Mit dem Schlafschwamm in die Vollnarkose

Eine Studie zeigt, dass es auch im Mittelalter schon hochwertige Medizin gab. Selbst Schädeloperationen wurden damals durchgeführt

Die Medizin des Mittelalters steht in keinem guten Ruf. Man denkt an herumreisende Quacksalber und blutige Zahnoperationen, und daran, dass heilkundige Frauen gerne als Hexen verbrannt wurden. Aktuelle Studien zeigen jedoch: Das Mittelalter war in Bezug auf die Medizin alles andere als finster.

Medizinhistoriker Professor Gundolf Keil von der Universität Würzburg sichtete die entsprechenden Literaturquellen des Mittelalters, darunter auch das Lorscher Arzneibuch aus dem Jahre 788, das älteste Medizinbuch Deutschlands. Keils Erkenntnis: „Die damaligen Ärzte waren keineswegs die rohen Quacksalber, als die sie oft dargestellt werden.“ So wurden Patienten zur Ader gelassen, um ihnen bei Infektionen wie etwa der Pest zu helfen. Ein durchaus sinnvolles Unterfangen, wie man heute weiß, insofern sich Bakterien umso schlechter vermehren, je weniger Bluteisen sie vorfinden. Der Blutverlust musste sich allerdings im Rahmen halten, denn ansonsten führt er zur Schwächung des Patienten.

Selbst bei Übergewicht und Bluthochdruck kam der Aderlass zur Anwendung. „Damals konnten die Mediziner zwar keinen hohen Blutdruck messen“, so Keil, „doch sie ließen häufig Menschen mit warmer, feuchter Haut und gerötetem Gesicht zur Ader.“ Und das seien Kriterien, die auch aus heutiger Sicht bei vielen Bluthochdruckkranken als typisch angesehen werden.

Blutungen wurden dereinst mit einem Druckverband oder aber mit Nadel und Faden gestillt. Das Erlernen dieser Methoden gehört noch heute zum Ausbildungsprogramm von Medizinstudenten. Früher trainierte man den Umgang mit Nadel und Faden an einem Lederstück, heute tun es die Medizinstudenten gerne an einer ungeschälten Banane, um sich für den Einsatz im OP-Saal fit zu machen.

Bei seinen Recherchen fand Keil sogar einen Bericht über eine Schädeloperation: „Es sieht ganz so aus, als hätte schon im 14. Jahrhundert ein norddeutscher Chirurg einen Hirntumor entfernt.“ In Vollnarkose. Denn man kannte schon seit einigen Jahrhunderten den so genannten „Schlafschwamm“, der mit Drogen wie Opium, Maulbeersaft, Schierling, Efeu und Mandragorawein getränkt war. Seine betäubende Wirkung war zuverlässig – allerdings verstarben einige Patienten durch Blutstau oder Atemstillstand.

Bei übermäßiger Kropfbildung verabreichten die Ärzte jodhaltigen Seetang, heute sind es Jodtabletten, was vom Prinzip her das Gleiche ist. Gegen Wundinfektionen züchtete man auf einem Honig-Schafskot-Nährboden Schimmelpilze, die dann in die Wunde eingebracht wurden. Nicht gerade appetitlich, doch durchaus sinnvoll. Denn einige Schimmelpilze produzieren Penicillin, das als Antibiotikum bis heute unverzichtbar ist.

Zwar kannte im Mittelalter niemand die Substanz als solche, doch man wusste aus Erfahrung, dass Schimmelpilze bei der Wundheilung helfen. Was deutlich macht, dass ärztliche Kunst bei guter Beobachtungsgabe auch ohne die aufwändigen Studien der modernen Medizinwissenschaft möglich ist.

JÖRG ZITTLAU