Sonderbericht vom Rande der Gesellschaft

Das deutsche Bildungswesen wird von den Vereinten Nationen durchleuchtet. Am Wochenende besuchte der UN-Sonderbeauftragte Vernor Muñoz Villalobos das Rheinland und ein „vorbildliches“ Roma-Schulprojekt in Köln

KÖLN taz ■ Auf seiner zehntägigen Inspektionsreise durch das Bildungssystem der Bundesrepublik hat der UN-Sonderbeauftragte Vernor Muñoz Villalobos jetzt auch in Köln Zwischenstation gemacht. Am Samstag besuchte der 45-jährige Juraprofessor aus Costa Rica das Projekt „Amaro Kher“. Über drei Stunden lang verschaffte er sich einen Eindruck über die Intention und pädagogische Praxis der Roma-Schule. Zum Abschluss versprach Muñoz, „entschieden das zu unterstützen, was hier geschieht“.

„Amaro Kher“ – „Unser Haus“ in der Sprache der Roma – ist eine von rund 30 Stationen, die Muñoz in der Bundesrepublik ansteuert. Nach Visiten in Berlin, Potsdam und München hatte ihn sein Weg am Freitag erstmalig nach Nordrhein-Westfalen geführt: In Bonn besuchte er die dort ansässige Kultusministerkonferenz – wobei die 16 Kultusminister durch Abwesenheit glänzten – und eine preisgekrönte Integrierte Gesamtschule im Stadtteil Beuel. Doch „Amaro Kher“ dürfte bei dem Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, der beim Büro des Hohen Uno-Kommissars zur Wahrung der Menschenrechte in Genf angesiedelt ist, den wohl nachhaltigsten Eindruck hinterlassen haben. Denn hier hatte er es „mit Kindern zu tun, die wirklich am äußersten Rand der Gesellschaft leben“, wie es die pensionierte Pfarrerin Renate Graffmann, die Vorsitzende der Trägervereins Rom e.V., formulierte.

Für das im Juli 2004 gestartete und zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt hat die Stadt Köln ein heruntergekommenen Gelände am Venloer Wall direkt am Bahndamm zur Verfügung gestellt. Gegenwärtig sind 25 Mitarbeiter in der Roma-Schule tätig. Neben zwei Lehrern finanziert das Land NRW auch noch die Leiterstelle sowie Miete und Betriebskosten. Alle anderen Beschäftigten bezahlt der Rom e. V. Rund 25 Roma-Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren werden zur Zeit in zwei Klassen jahrgangsübergreifend unterrichtet und betreut. Das Ziel ist es, sie an die Regelschule heranzuführen. Kein einfaches Unterfangen: Obwohl sie hier geboren sind und ihre Eltern teilweise seit 20 Jahren hier leben, waren die betreuten Kinder zuvor noch nie in einem Kindergarten oder einer Schule. Viele von ihnen sind sozial auffällig, manche traumatisiert und psychisch gestört oder zeigen Züge von Verwahrlosung.

Ihre Familien stammen allesamt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Sie wohnen bis auf eine Ausnahme in Flüchtlingsheimen der Stadt Köln und leben nur geduldet in der Bundesrepublik. „Jeden Tag haben die Familien Angst, abgeschoben zu werden“, erläuterte Rom e.V.-Vorstandsmitglied Kurt Holl dem UN-Beauftragten. Die Mehrzahl der Eltern sind, wie auch die älteren Geschwister, Analphabeten oder haben nur kurzzeitig eine Schule besucht.

„Amaro Kher“ sei vorbildlich für den Versuch, wenigstens einigen Kindern der extrem unterprivilegierten Roma eine Chance auf Bildung zu eröffnen, sagte Muñoz. Er halte es für notwendig, das Projekt nach dem Ablauf der Förderzeit im Juli 2007 auf Dauer zu institutionalisieren. Gleichzeitig müsse es jedoch auch darum gehen, die Lage der Roma insgesamt zu verbessern. Dabei sei „das Recht auf Asyl entscheidend“. PASCAL BEUCKER