Mit Nazi-Bombern ins Herz der Bestie

Der Berliner Musiker Torsun covert mit einer Technoversion den Gesang englischer Fußballfans. Der provokante Protestsong „Ten German Bombers“ richtet sich gegen den wachsenden Nationalismus zur WM-Zeit – und erscheint heute auf dem Ballermann-Sampler „Die Weltmeister – Hits 2006“

VON CHRISTIAN HONNENS

Mit Fußball konnte er noch nie etwas anfangen. Und bis vor drei Monaten hatte Torsun noch nicht einmal vom Wembley-Tor gehört, über das selbst Fußballlaien fast genau vier Jahrzehnte später noch gerne streiten: War der Ball wirklich hinter der Torlinie, als der Schuss des Engländers Geoff Hurst gegen die Deutschen im WM-Finale 1966 im Londoner Wembleystadion von der Latte nach unten prallte und als Siegestreffer gezählt wurde? Das war für Torsun bisher kein Thema.

Der 32-jährige Torsun hatte seine erste Punkband mit 13 Jahren und ist ein Kind der hessischen Autonomenbewegung von Anfang der 90er-Jahre. Sein Ziel ist es, irgendwann von der Musik zu leben. Heute singt er im Berliner Elektropopduo Egotronic, deren Texte zwar weitgehend unpolitisch sind, die sich aber trotzdem dem kommunistisch-israelsolidarischen „antideutschen“ Teil der deutschen Linken zuordnen. Ausgerechnet die bevorstehende Weltmeisterschaft, die er wegen des wachsenden Nationalgefühls in Deutschland verabscheut, und eine musikalische Koalition mit den englischen Fans haben ihn nun seinem Musikertraum näher gebracht. Denn seine Techno-Coverversion des provokanten englischen Fangesangs „Ten German Bombers“ erscheint heute auf dem Fußballparty-Sampler „Die Weltmeister – Hits 2006“. Gemeinsam mit Jürgen Drews’ Hit „FC Deutschland“ und Diana Sorbello, die auf dem Cover ihrer Solo-CD in Ballmusterbikini vor der Deutschlandflagge posiert.

Diese deutschen Künstler transportieren germanophile Bilder, die Torsun eigentlich gar nicht mag. Jetzt ist er mit dem neuen Hit mitten im Herzen der Bestie. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir es auf diesen geilen Sampler geschafft haben“, sagt der dunkelhaarige Musiker mit Dreitagebart. Beim Interview trägt er eine kaputte Jeans und ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift „Germanophobia“ und zeigt sich glücklich und überrascht zugleich. Glücklich, dass die geplante Provokation als Marketingerfolg funktioniert und sogar noch zu seinem politischen Selbstverständnis passt. Und überrascht von den heftigen Reaktionen englischer und deutscher Fans auf den Song.

Seine Originalversion ist ein beliebter Schlachtgesang englischer Fans bei Spielen gegen das DFB-Team. Im Text feiern die Fans den Abschuss von Luftwaffenflugzeugen während des Zweiten Weltkriegs. „There were ten German Bombers in the air and the R.A.F. [Royal Air Force; die Red.] from England shot one down“, heißt der Refrain wörtlich, den die Fans zur Melodie des Kinderliedes „Von den blauen Bergen“ singen. Und in jeder Strophe ziehen sie einen Flieger ab, bis der Himmel frei von Nazi-Bomern ist – und die deutschen Fans richtig genervt sind.

„Die Coverversion ist ein reines Trashprodukt, das möglichst viele Leute ansprechen soll“, sagte Torsun. Es ist eine Art „Happy Hardcore“ wie bei Scooter, das nun unter dem Namen seiner Band Egotronic erscheint. Innerhalb von nur drei Tagen hat er Song und Video produziert – fast allein in seiner WG in Berlin-Friedrichshain. Dort hat er nicht einmal ein richtiges Zimmer. Sein Raum ist nur durch ein riesiges schwarzes Tuch vom WG-Flur abgetrennt. Dahinter sitzt er meist auf einem alten Sessel, hinter ihm eine Matratze als Bett, vor ihm ein kleiner Tisch mit einem Computer. Drum herum überall leere Zigarettenschachteln, volle Aschenbecher und auf dem Boden in der Ecke ein amtliches Bierflaschenzwischenlager – quasi als Geldreserve für besonders schlechte Zeiten.

Die könnten nun ein für alle Mal vorbei sein. Schließlich ist es das erste Mal, dass mit dem Sampler auch ein Song von ihm im Fernsehen beworben wird.

Dieser Erfolg von „Ten German Bombers“ wäre ohne die neuen Möglichkeiten im Internet kaum möglich gewesen. Denn die eigentliche Idee, die englischen Fußballgesänge zu covern, hatte ein Freund aus der Internetcommunity myspace.com. Hier treibt sich Torsun häufig rum, wenn er nicht gerade mit seinem Bandkollegen im Proberaum an neuen Stücken arbeitet oder jobbt, um sein Musikerleben zu finanzieren.

Durch „myspace“ haben schon andere Bands den Sprung ganz nach oben geschafft. Berühmtestes Beispiel ist die Popgruppe Arctic Monkeys, die ihre ersten Songs im Internet verschenkte und kurz darauf mit ihrer ersten offiziellen Single an der Spitze der britischen Charts landete.

Aber der damalige Fußball-Nerd reagierte nicht auf die Idee des „myspace“-Bekannten. Erst als Englands schwedischer Fußballtrainer Sven-Göran Eriksson die dortigen Fans aufforderte, das „Lied mit den Bombern“ nicht mehr zu singen, erinnerte er sich an die lustige Idee. „Jetzt muss man das machen“, dachte er sich, als es noch kaum mehr als 100 Tage bis zum Eröffnungsspiel waren.

Torsun witterte das Provokationspotenzial, das dieses deutschlandfeindliche Liedgut bot, und legte los. Für die einfachen Technobeats brauchte er am Rechner nur drei Stunden. Hintergrundchor und Darsteller der prolligen Fußballfans sind seine Kumpels, meist ebenfalls Antideutsche, die er nicht mal mit Bier locken musste, weil sie die Idee auch so super fanden. Nach Drehorten suchte er auch nicht lange: Der WG-Flur und ein Park in Berlin-Kreuzberg reichten ihm. Die auch verwendeten Videosequenzen mit Nazi-Bombern, der berühmten 5:1-Niederlage Deutschlands gegen England im Jahr 2001 und dem Wembley-Tor, fand er im Internet, nachdem ihn ein befreundeter Fußballfan aufgeklärt hatte.

Am 27. März veröffentlichte er das Video dann bei youtube.com, einer Website, auf der jeder Videos kostenlos hochladen und ansehen kann. Gemeinsam mit seinen Freunden schickte er danach Nachrichten an alle Bekannten, per Mail, bei „myspace“ und seinem Blog bei „myblog“. Mit Erfolg. Schon am ersten Tag wurde das Video bei „youtube“ 5.000-mal angesehen.

Der Rest der Erfolgsgeschichte lief ganz von allein: Zuerst schrieb die Netzeitung über Erikssons Forderung an die Fans und das Video. Dann habe ihn sogar die britische Boulevardzeitung News of the World in einem Text zitiert – „allerdings ohne je mit mir gesprochen zu haben“, sagt Torsun. Auch das Musikmagazin im Internet laut.de berichtete. Dort wurde dann das Label DA-Music auf das Stück aufmerksam und wollte es für seinen WM-Sampler „als Gegengewicht zu den vielen Pro-Deutschland-Titeln“, wie die Pressestelle auf Anfrage mitteilte.

Inzwischen hat es der provokante Song auf weit über 90.000 Sichtungen und unzählige Blog-Einträge gebracht. Die Reaktionen könnten unterschiedlicher kaum sein. Deutsche Fußballfans empfahlen die Emigration, beschimpften Egotronic als „jämmerliches Pack“ oder schickten Morddrohungen. „Ich habe davor keine Angst, weil ich mich schon länger mit Bedrohungen auseinander setzen muss“, erklärt Torsun seine Gelassenheit. Im vergangenen Jahr musste er mit Egotronic eine Spanientournee abbrechen. Dortige Linke hatten den alternativen Veranstalter bedroht, nachdem bekannt wurde, dass Egotronic im Nahostkonflikt zu Israel hält. Deutsche Linke kritisieren diesmal nur den Ausverkauf der noch relativ unbekannten Szeneband.

Bei den englischsprachigen Blogs war die Verwirrung zunächst groß: Konnten das wirklich Deutsche sein, die ihrer Nationalmannschaft direkt vor der WM im eigenen Land so in den Rücken fallen? „Dabei ist der deutsche Akzent doch gar nicht zu überhören“, gibt sich Torsun erstaunt. Natürlich hätte man ihn auch selbst dazu befragen können. Doch meist waren es rein praktische Fragen, die er beantworten sollte: Wo man den Song kaufen könne, fragten Fans; wo den Klingelton für das Handy bestellen, interessierten sich die Kids. Und die Pubbesitzer wollten wissen, wie sie den Hit in ihre Musikbox bekämen.

Bald kann Torsun auch befriedigende Antworten zurücksenden. Denn gerade layoutet er an seinem Rechner den Entwurf einer CD-Hülle der Coverversion. Die ist für den iTunes Music Store bestimmt, von dem der Song bald herunterladbar sein soll. Zwischendurch schaut er regelmäßig, was sich noch immer in all den Foren und Blogs über „Ten German Bombers“ so tut. Dabei ist er positiv überrascht über die politische Diskussion, die sein Video in englischsprachigen Foren in Gang brachte. Denn dort hatte sich nach einiger Zeit herumgesprochen, wer tatsächlich hinter der „Anpisse“ deutscher Fans steht.

Eine Chance, selbst mit dem Coversong den deutschen WM-Hit kreiert zu haben, sieht Torsun trotzdem nicht im Geringsten. „In bestimmten Kreisen ist er das aber schon längst“, freut er sich. Noch größer wäre die Freude, wenn alle die, die vom Deutschlandtrubel bei der Weltmeisterschaft angenervt sein werden, ihre Boxen auf die Fensterbank stellen und seinen Song möglichst laut spielen. Dann hätte die Provokation nicht nur als Marketinggag funktioniert, sondern auch als „politische Aussage, über die sich die ganzen Deutschlandfans dann hoffentlich richtig ärgern“. Und selbst der Nachhilfeunterricht über Wembley-Tor und Co. hätte sich dann für den Fußballhasser Torsun gelohnt.

Das Lied im Netz:www.youtube.com/watch?v=cv8OfDbPcUMTorsun im Netz:www.myblog.de/torsun