Vorsichtiges Gewisper

Der Dokumentarfilm „A Different Story“ zeichnet ein Porträt des Sängers George Michael. Die interessanten Fragen lässt der Film allerdings aus, ein Blick unter die Oberfläche gelingt ihm nicht

VON SEBASTIAN FRENZEL

Der Mann ist die perfekte Oberfläche. Noch immer sieht George Michael absolut makellos aus, wie er da in Interview-Pose auf einem weißen Sofa sitzt: Da ist kein Gramm überschüssiges Fett, die Kleidung ist akkurat, die Haut glatt und gebräunt wie eh und je. Wenn die Spitzen seines Drei-Tage-Barts nicht schon leicht ins Graue übergingen, könnte man glatt meinen, man sei in den Achtzigern und vor der Kamera säße kein 41-Jähriger, sondern der junge George Michael aus Wham!-Zeiten.

„A Different Story“ heißt diese Dokumentation von Southan Morris über den britischen Sänger. Das lässt Großes erwarten, kommt jedoch zunächst ziemlich konventionell daher. In chronologischer Reihenfolge führt der Film durch George Michaels Leben. Die Kamera begleitet ihn zu seinem Elternhaus und seiner Schule in einem Londoner Vorort; sein Vater erzählt, wie sich der Teenager gegen ein Studium und für die Musikerlaufbahn entschied. Schön ist es, die alten Wham!-Videos zu sehen, Auftritte bei „Top of the Pops“ Anfang der Achtzigerjahre in Hotpants und neonfarbenen Shirts mit ihren Hits „Young Guns“ oder dem immer noch coolen „Everything She Wants“.

Im Interview vor der Kamera dann ein ganz anderer George Michael, der zurückblickend von seinen Ängsten und seiner Scheu vor öffentlichen Auftritten erzählt, und der noch heute schüchtern und kalkulierend wirkt, als sei er in seinem Leben zu oft verletzt worden. Michael spricht von seinem ersten Solo-Album „Faith“ – mit über 10 Millionen verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Platten aller Zeiten – und man meint, er würde vor Unglück gleich versinken. Man sieht, wie ihm die leicht bedröhnte Madonna mit Kippe im Mundwinkel 1987 den Grammy verleiht, und in diesem Aufeinandertreffen wird deutlich, wie weit er immer vom glamourösen Superstar-Status entfernt war.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere fühlt sich George Michael isoliert und überbewertet; er misstraut seinem Erfolg und weiß nicht, wie er mit seiner Homosexualität umgehen soll. „Ich dachte: Oh Gott, ich bin ein Weltstar und ich glaube, ich bin eine Tunte – was zur Hölle soll ich jetzt bloß tun“, erinnert er sich. Denn so camp Michaels Auftritte waren, so hatte er sich öffentlich nie zu seiner Homosexualität geäußert. Sein Coming-out erfolgte unfreiwillig und Jahre später, als er in L. A. in einer Herrentoilette beim Cruising verhaftet wurde.

Der Film erinnert an die Medienhatz, die damals auf den Musiker niederging. Groß und bigott war die Empörung gerade in den USA, und sicherlich kam sie nicht zufällig zu einer Zeit, da Michael versucht hatte, sich aus dem Vertrag mit seiner Plattenfirma Sony herauszuklagen. Michael konterte damals mit der Single „Outside“ und einem Video, das amerikanische Polizisten knutschend und mit langen Prügeln zeigt. So gelungen diese Reaktion war – etwas mehr hätte man hier gerne erfahren. Michaels ursprüngliche Entscheidung gegen die Proud-to-be-gay-Öffentlichkeit, die viele seiner Kollegen wählen und sein eher erzwungenes Coming-out – das wären interessante Themen gewesen, um wirklich eine „andere Geschichte“ zu erzählen, doch der Film lässt sie ungenutzt.

Auch sonst verläuft dieser Porträtfilm mitunter etwas sehr glatt, was daran liegen mag, dass die Idee zum Film von George Michael selbst kam und der Ausführende Produzent zugleich sein Manager ist. Musikerkollegen wie Elton John, Mariah Carey oder Boy George kommen zu Wort, doch Kritik hört man kaum. Der Streit mit Sony und selbst das dümmliche Bush-Bashing in dem Video „Shoot the Dog“ (2002) werden retrospektiv als Erfolge dargestellt. Ehrlicher und beeindruckender wirken die Szenen, als George Michael vom Tod seiner Mutter oder von seinem Freund Anselmo Fellepa erzählt, der 1993 an den Folgen von Aids starb. George Michael hat viel einstecken müssen in seinem Leben, und man gönnt ihm diesen Film, um seine Sicht der Dinge darzustellen. Ganz schlau wird man aus ihm indes auch nach 93 Minuten nicht. So intim mitunter die Themen, so scheint er doch immer vorsichtig in der Deckung zu verharren; so nah die Kamera an sein Gesicht heranfährt, so scheint der Film doch nur selten unter die Oberfläche dieses Menschen zu gelangen. Aber vielleicht verrät er damit mehr über George Michael als beabsichtigt.

„George Michael – A Different Story“. Regie: Southan Morris. Mit George Michael, Elton John, Mariah Carey. GB 2005, 93 Min.