Der Fluchtweg führt durch die Büsche

„Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“ ist eine kleine, unverbindliche Filmfantasie – ein passendes Spätwerk für Patrice Leconte

Das Haus des Herrn Manesquier ist viel zu groß für einen Mann, der allein wohnt. Während es allmählich verfällt, erzählt es noch von dem Leben, das hier einmal stattgefunden hat, von bürgerlicher Kultur und gediegener Einrichtung, von gutem Essen und von Spielen im Garten.

Die kleine französische Stadt, in der das Haus des Herrn Manesquier steht, hat sonst nicht viel zu bieten. Mit einiger Folgerichtigkeit gerät der schweigsame Mann, der eines Tages aus dem Zug steigt, nicht in ein normales Hotel, sondern an die Tür, die in das Anwesen von Herrn Manesquier führt. Die beiden Männer finden sofort Gefallen aneinander, obwohl sie anfangs keine Ahnung haben können, woran sie miteinander sind.

Milan (Johnny Hallyday) ist ein Gangster. Er ist allein angereist, aber er ist mit einer Bande verabredet, um eine Bank zu überfallen. Monsieur Manesquier, der pensionierte Lehrer, hat bei dieser Bank seine Ersparnisse. Regelmäßig geht er zum Schalter und hebt ein wenig Geld ab. Hartnäckig verfolgt ihn dabei die Fantasie, er könnte selbst einmal einen Banküberfall riskieren. Sein Fluchtweg wäre nicht lang, ein paar Mal um die Ecke und dann hinein in die Büsche, die vor seinem Haus stehen. Milan wirkt wie ein Mann, der direkt aus der Fantasiewelt des Herrn Manesquier kommt. Darauf spielt der deutsche Titel des neuen Films von Patrice Leconte an: „Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“ heißt im französischen Original ganz einfach „L’homme du train“.

Diese Lakonik ist die zentrale Idee. Leconte lässt einfach einen Mann aus einem Zug aussteigen, ein wenig durch die Stadt irren, an eine Tür kommen und eintreten. Nur ganz allmählich bekommt diese Begegnung eine Vorgeschichte, eine soziale Dimension und schließlich eine Frist: Der geplante Banküberfall soll zur gleichen Zeit stattfinden, in der Herr Manesquier am Herzen operiert werden muss. Drei Tage bleiben also, um ein wenig aus der Reserve zu gehen.

Nicht nur mit der Eingangsszene bedient sich Patrice Leconte bei den Stereotypen des Western. Seine Hauptfigur, der Gangster Milan, ist so einsilbig, wie es die Männer waren, die lange Zeit am Rand der Zivilisation zugebracht haben. Johnny Hallyday gibt der Figur des Milan eine markante Physiognomie, aber auch eine Neugierde und Offenheit, die ihn von den harten Jungs unterscheidet, die auf seine Mithilfe bei dem geplanten Coup bauen. Für Jean Rochefort ist der Monsieur Manesquier ein Inbegriff des Rollenbilds, für das er steht: ein distinguierter, aber leicht nachlässiger Herr, dessen Ironie nicht über seine Bedürfnisse gesiegt hat. Manesquier ist keineswegs ein resignierter Mann, der milde über seine Narreteien lächelt. Er hat sich auch nicht völlig zurückgezogen. Er isst in der Stadt (von der Leconte so wenig wie möglich zu sehen gibt), er unterhält eine Verbindung mit einer Frau, er stellt sie Milan schließlich sogar vor. An den Wegen, die von Beginn an vorgezeichnet sind, ändert diese Begegnung nichts.

„Das zweite Leben des Monsiquer Manesquier“ ist eine kleine, unverbindliche Fantasie, ein passendes Spätwerk für Patrice Leconte, dessen Kino immer stark von männlichen Projektionen geprägt war. Hier stellt er einfach zwei Figuren gegenüber, die füreinander anfangs geheimnisvoll sind. Das Publikum muss sogar beide Hauptfiguren unweigerlich mysteriös finden, befindet sich also in der Position von unbeteiligten Zeugen, die ihre Sympathien frei verteilen und den Suspense der Geschichte genießen können. „Das zweite Leben des Herrn Manesquier“ zielt allerdings ganz klar auf Balance, auf einen Ausgleich zwischen dem gelebten und dem ungelebten Leben, zwischen der Einsamkeit des Bürgers und des Gangsters. Der Mann aus dem Zug nimmt den Mann in dem Haus mit auf einen Weg, von dem es keine Rückkehr gibt. „Das zweite Leben des Herrn Manesquier“ ist auch denkbar als eine Geistergeschichte, von der am Ende nur ein verwunschenes Haus übrig bleibt, in dem zwei schemenhafte Herren nachts an die Whisky-Vorräte gehen. BERT REBHANDL

„Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“, Regie: Patrice Leconte. Mit Jean Rochefort, Johnny Hallyday u. a., Frankreich 2002, 90 Min.