„Es könnte sich alles ändern“

„Wenn ich mich auf eine Kunstrichtung beziehe, dann auf die deutsche Romantik.“ Er nennt sich Peter Licht und singt „Lieder vom Ende des Kapitalismus“. Ein Gespräch über den deutschesten aller Namen, die reine Schönheit der Natur und das Ziel allen vernünftigen Handelns: das Ende des Kapitalismus

INTERVIEW MAX DAX

taz: Herr Licht, Sie haben Ihr neues Album „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ genannt. Ihr neues Buch trägt den Titel „Wir werden siegen! (Buch vom Ende des Kapitalismus)“. Woher kommt dieser Drang, mit gleich mehreren Veröffentlichung ein Statement zu setzen?

Peter Licht: Sie vergaßen, dass ich kürzlich in den Münchener Kammerspielen mit dem von mir geschriebenen Theaterstück „Wir werden siegen! (Und das ist erst der Anfang)“ debütiert habe, auch wenn nicht der gesamte, dem Stück zugrunde liegende Text von mir stammt. Ich finde es reizvoll, in verschiedenen Formaten zu arbeiten, mit Sprache, mit Musik, mit Buch, mit Schallplatte, auf der Bühne. Ich mag es, Arbeit auswuchern zu lassen, so dass Metastasen von Bedeutungen und Bezügen entstehen. Immerhin speisen sich Buch und Album und Theaterstück ja auch aus der gleichen Quelle. Und ein im Theater gesprochener Liedtext von mir ist in meinen Augen nichts anderes als eine interessante Form des Remixens. Das vorgelesene Lied, das deklamierte Lied.

Aber warum proklamieren Sie ausgerechnet heute, in den Zeiten von Hedgefonds und Globalisierung, das Ende vom Kapitalismus?

Ich empfinde, dass sich die Dinge ändern. Alles ändert sich zurzeit. Was ich verfolge, ist ein Gedankenexperiment. Ich behaupte: Es könnte sich auch alles anders ändern.

so wie Sie einst Lieder gegen die Schwerkraft schrieben?

Es könnte doch sein, dass es den Kapitalismus ab morgen nicht mehr gibt. Dass die Menschen sich rausstellen und einmal das System betrachten – anstatt zur Arbeit zu gehen. Die Proklamation vom Ende des Kapitalismus ist auch der Versuch, einen schönen Gedanken wie eine Blase aufsteigen zu lassen und zu beobachten, wie weit er fliegt.

Sie behaupten: Wir leben in einer Welt der Möglichkeiten?

Ja. Und ich denke mir manchmal: Wie würde ein Mensch des 19. Jahrhunderts oder des Mittelalters unsere Zeit sehen? Oder noch nahe liegender: Wie werden unsere Kinder unsere Zeit sehen? Sie werden eine andere Zeit sehen als wir. Da bin ich mir ganz sicher. Und ich bin eben an diesem anderen Blick interessiert. Also versuche ich, gelegentlich die Perspektive zu wechseln.

Stecken wir Westeuropäer in einer gelernten Sichtweise fest, die aufgerüttelt werden muss?

Unsere Zielstrebigkeit, unsere Produkt- und unsere Erfolgsorientiertheit, unser Aufgehen in Verwertungslogik – das ist unsere gelernte Sichtweise. Und alles, was nicht in Frage gestellt wird, darf in Frage gestellt werden.

Daran scheinen Sie sich abzuarbeiten: Vor wenigen Jahren hieß ein Lied von Ihnen „Wir sind jung und machen uns Sorgen um unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“. Damals haben Sie sich, anders als heute, noch über die anderen lustig gemacht.

Da möchte ich Ihnen widersprechen. Das ist ein Lied, das sich ja nur an der Oberfläche an die anderen richtet. Eigentlich ist es, bei genauerer Betrachtung, auch ein Lied über mich. Auch ein Künstlerdasein ist heutzutage nichts anderes mehr als ein Kampf auf dem Arbeitsmarkt. Das ist ein Lied ohne Distanz. Ein ganz ernstes Lied. Ich könnte daher auch singen: „Ich bin jung und mache mir Sorgen um meine Chancen auf dem Kunstmarkt“. Oder auf dem Kreativmarkt. Oder auf dem Musikmarkt. Das ist kein schöner Gedanke, aber es ist nun einmal so.

Ist der Künstler nur eine von vielen vorgedachten Rollen, die man in der Gesellschaft übernehmen kann?

Natürlich. Auch der Künstler steckt per se in der Verwertungslogik. Den Künstlertitanen, dem alles scheißegal ist, den gibt es doch gar nicht mehr. Es dreht sich heutzutage alles um das Funktionieren – von Projekten und so. Aber heute betrachte ich die Welt vielleicht nicht mehr so ätzend und so negativ wie noch vor wenigen Jahren. Der Blick auf die Natur hat einen sanfteren Blick möglich gemacht.

Inwiefern bedurfte es der Kunstfigur Peter Licht, um Ihrer Musik eine Gestalt zu geben?

Weil ich der Musik einen freien Platz lassen möchte. Eine Kunstfigur zu erfinden, ist eine gute Trennung zwischen mir und der Musik. Wenn Peter Licht in die Öffentlichkeit geht, dann kann ich gelassen bleiben. Denn Peter Licht ist dann nicht mehr ich, das ist dann jemand anders. Ich versuche auf diese Weise, dieses bizarre, seltsame Phänomen der Massenkommunikation für mich greifbar zu machen. Es ist doch ein absurdes System, Gedanken, die ursprünglich sehr privat sind, tausendfach hinauszuschießen. Daran Gefallen zu finden und diese Privatheit herauszuballern. Das Private ist dann nicht mehr privat, es löst sich von mir und geht seine eigenen Wege, die ich wiederum als Individuum aus der Distanz betrachten kann. Das ist für mich eine ganz schlüssige Autorenposition. Die Situation ist absurd, also reagiere ich auch absurd. Das ist für mich ein schlüssiges Verhalten.

Warum haben Sie ihn Peter Licht genannt?

Ich wollte einen möglichst gewöhnlichen Namen. Zugleich sollte er aber etwas in sich tragen – Licht. Licht ist ein positiver Begriff, eine Lebensquelle. Und Peter, so sagt man, ist der deutscheste aller deutschen Namen.

Sie meinen: Wie Peter Schlemihl? Wie Romanfiguren aus dem 19. Jahrhundert?

Wenn Sie so wollen, ist Peter Licht ein Mann ohne Eigenschaften. Peter Licht trägt zudem keinerlei autobiografische Züge. Ich bin nicht Peter Licht. Peter Licht ist ein Mann, der am Meer auf einem Felsen in der Brandung steht und auf das Meer blickt. Wenn er spricht, spricht er in Slogans und berührt damit kollektive Felder. Unser kollektives Unterbewusstsein. Er spricht aus, was wir kollektiv denken. Der böse Mann zum Beispiel. Der böse Mann soll tot sein. Das ist ein Gefühl, das abgerufen wird, wenn es um bestimmte historische Figuren oder jeweils aktuelle politische Figuren geht, die wie bei einer Schießbude stets neu aufklappen, wenn gerade wieder einmal eine Figur weggeschossen wurde. Ein böser Mann nach dem anderen taucht auf diese Weise auf, und das Kollektiv wünscht ihm im Chor den Tod. Peter Licht spricht auch aus, was wir kollektiv träumen.

Warum könnte es nicht interessant sein, was Peter Licht erlebt?

Es liegt mir fern, Peter Licht eine Vita zu basteln. Es ist gut, dass er eine Leerstelle ist. Peter Licht könnte jeder sein, er ist ein austauschbarer Mensch. Aber natürlich hat sich Peter Licht im Laufe der Jahre auch verändert. Er wechselt gelegentlich die Perspektive bei seinem Blick auf die Welt. Nur das Meer hat er schon immer gemocht.

Wählten Sie das Meer, weil Meer stets auch das Ende der Welt bedeutet?

Meer bedeutet Endgültigkeit. Peter Licht singt ja auch: „Ich mochte den Himmel / Und der Himmel mochte sich.“ Das sind zärtliche Betrachtungen des Absoluten. Ich weiß nicht, ob ich das so hätte schreiben können. Aber als Peter Licht kann ich das. Als Peter Licht kann ich zärtlich der Welt gegenüber sein.

Der Natur?

Beidem. Der Natur, aber auch der Welt.

In dem Lied „Das absolute Glück“ singen Sie von einer menschenleeren Welt, von dem letzten Menschen, der noch einen letzten Blick auf die Welt wirft, eine letzte Schallplatte auflegt – und wenn die Platte verklungen ist, dann ist die Welt menschenleer.

Ich möchte, dass aus meiner Musik Schönheit herauswächst. Die Natur bestimmt einen großen Teil meiner Texte und Slogans. Die reine Wahrheit, aber auch die reine Schönheit findet man zunächst nur in der Natur. Die unberührte Natur kann ja per Definition nicht hässlich sein oder unharmonisch. Gerade wenn man mit dem Zug von Köln nach Berlin fährt und schließlich durch die verschiedenen Stadtschichten Berlins von außen ins Zentrum vordringt, überfällt mich ein ziemlicher Ekel vor der Zivilisation. Mit welcher Kraft der Mensch sich eine immer hässlichere Welt immer weiter erschafft, ist schon erstaunlich.

Bewegen Sie sich in einer deutschen Tradition?

Ja. Absolut. Meine Arbeit möge in einer deutschen Tradition stehen. Das ist mein Wunsch. Mehr auf alle Fälle als eine amerikanische Tradition, auf die ich beispielsweise deutsche Texte draufsetze. Deswegen sehe ich meine Musik ja auch in der Tradition des Kunstliedes, des 19. Jahrhunderts und Schuberts. Ich sehe meine Musik als Lieder – und nicht als Songs, Tracks oder Blues.

Also eine Art bundesrepublikanisches Lied?

Ich kann am wirkungsvollsten beschreiben, was ich durch mein tagtägliches Leben erlebe. Ich sage ja auch: Die Welt, in der ich lebe, ist die beste aller möglichen Welten. Ganz einfach, weil es meine Welt ist. Weil ich meine Welt behaupte. Vor mir und gegenüber der Welt. Ich bestehe darauf, dass meine Welt einen Wert hat. Ich möchte mich mit meiner Welt beschäftigen und sie genau betrachten dürfen. Mir wäre es beispielsweise sehr fremd, afrikanische Musik aufzugreifen und in meinen Liedern auftauchen zu lassen. Ich habe für so eine Musik keine wirkliche Emotion. Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen, als dass ich über die BRD meine Lieder schreibe. Wollte ich etwas anderes proklamieren, müsste ich meine Sachen packen und woanders hin ziehen, um dann von dort über das dort Vorgefundene zu singen.

Ist es ein Zufall, dass die Wandergitarre neben den alten analogen Synthesizern das zentrale Instrument in Peter Lichts Musik darstellt?

Tatsächlich war ich früher viel mit der Gitarre unterwegs, mit Rucksack auch. Dudelnd bin ich durch die Gegend gereist. Ich wandere auch heute noch gerne. Lustigerweise gilt die Gitarre ja als klassisch angloamerikanisches Rockinstrument. Tatsächlich aber kommt die Wandergitarre aus Europa. Ich nenne nur Zupfgeigenhansel und die Wandervögel. Den Troubadour gab es vor dem Bluessänger.

Macht Peter Licht deutsche Rootsmusik?

Es ging mir auf alle Fälle von Anfang an darum, meine eigenen Wurzeln offen zu legen. Und ich vermute, es ist kein Zufall, dass ich dann irgendwann die NDW und die Achtzigerjahre für mich entdeckt habe. Als ich mich damit zu beschäftigen begann, stellte ich fest: Das ist so richtig teutonisch. Das hat keinen Groove, das ist ganz gerade, das passt zu mir.

In der NDW wurde viel Dada zitiert, ob von den Einstürzenden Neubauten oder von Trio. Auch Ihre Texte grenzen an Sprachüberwindungen und ans Absurde, etwa wenn Sie singen: „Wer gut aussieht ist besser als jemand der nicht so gut aussieht / Der aber immer noch besser ist als jemand der überhaupt nicht aussieht“.

Dada war für mich keine Blaupause. Ich mag zwar Kurt Schwitters, auch weil er eine interessante Biografie hat. Wenn ich mich auf eine Kunstrichtung beziehe, dann auf die deutsche Romantik.

Der Mönch am Meer?

Ja, ja, genau! Caspar David Friedrich. Gerhard Richter bezieht sich in seinen Landschaftsbildern auch auf Friedrich. Dada war eine ablehnende, kaputtschlagende Reaktion auf die deutsche Romantik. Die Romantik hingegen hat wie ich selber auch etwas Positives entstehen lassen wollen.