„Es ist hübsch, das Publikum zu quälen“

Pen-ek Ratanaruang, Regisseur aus Thailand, ist ein Fan von schlechtem Englisch und Killern aus Zufall. Auch sein Film „Invisible Waves“ erzählt wieder so eine Geschichte von schwachen Helden. Pen-ek Ratanaruangs besonderes Augenmerk gilt dem Moment nach der Aktion, der sonst im Kino oft fehlt

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Ratanaruang, warum wird es in Ihrem Film niemals richtig hell?

Pen-ek Ratanaruang: Als wir das Drehbuch schrieben, dachten wir viel darüber nach, wie wir die Schuldgefühle von Kyoji am besten umsetzen können. Er hat jemanden umgebracht, ist aber kein professioneller Killer. Er fühlt sich schlecht. Also wollten wir, dass es überall, wohin er geht, ähnlich aussieht. Deshalb haben wir entschieden, ihn in Macao wohnen zu lassen und nach Phuket zu schicken. Diese Orte ähneln sich architektonisch sehr. Seine Wohnung, die Kabine auf dem Schiff nach Phuket und das Hotelzimmer in Phuket: Es ist egal, wohin er geht. Es fühlt sich überall gleich an. Und es gibt auch keinen Tag und keine Nacht. Nur einen großen Tag.

Oder vielmehr eine große Nacht.

Genau.

Als Zuschauer leidet man sehr unter all diesen dunklen, klaustrophobischen Räumen. Es gibt kein Entkommen.

Ich war sehr gespannt, wie das Publikum reagieren würde.

Sie wollten, dass sich das Publikum unwohl fühlt?

Wenn man Filme macht, interagiert man mit dem Publikum. Man kümmert sich um sein Publikum. Manchmal ist es hübsch, dem Publikum zu gefallen, manchmal ist es noch hübscher, das Publikum zu quälen. Folter ist auch eine Form der Fürsorge.

Warum gibt es so viel Müll in all diesen Hinterhöfen, in den Gassen, den Hotelzimmern, auf Deck und unter Deck?

Das lag an Christopher Doyle, meinem Kameramann. Er mag das einfach so.

Hätten Sie es zugelassen, wenn Sie es nicht gemocht hätten?

Es war vielleicht nicht besonders realistisch, das zu tun. Sind wir da ein wenig zu weit gegangen?

Ich finde nicht.

Ich mochte den Müll eigentlich auch. Obwohl es keinen besonderen Grund gab, ihn zu zeigen.

Warum sprechen alle Figuren in Ihrem Film fast immer in sehr schlechtem Englisch miteinander?

Die Welt ist einfach so. Ich lebe so. Ich lebe in Bangkok, und trotzdem spreche ich die Hälfte des Tages schlechtes Englisch mit meinen Freunden. Und auch auf den Filmfestivals spreche ich schlechtes Englisch. Alle sprechen heute schlechtes Englisch. Ich finde schlechtes Englisch einfach charmant. Es ist eine ganz neue Sprache. Ich habe sogar die Schauspieler ermutigt, in meinem Film schlechtes Englisch zu sprechen und nicht zu viel zu üben. Und ich habe mich dagegen gewehrt, einen Coach für die Dialoge einzusetzen.

Man weiß auf diese Weise nie ganz genau, woher diese Figuren kommen und warum es sie an die Orte, an denen sie leben, verschlagen hat. Das lässt sie manchmal verloren wirken.

So leben die Menschen heute. Danach muss man sich richten. Es ist nicht mehr ihr Pass, der die Menschen heute trennt, es ist ihr Geschmack. Ich werde meinen Film auch in Somalia zeigen und bin mir sicher, dass er dort von genauso vielen Menschen verstanden wird oder nicht verstanden wird wie in Thailand auch.

Aber ist Geschmack nicht auch eine Frage des Geldes?

Überhaupt nicht. Nicht jeder kann sich aussuchen, wo er leben will. Und trotzdem haben die reichsten Menschen oft den schlechtesten Geschmack.

Auch wieder wahr. Aber zurück zu Kyoji. Dieser Mann ist nett, sanft und weise. Und trotzdem bringt er seine Freundin um. Wer sind eigentlich die Guten und wer sind die Bösen in Ihrem Film?

Es gibt kein Gut und kein Böse. Jeder handelt so, wie die Situation es verlangt. Kyoji ist vor allem sehr schwach. Er hat Angst vor seinem Chef. Deshalb wirkt er im Film meistens wie ein Geist. Erst am Ende, als er sterben will, wird er wieder lebendig. Selbst Lizard, sein Mörder, ist kein Böser. Er ist ein Killer, weil er seinem Auftraggeber gegenüber loyal ist.

Außerdem ist ihm meist langweilig und er sagt oft, dass er eigentlich zu faul zum Töten ist.

Das Killen ist nur ein Job für ihn.

Darin erinnert er ein wenig an die Helden von Quentin Tarantino.

Ja, genau. Die Killer bei Quentin Tarantino benehmen sich auch wie Zahnärzte.

Kyoji ist ein Koch, der unfreiwillig zum Killer wird, Noi, die Heldin ihres zweiten Films „6ixtyNin9“, ist eine einfache Angestellte, die fast aus Versehen einen Mafiosi nach dem anderen umbringt. Was fasziniert Sie so an diesen alltäglichen Helden, die nur durch dumme Zufälle aus ihrer Normalität gerissen werden?

Ich glaube, meine Plots sind gar nicht so wichtig. Es ist nicht so wichtig, was passiert. Viel wichtiger ist die Art und Weise, wie diese durchschnittlichen Menschen mit dem umgehen, was passiert.

Das Wie ist wichtiger als das Was.

Ja. Bei Filmen aus Hollywood frage ich mich immer: Was passiert in den Szenen, die herausgeschnitten sind? Was geschieht zwischen den aufregenden Momenten? Wie parken die Helden ihre Autos? Schließen sie die Türen ab? Rauchen sie dabei?

Aber eine Parallele zwischen vielen Filmen aus Hollywood und Ihrem Film gibt es doch: Die Sexszenen fehlen.

Das stimmt. Aber sie fehlen aus anderen Gründen. Ich weiß einfach nicht, wie ich Sexszenen drehen soll. Mir wäre das einfach peinlich. Alle im Team würden dann erfahren, wie ich im Bett bin. Nein, im Ernst: Es gibt genug Sexszenen. Ich interessiere mich weniger für den Akt an sich als für das Danach. Das gilt auch für den Akt des Mordens.