bleiben.

Freud interpretierte solche gesetzliche Regelungswut als Abwehrreaktion, also als Angst vor dem Tod.

Ich denke, es ist zum einen die allgemeine deutsche Regelungswut, aber auch der Einfluss der Kirche. Insbesondere der katholischen Kirche, die sich allen Neuerungen vehement entgegenstellt – mit Erfolg.

Kein Widerstand?

Viele Bürger möchten das Thema enttabuisieren und sagen: Wir wollen den Tod als Bestandteil des Lebens auch entsprechend würdigen, sodass zum Beispiel Sargunternehmen in Berlin regelrechte Bestattungsevents anbieten. Man kann dort mit den Kindern hingehen und Särge bemalen. Es gibt zu trinken und zu essen, es gibt Musik et cetera …

Die Kulturkritik irrt, wenn sie sagt, dass der Tod tabuisiert wird?

In Teilen der Bevölkerung wird das lockerer angegangen, das ist richtig. Die Bestattungsunternehmer gehen auf diese Wünsche ein, machen mehr Werbung. Die heißen dann auch nicht mehr „Pietät Hoffmann“, sondern Sarg-Discount oder Billigsarg – das hat auch mit dem Wegfall des Sterbegeldes zu tun, seitdem hat die Zahl der anonymen Bestattungen erheblich zugenommen.

Geiz ist geil – auch beim Tod?

Ja, aber man möchte auch weg vom religiösen Beigeschmack des Friedhofs, viele wünschen sich auch einen Trauerredner statt eines Pastors. Eine Tendenz der Säkularisierung.

Insbesondere im Osten?

Ja. Die Feuerbestattung hat sich dort zum Beispiel flächendeckend durchgesetzt, in Bayern ist sie nach wie vor verpönt.

Die Feuerbestattung wurde im 19. Jahrhundert eingeführt, eine agnostische Erfindung?

Ja, der große Durchbruch kam aber erst im 20. Jahrhundert. Sowohl die Nazis als auch die SED haben die Feuerbestattung regelrecht propagiert, da musste jeder Bürger auf die Vorteile der Feuerbestattung hingewiesen werden. Das war kostengünstiger. In der DDR ging es aber auch um die Zurückdrängung kirchlichen Einflusses. Jeder sollte seinen Platz in der „sozialistischen Gräbergemeinschaft“ bekommen, so nannte man das.

Stimmt es denn, dass der so genannte Urnenzwang auf die Nazis zurückgeht?

Nein, aber die rechtliche Ausgestaltung des Friedhofrechts geht praktisch auf die Nazis zurück. Seitdem hat man dann das Friedhofswesen in das Anstaltsrecht integriert, der Friedhof wurde kommunale Anstalt mit „Benutzungszwang“.

Werden durch das Friedhofs- und Bestattungsrecht individuelle Grundrechte eingeschränkt?

Ja, mehrere. Die Religionsfreiheit in Bezug auf Einschränkungen der Bestattungsmöglichkeiten etwa. Dann natürlich das Selbstbestimmungsrecht, das so genannte postmortale Persönlichkeitsrecht.

Eine goldene Elvis-Statue als Grabstein geht nicht, auch wenn das so im Testament steht?

Auch die Gestaltungsvorschriften sind stark reglementiert. Man begründet das mit dem einheitlichen Erscheinungsbild und dem Charakter des Friedhofs als Grünanlage und dem Pietätsgedanken. Sehr traditionalistisch.

Ist das Lebenspartnerschaftsgesetz in das Bestattungs- und Friedhofsrecht integriert?

Der Gesetzgeber tut sich sehr schwer mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz. In manchen Bundesländern hat man den eingetragenen Lebenspartner anerkannt, sowohl als Bestattungspflichtigen als auch als Bestimmungsberechtigten. In Sachsen-Anhalt hat man das Gesetz wider besseres Wissen komplett ignoriert.

Hört sich ganz schön vermodert an.

Das Friedhofsrecht hat bisher ein Schattendasein geführt, es gibt nur sechs bis sieben einschlägige Kommentierungen zu unterschiedlichen Bestattungsgesetzen, die stauben nur so vor Muff. Das Standardwerk, das „Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts“ von Jürgen Gaedke – der übrigens gerade im Alter von 90 Jahren verstorben ist – liest sich entsprechend. Ich habe versucht, diese Diktion zu brechen, kritisch an die aktuelle Gesetzgebung heranzugehen, aktuelle Tendenzen außerhalb der Fachwelt aufzugreifen. Im taz.mag übrigens habe ich zu diesem Thema viel gefunden, da scheint es ja regelrechte Fans der Friedhofskultur zu geben.

Wie möchten Sie selbst einmal bestattet werden?

Traditionelle Erdbestattung. Ich bin evangelisch und möchte es auch bleiben.

Sie haben sich nun lange mit Toten beschäftigt …

Teilweise hatte ich Albträume, ich habe alle möglichen Menschen aus meiner Umgebung sterben sehen. Während des Schreibens habe ich eine Flasche Wein pro Tag verbraucht.

MARTIN REICHERT, 32, ist taz-Autor