Rassenwahn und Propaganda

Serge Bilé erinnert in einem ergreifenden Buch an Opfer des Nationalsozialismus, die weitgehend vergessen sind: die Schwarzen

Der aus Afrika stammende Journalist Serge Bilé widmet den Schwarzen als „vergessenen Opfer des Nationalsozialismus“ ein anrührendes Buch. Sie wurden aus dem besetzten Frankreich verschleppt, aber in den Akten bis hin zu den Todeslisten wurden sie als „Franzosen“ geführt. Nur wenn sie überlebten oder wenn andere Überlebende über sie berichteten, konnten die Schicksale und Lebensläufe von Schwarzen rekonstruiert werden. Die Quellenlage erlaubt nichts anderes als Berichte über Einzelschicksale, denn genaueres Material dazu, wie viele Menschen schwarzer Hautfarbe wohin deportiert wurden, existiert nicht.

Zunächst erzählt Bilé die Vorgeschichte der Verfolgung von Schwarzen durch Deutsche in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Namibia). Hier war Hermann Görings Vater Heinrich ab 1885 Reichskommissar, bevor dieser 1890 als Konsul nach Haiti ging. In Deutsch-Südwestafrika betrieb damals Eugen Fischer seine anthropologischen Feldforschungen, die unter dem Naziregime in praktische „Rassenhygiene“ umgesetzt wurden. Bereits die Verfolgung und Vernichtung der Hereros durch deutsche Truppen hatte nicht nur militärische, sondern auch rassistische Wurzeln. Nach einem gescheiterten Aufstandsversuch 1903 begann ein Jahr später die systematische Ausrottung der Hereros, der Schätzungen zufolge rund drei Viertel der Bevölkerung zum Opfer fielen.

1914 gab es in Berlin etwa 1.800 Afrikaner. 1932 waren es 24.000, von denen viele die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung flohen viele Schwarze nach Frankreich und ließen sich von der Fremdenlegion anwerben. Diejenigen, die in Deutschland blieben, fielen explizit oder implizit unter die Rassengesetze. Nach dem Reichserbhofgesetz vom 29. 9. 1933 konnte niemand deutscher Bauer sein, „wer unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdisches oder farbiges Blut hat“.

Die Nürnberger Gesetze nannten dagegen die Schwarzen/Farbigen nicht ausdrücklich. Dennoch wurden die für Juden geltenden Ausschließungsnormen sinngemäß auf Schwarze angewandt. Sexuelle Kontakte von Schwarzen mit Weißen galten demnach als Rassenschande. 1937 ließ eine Sonderkommission alle 385 „Rheinlandbastarde“ – die von schwarzen französischen Soldaten und deutschen Frauen während der Rheinlandbesetzung gezeugten Kinder – zwangsweise sterilisieren. Zynischerweise instrumentalisierte das Regime andererseits Schwarze für Propagandazwecke. Noch 1944 wurde der Film „Quax in Afrika“ gedreht, in dem gebürtige Afrikaner mit deutschem Pass auftreten.

Nach dem einleitenden, allgemeinen historiografischen Kapitel berichtet Bilé über Einzelschicksale mit unterschiedlichem Ausgang. Mohamed Bayume Husen aus dem heutigen Tansania etwa kämpfte während des Ersten Weltkriegs in der deutschen Kolonialarmee, von der er ausgezeichnet wurde. Er geriet jedoch in englische Gefangenschaft in Ägypten. 1929 kam er nach Deutschland und klagte vergeblich den entgangenen Sold ein.

Später arbeitete er als Kellner und heiratete eine weiße deutsche Frau. Zusammen hatten sie einen Sohn, den sie Heinz Bodo nannten. Von 1934 bis 1940 lehrte Husen als Dozent für Suaheli am Seminar für orientalische Sprachen in Berlin. 1941 verhaftete ihn die Gestapo wegen „Rassenschande“. Am 26.November 1944 wurde er nach Sachsenhausen deportiert und umgebracht.

Mehr Glück hatten der Künstler Josef Nassy und die Musikerin Valaida Snow. Nassy wurde in Surinam geboren, wuchs in New York auf und studierte in Brüssel Malerei, als der Krieg ausbrach und Belgien besetzt wurde. Über Salzburg kam er ins Lager Mauthausen, wo er neben der Zwangsarbeit malen und zeichnen konnte. Die Bilder hängen heute im Holocaust-Museum in Washington. Die schwarze Jazztrompeterin Valaida Snow hielt sich – aus Paris kommend – in Dänemark auf, als die deutschen Truppen das Land besetzten. Nach ihrer Verhaftung kam sie wieder frei dank eines Gefangenenaustauschs, den der Kopenhagener Polizeichef eingefädelt hatte.

Serge Bilé bietet Einblicke in harte Schicksale, himmelschreiendes Unrecht und grenzenlose Gemeinheit. Von vielen der Opfer weiß man buchstäblich nur, dass sie umgekommen sind. Gelegentlich füllt Bilé Lücken mit Spekulationen oder wird ungenau – etwa wenn er die unbestreitbare Ermordung schwarzer US-Soldaten, denen die Munition ausgegangen war während der Ardennenoffensive, die Mitte Dezember 1944 begann, auf den September vorverlegt oder unbelegte Opferzahlen präsentiert. Eine seiner Zeuginnen berichtet, im Februar 1944 in Ravensbrück „den Geruch des verbrannten Fleisches“ wahrgenommen zu haben. Gaskammern und Krematorium wurden dort aber erst Anfang 1945 errichtet. Solche Mängel im Detail beeinträchtigen das Verdienst des Buches im Ganzen jedoch kaum. RUDOLF WALTHER

Serge Bilé: „Das schwarze Blut meiner Brüder. Vergessene Opfer des Nationalsozialismus“. Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge, Claassen Verlag, Berlin 2006, 159 Seiten, 18 Euro