Die Kunst des Kurzschlusses

Aufgewachsen mit der Melodie des Eiswagens in der Kulturleere des Mittleren Westens, konnte Qubais Reed Ghazala nur ein ganz besonderes Verhältnis zu Tönen entwickeln. Vor 40 Jahren entdeckte er zufällig die aleatorische Musikkunst, besser bekannt als „circuit bending“

VON ARIEL MAGNUS

Sein erster öffentlicher Auftritt war ein Fiasko. Qubais Reed Ghazala und seine Band wurden Ende der Sechzigerjahre aus der Kirche herausgeprügelt, in der Ghazala das erste seiner „Alien-Instrumente“ vorstellen wollte. Dabei wurde es „jenseits der Möglichkeit jeder Reparatur zerschmettert“, erinnert sich der Musiker. Das seltsame Knirschen und Zischen überforderte das eher konservative Publikum. Es war einfach unerhört.

Der Zufall war Geburtshelfer der von Ghazala begründeten aleatorischen Musikkunst, später bekannt als circuit bending. 40 Jahre ist es nun her, seitdem der Amerikaner einen kleinen Akkuverstärker ohne Hinterklappe in einer Schublade liegen ließ, dieser mit irgendeiner Metallfläche einen Kurzschluss verursachte und plötzlich synthesizerähnliche Klänge von sich gab. Damals waren Synthesizer seltsame und teure Dinge, die der mittellose Teenager nur aus dem Radio kannte. Der Miniverstärker mit Kurzschluss bot ihm also plötzlich die unverhoffte Chance, damit zu Hause selbst experimentelle Musik zu produzieren. „Wenn so was durch Zufall entsteht, was kann man daraus absichtlich zustande bringen?“, dachte der junge Ghazala. „Und wenn dies bei einem Verstärker funktioniert, also einer Anlage, die selbst keinen Ton von sich geben sollte, was würde wohl passieren, wenn man Keybords, Radioempfänger und Tonspielzeuge zum Kurzschluss bringen würde?“

Der heute 52-jährige Qubais Reed Ghazala hatte überhaupt keine Ahnung von Elektronik, was ihn jedoch nicht daran hinderte, an Instrumenten herumzubasteln, aber auch an kaputten Radios oder elektrischem Spielzeug. Erst mit Kabeln und Schaltern, dann aber auch mit bloßen Händen war Ghazala in der Lage, unerhörte, rein aleatorische Töne aus den Platinen herauszufischen.

Manche seiner Instrumente werden mit bloßen Händen gespielt, bei anderen genügt der Schatten der Hand, um die Platinen zum Singen zu bringen. Doch alle haben eins gemeinsam: Keines gleicht einem anderen. „Es sind Instrumente, die sonst nirgendwo existieren und die Töne hervorbringen, die vielleicht noch niemand gehört hat“, sagt Ghazala. Mit ihnen nahm er mehrere Platten auf, wie etwa „Dreams That Insects Dream“, „Requiem For A Radio“ oder „There Is A Secret Garden“. Durch 20 Artikel im Experimental Musical Instruments Magazine (1992), seine Homepage www.anti-theory.com und das Buch „Circuit Bending: Make your own Alien Instruments“ wurde circuit bending als Kunstform weltweit bekannt. Ghazalas Webseite will den Laien zum Nachmachen animieren. „Egal ob man irgendwelche Vorerfahrung hat – es dauert nur einen Moment, bis jeder sein eigenes Instrument bauen kann“, versichert Ghazala, der auch Workshops veranstaltet. Wissen müsse man nur, dass ausschließlich Akkuspielzeuge benutzt werden dürfen.

Viele Prominente haben sich für die Kunst des Kurzschlusses interessiert, darunter Tom Waits (für dessen in Deutschland gezeigte Performance „Alice in Wonderland“ Ghazala die Instrumente baute), die Rolling Stones, Peter Gabriel, die Nine Inch Nails, Blur und viele mehr. Einige seiner Instrumente, die nicht nur wie Science-Fiction-Requisiten aussehen, sondern auch so heißen, nämlich „Incantor“, „Morpheum“, „Photon-Clarinet“ oder „Aleotron“, sind auch in wichtigen New Yorker Museen zu sehen – im Whitney Museum of American Art, im Guggenheim Museum und im Museum of Modern Art. Hörproben von Ghazalas „Alien-Instrumenten“ sind im Netz zu finden. Für das untrainierte Ohr sind sie – um es vorsichtig zu formulieren – gewöhnungsbedürftig. Die ewige Frage stellt sich da von selbst: Wo liegt die Grenze zwischen Musik und Lärm? Aber warum fragen wir dies und anderes nicht einfach den Künstler selbst!

Qubais Reed Ghazala: Ton und Farbe, beides Wellen-Phänomene, beide höchst emotional, werden sehr unterschiedlich behandelt. Während jede Farbe auf der Leinwand eines Malers akzeptiert wird, sollten sie dasselbe mal mit Tönen versuchen! Deshalb stellen sie ja auch diese Frage: Wir haben einfach weder die Töne jenseits der Orchester-Instrumente befreit noch den Verstand, um sie zu hören, und in dieser oberflächlichen Wahrnehmung verzichten wir auf lebensfähige Schalltexturen. Im Endeffekt holt jeder Klang eine Emotion hervor. Alles, was Geräusch macht, ist Musik, Bildhauerei, Dichtung. Alles. Zumindest so lange, bis wir anordnen, dass Farbe von der Leinwand verbannt werden soll.

taz: Was für eine Art von Musikern erfordern ihre „Alien-Instrumente“?

Ideal wäre ein Musiker, der auch selber Alien ist. Oder wenigstens jemand, dessen Denkweise noch nicht daran gewöhnt wurde, was Musik landläufig sein oder eben nicht sein soll. Wer von einem Circuit-Bent-Instrument dieselbe Tonleiter erwartet, wie von einer musikalischen Tastatur, wird äußerst enttäuscht sein. Wenn man die Taste C auf dem Keyboard drückt und ein C zu hören erwartet, aber stattdessen eine Reihe von unbekannten Zufallstönen herauskommt, dann … na gut, ist es kaputt, oder? Nein, ist es nicht! Es ist bent, es ist „gebeugt“.

Sie bezeichnen die Alien-Musiker, die Alien-Instrumente betätigen, als BEAsape. Was bedeutet das?

BEAsape steht für „Bio-Electronic-Audio-Sapiens“. Es ist nur ein witziger Name für die neue Kreatur, die man beim Spielen eines Körper-Kontakt-Instruments wird – ein Instrument, das Strom durch das Fleisch des Spielers führt und mittels Berührungsstellen einen Stromkreis darstellt. In solchen Fällen wird ein neues Geschöpf geschaffen, denn weder Stromkreis noch Mensch hören jetzt an ihren jeweiligen „Enden“ auf: Beide Entitäten integrieren sich in diesem neuen bioelektronischen Tier ineinander. Letztendlich ist jetzt der Stromkreis ein Teil des Menschen und der Mensch ein Teil des Stromkreises.

Welche Art von BEAsapen nehmen an ihren Workshops teil?

Alle Arten. Professionelle und Laien, Künstler und Forscher, Wissenschaftler und Theoretiker. Alle sind circuit-benders, „Stromkreis-Beuger“. Zu mir kommen Kommandanten der amerikanischen Kriegsmarine, nordkoreanische Kunststudenten und alles dazwischen.

Ein solcher Workshop steckt bestimmt voller ungewöhnlicher Entdeckungen.

Aber ja! Ungewöhnliche Entdeckungen werden bei circuit bending kontinuierlich gemacht. Jeder Stromkreis ist eine Goldmine von noch zu entdeckenden Tönen. Merkwürdiges gibt es im Überfluss. Diese Welt zu betreten, ist wie auf einem anderen Planeten zu landen. Eine außerirdische Fauna umgibt dich.

Sie selbst haben sich im Gegensatz zu Ihren Schülern alles selbst beigebracht. Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile, ein Autodidakt zu sein?

Für das Leben, das ich führe, also ein Leben, das nur allzu gern den Mangel an Smalltalk bei Cocktails in professionellen und akademischen Zirkeln annimmt, gibt es keine wirklichen Nachteile. Ich bevorzuge, selbst die Fehler zu machen, das führt zum Herz der Originalität. Viele Künstler wenden sich nicht nur von Institutionen ab, sondern von dem ganzen Zyklus von Garantien, der diese Unternehmen repräsentiert. Die Menschen versuchen mehr, sich an ihre schöpferische Seele anzupassen, als ihre schöpferische Seele an die Akademie. Aber sowohl Autodidakten als auch formal erzogene Menschen versäumen Dinge. Vielleicht entscheiden wir uns jedoch bewusst für das Versäumte.

Sie bevorzugen nicht nur, allein zu lernen, sondern auch allein zu sein. Was hat es mit Ihren im Internet erwähnten Selbstexil-Perioden in der Wildnis auf sich?

Ich gehe ins Exil, um mich aufzuladen. Und bleibe so lange, wie es sein muss. Und ich liebe es, Tage, Wochen und länger weg zu sein. Bis der Schnee zu dicht ist, die Moskitos durch mein Blut zu dick geworden sind oder ich zu Hause gebraucht werde. Denn, anders als im Internet verbreitet, ich habe ein Zuhause. Nein, ich lebe nicht auf einem Baum – aber ich arbeite daran.

Außer Musik, Fotografie, Malerei und Software-Kunst betreiben sie auch „Platzierung von gefundenen Objekten“ in der Wildnis. Wie funktioniert das?

Ich weiß, dass alle Lebewesen ihre Umwelt ästhetisch interpretieren. Ich weiß, dass der Fisch aus Freude springt, dass Vögel zu ihrem Genuss singen, und dass Hunde grinsen. Wie kann man sie ohne Kunst lassen? Waldtiere sind sehr scharfsinnig. Es ist eine Sache des Überlebens. Wenn ich ein Mobile schaffe, um es in einem Kiefernwäldchen zu lassen, oder eine Skulptur aus Steinen montiere, ist das ein Bruch mit der weißen Museumswand. Wie ein Bild bei einer Ausstellung, es wird wahrgenommen und geschätzt – aber von Eichhörnchen. Es bewirkt bei ihnen dasselbe wie bei uns: Kunst fordert uns zum Denken heraus. Ich mache Kunst für Geschöpfe, die keine Menschen sind. Nichts Besonderes.

Eine letzte Frage, Herr Ghazala. Ist Qubais Reed Ghazala ihr wirklicher Name?

Jawohl. Er ist aus dem Mittleren Osten, obwohl ich Amerikaner bin, geboren und großgezogen mit der Melodie des Speiseeiswagens in der Kulturleere des Mittleren Westens. Mütterlicherseits bin ich aber deutsch. Cincinnati hat eine große deutsche Gemeinde. Immer willkommen in den Biergärten der Stadt!