Florierendes Gewerbe im Dixie-Puff

Im Industriegebiet Köln-Niehl gehen Huren ihrem Gewerbe in städtischen „Verrichtungsboxen“ nach, umsorgt vom Sozialdienst Katholischer Frauen

Die Arbeit auf dem Strich ist durch die erhöhte Sicherheit attraktiver geworden

AUS KÖLN LUTZ DEBUS

Einzelne Schneeflocken treiben im kalten Dezemberwind. Die Geestemünder Straße in Köln-Niehl liegt mitten in einem Industriegebiet. Kein Fußgänger weit und breit an diesem Montagmorgen. Einzelne LKW von der benachbarten Spedition brausen vorbei. Neben einem Metallgitterzaun, der mit grüner Plastikplane bespannt ist, führt eine schmale Zufahrt auf das Gelände. 100 Meter Straße, eine Kurve, eine Lagerhalle, eine Kurve, wieder 100 Meter Straße, die Ausfahrt. An der Straße einige Haltestellenhäuschen, einige Straßenlaternen. Ein paar alte dreckige Küchenstühle stehen verloren am Bordstein. An drei Stellen hat die Behörde ein Blechschild aufgestellt.

Dieses Gelände stellt die Stadt Köln Prostituierten zur Verfügung. Unentgeldlich. Über ihren Schutz und die Einhaltung des Haus- und Platzrechts wachen MitarbeiterInnen der Stadt Köln, der Polizei und des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). Vor vier Jahren hat die Stadt Köln die so genannten Verrichtungsboxen eingerichtet, ein bundesweit einmaliges Projekt.

Sechs Garagen, nach oben und nach hinten offen. Ein hoher Bordstein sorgt dafür, dass nur die Beifahrertür zu öffnen ist, wenn das Auto mit der Vorderseite nach vorne eingeparkt ist. Die Fahrertür ist durch die nahe Seitenmauer blockiert. An der Rückwand der Garage ist ein roter Alarmknopf befestigt, direkt neben einer grauen Stahltür. Diese ist nur von der anderen Seite zu verschließen. In dem Raum hinter den sechs Garagen haben Männer keinen Zutritt. Da gibt es Waschbecken, Toiletten und Duschen, Schließfächer und einen Münzautomaten, in dem für 50 Cent Spritzbestecke gezogen werden können.

„Als der Straßenstrich früher auf dem Ebertplatz nahe der Innenstadt angesiedelt war, standen da fast nur drogensüchtige Frauen. Hier auf der Geestemünder Straße drücken nur noch etwa 50 bis 60 Prozent der Prostituierten.“ Sabine Reichert sitzt in einem Korbsessel in der eher spartanisch eingerichteten Cafeteria. In dem Container auf dem Gelände gibt es belegte Brötchen und Beratungsgespräche, heiße Getränke und Kondome. Die Sozialpädagogin und ihre Kolleginnen und Kollegen sind an sieben Nächten in der Woche Ansprechpartner für die Frauen.

Wenn der Alarmknopf erklingt, eilen die Huren, die Polizisten und Sozialarbeiterinnen sofort zu der entsprechenden „Verrichtungsbox“. Meist wird dann ein Freier in einer für ihn prekären Situation angetroffen. Den Versammelten muss er dann erklären, wie es zum Auslösen des Alarmsignals gekommen ist. Oft sind es Streitigkeiten über nicht erbrachte Dienstleistungen oder über den entrichteten Preis. „Früher endeten solche Situationen für die Frauen häufig dramatisch“, erklärt Sabine Reichert. Jede Woche sei im Schnitt in Köln eine Frau vom Straßenstrich Opfer einer Gewalttat geworden. Nötigung, Vergewaltigung, Körperverletzung, Mord.

Seit den vier Jahren, in denen der Strich im Kölner Norden ist, habe es nur 20 bis 25 registrierte Übergriffe gegeben. Erheblich weniger als früher, aber immer noch zu viel. Das Gelände darf nur mit Personenkraftwagen ohne Anhänger, Motorrädern und Fahrrädern in Schrittgeschwindigkeit befahren werden.

Nachts um 11 auf der Geestemünder Straße. Vom protzigen Daimler bis zum altersschwachen Skoda – alle Autos rollen im ersten Gang an den Prostituierten vorbei. Die älteste Frau hier, so berichtet Sabine Reichert, ist 62 Jahre alt. Die jüngste nicht unter 18. Das überwacht die Polizei. Die taucht unvermittelt auf dem Gelände auf. Von unbekannten Prostituierten lässt sich ein Beamter schon mal den Ausweis zeigen. „Emigrantinnen ohne Aufenthaltsgenehmigung und Minderjährige kommen hier nicht hin. Die arbeiten eher in Clubs oder Appartments“, sagt Sabine Reichert. Insofern sei auch die Behauptung absurd, die Stadt unterstütze den Menschenhandel.

Dann zeigt Sabine Reichert zwei kleine Kammern. Keine Tür, nur eine Maueröffnung. Zwei Quadratmeter. Ungeheizt. Weiß gestrichene Wände. Eine Parkbank aus grünem Drahtgeflecht. „Nicht erschrecken. Dies sind die Verrichtungsboxen für Fahrrad- und Motorradfahrer.“ Früher habe sie gedacht, dass nur Männer zu Prostituierten gehen, die sonst keine Frau abbekommen. Das glaubt sie heute nicht mehr. „Warum aber sucht sich ein Mann eine Frau aus, die völlig fertig ist? Die keinen Zahn mehr im Mund hat?“

Der klassische Zuhälter mit Goldkettchen und dem Straßenkreuzer mit abgedunkelten Scheiben hat es auf der Geestemünder Straße schwer – allein schon wegen der Schritttempo-Regel für Autofahrer. Aber natürlich haben viele Frauen hier ihre „Freunde“. Die drohen schon mal fernmündlich ihrer „Freundin“, nicht mit zu wenig Geld nach Hause zu kommen. Einige Frauen, erzählt Sabine Reichert, trauen sich nur für wenige Minuten in den Container des SkF, um sich aufzuwärmen.

Aber es kommen auch Frauen auf den Platz, die nicht in das gängige Klischee passen. Gerade durch Hartz IV habe es einen Zulauf an Gelegenheitsprostituierten gegeben. Sabine Reichert weiß von einer Frau zu berichten, deren Mann arbeitslos geworden ist. Sie kommt nun regelmäßig, um das Eigenheim weiter abbezahlen zu können. Die Arbeit auf dem Strich ist durch die erhöhte Sicherheit attraktiver geworden. In Clubs müssen Frauen sich an Arbeitszeiten halten, einen nicht unerheblichen Teil ihres Lohnes abgeben. Hier arbeiten sie selbstständig. Deshalb kommen auch immer mehr Frauen, die nicht drogensüchtig sind, auf den Platz. Und manche finden den Job gar nicht schlecht. Nicht den Akt als solchen. Eher das Drumherum. Gebraucht zu werden. Zu helfen. Mancher Mann komme auf den Platz, um sich auszusprechen, um nicht so allein zu sein. „Da gibt es Frauen, die arbeiten fast wie Sozialarbeiterinnen, wie Kolleginnen“, sagt Reichert.

Die Frau mit den großen braunen Augen und den langen braunen Locken wirft den Kopf in den Nacken. „Nein, männerfeindliche Sprüche werden Sie von mir nicht hören.“ Wenn man Sabine Reichert so reden hört, scheint hier alles irgendwie menschlich. Dann aber ergänzt sie: „Naja, wenn ein Freier solange im Kreis fährt, bis die Frau vor lauter Entzug zittert, wenn der dann den Preis drückt, ohne Gummi Verkehr will, dann nach Hause zu seiner Frau fährt, die ansteckt, das ist schon verwerflich.“