Misstrauensvotum gegen EU-Terrorliste

Norwegen sieht die Liste nicht mehr als verbindlich an. Differenz gilt Beurteilung von Befreiungsbewegungen

STOCKHOLM taz ■ „Wir haben Brüssel zum Jahreswechsel mitgeteilt, dass für uns die EU-Terrorliste nicht mehr verbindlich ist.“ Diese überraschende Entscheidung machte Norwegens Außenminister Jonas Gahr Støre in dieser Woche in einem Gespräch mit der linken Osloer Tageszeitung Klassekampen bekannt. Die Begründung: eine unterschiedliche Bewertung von Befreiungsorganisationen, wie sie in der Terrorliste der EU einerseits und der UN-Terrorliste andererseits zum Ausdruck komme. „Wir glauben, dass die Rolle, die Norwegen als Vermittler in unterschiedlichen Friedensprozessen spielt, es erforderlich macht, uns an eine Liste zu halten. Und das ist die UN-Liste“, so der Außenminister. Oslos Maklerrolle etwa in Sri Lanka könne damit kollidieren, dass eine der Kriegsparteien „Kandidat für die eine oder andere Liste“ sein könnte. „Das würde unsere Dialogrolle erschweren.“ Norwegen, selbst nicht EU-Mitglied, werde aber in einzelnen Fragen der Terrorbekämpfung mit der EU zusammenarbeiten.

Norwegen hatte die EU-Terrorliste nach dem 11. September 2001 als verbindlich anerkannt. Unterstützung dort genannter Personen oder Organisationen verpflichtete die Justiz zum Einschreiten. Deshalb muss die jetzige Entscheidung der erst wenige Monate alten rot-grünen Regierung als Misstrauensvotum gegen Teile dieser Liste gesehen werden. „Das ist eine klare Richtungsänderung“, meint Bjørn Jacobsen, Mitglied des parlamentarischen Verteidigungsausschusses für den linkssozialistischen Koalitionspartner in der vom Sozialdemokraten Jens Stoltenberg geführten Regierung. Jacobsen hebt hervor, „dass Norwegen nun nicht mehr ungerechterweise oppositionellen Widerstandsbewegungen einen Terrorstempel aufdrücken“ wolle. „Der Befreiungskampf des südafrikanischen ANC würde heute unter die Terrordefinition der EU fallen.“

Begrüßt wurde Oslos Schritt auch von Sys Rovsing Koch, der Vorsitzenden des dänischen Anwaltsverbands und dänischen Sprecherin der Europäischen Rechtsanwaltsvereinigung CCBE, die 700.000 Advokaten vertritt. CCBE hatte kürzlich in einer Resolution gegen die wachsende Tendenz mangelnder Rechtssicherheit in der Antiterrorgesetzgebung protestiert. An der EU-Terrorliste wird vor allem der fehlende Rechtsweg für Einzelpersonen oder Organisationen kritisiert, die glauben, zu Unrecht auf dieser Liste zu stehen.

In Schweden und Dänemark hat dies jetzt zu Aktionen zivilen Ungehorsams geführt, um eine Änderung zu erreichen. In Schweden machten sich 50 Prominente, darunter zwei ehemalige Minister und ein Ex-Staatsanwalt des Internationalen Gerichtshofs in Haag, zu Arbeitgebern des wegen Mitarbeit im Bankensystem al-Barakaat auf der Terrorliste stehenden Somali-Schweden Ahmed Yusuf und überreichten ihm verbotenerweise öffentlich 5.500 Euro Lohn. REINHARD WOLFF

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