Von Frankreich lernen

„Du bist Frankreich“ steht auf ihren T-Shirts. An deutschen Unis wird reichlich spät gegen Studiengebühren protestiert

VON SASCHA TEGTMEIER

Sie blockieren Autobahnen und schleifen Stahlträger vor Straßenbahnen. Sie besetzen wochenlang die Rektorate der Universitäten, bewerfen die Obersten ihrer Hochschulen mit Tomaten und Papierkugeln – all das machen seit einigen Wochen mehrere tausend Studierende, um gegen das Bezahlstudium zu protestieren. Sie haben nun, da in sechs Bundesländern spätestens zum nächsten Sommer ein Semester 500 Euro Studiengebühr kosten wird, eine neue Form des Protests für sich entdeckt: Im Vergleich zu den bisher üblichen Streiks und Kuscheldemonstrationen der vergangenen Jahre haben sie ihren Protest deutlich radikalisiert. In Dortmund etwa haben 40 Studis am Wochenende ein Werbeschiff der NRW.Bank gekapert. Sie werfen der Bank vor, mit maßgeschneiderten Krediten die Not der Studierenden auszunutzen.

Neben Nordrhein-Westfalen sind Hessen und Hamburg die Zentren der Gebührenproteste, die im Frühjahr begonnen haben. Zum Vorbild haben sich die Studis die erfolgreichen Proteste ihrer französischen Kommilitonen genommen – dort wurde ein Gesetz, das den Kündigungsschutz gelockert hätte, zurückgenommen. Die deutschen Studierenden fordern deshalb bei ihren Aktionen „französische Verhältnisse“, und nicht selten schwenken sie die Trikolore und tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Du bist Frankreich“. Für die Großdemonstrationen in dieser und der nächsten Woche werden laut Amin Benaissa vom bundesweiten „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS, siehe Kasten) sogar „Delegationen“ aus Frankreich erwartet. Sie sollen als eine Art Entwicklungshilfe in Sachen Protest die deutschen Demos mit ihrem Erfahrungsschatz bereichern.

Auch StudentInnen, die zuvor noch nie für oder gegen etwas auf die Straße gegangen sind, können nun offenbar für Aktionen mobilisiert werden, die übers Plakatemalen hinausgehen. Die Frage ist nur: Was passiert, wenn die Studis feststellen, dass sie zu spät aus ihrem Protestschlaf erwacht sind? Bereits im Januar vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht das Gebührenverbot generell aufgehoben und damit den Ländern das Tor zur Einführung der Semestermaut geöffnet.

Spätestens am 6. Juli, wenn die Studis erstmals ihre Kommilitonen aus ganz Deutschland zu einer gemeinsamen Demo in Frankfurt am Main einladen, wird sich zeigen, ob die Protestwellen der einzelnen Bundesländer zu einer Riesenwelle anschwellen – oder ob sie in der natürlichen Protestebbe jedes studentischen Widerstands versanden: den Semesterferien. Die Schwierigkeiten, den Widerstand am Leben zu halten, hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erkannt. Er bietet in dieser Woche ein Seminar mit dem viel sagenden Titel „How to protest“ an. Binnen zwei Tagen soll dort geklärt werden, wie die Proteste „über die Semesterferien fortgesetzt oder im Wintersemester neu belebt werden“ können. Außerdem soll Protestieren vor Ort praktisch geübt werden.

Erste Anzeichen für Erfolg oder Misserfolg werden übermorgen die zeitgleichen Demos in Hamburg und Wiesbaden sein: die so genannte Nord- und die Süddemo. In der Hansestadt wollen nun auch erstmals die Niedersachsen an dem Protest teilnehmen. „Wir wollen die City lahm legen“, sagt der 29-jährige Fredrik Dehnerdt, der in Hamburg den Protest organisiert; mit gemütlichen „Happenings“ sei endgültig Schluss. Man wolle nun „verschäfte Formen“ anwenden, sagt der Philosophiestudent, der mit Spitznamen Fraggle heißt – nach den aufmüpfigen Filmpuppen.

Vor zwei Wochen hatten etwa 100 Studierende nach einem friedlichen Protestzug durch die Hamburger Innenstadt einen Bahnsteig und die dazugehörigen Gleise besetzt und so eine gute Stunde den Zugverkehr lahm gelegt. „Radikal, das heißt entschlossener“, sagt Dehnerdt. Mit dem guten alten Streiken komme man einfach nicht weiter.

In Hamburg könnten die Proteste – anders als in anderen Bundesländern – zumindest theoretisch noch das Bezahlstudium verhindern. Denn am selben Tag entscheidet der Senat dort über die Einführung der Semestermaut.

Benaissa vom ABS macht sich jedoch keine Illusionen, dass die Landesgesetze noch aufgehalten werden können. Vielmehr spekuliert er darauf, dass durch bundesweite Großdemos die Gesetze zurückgenommen werden. „So wie in Frankreich“, sagt Benaissa, der an der Uni Frankfurt studiert.

Eine der ErfinderInnen der neuen studentischen Protestformen ist Lena Behrendes, Vorsitzende des Asta in Marburg. In der hessischen Unistadt sind die Studis erstmals darauf gekommen, eine Autobahn zu blockieren – mittlerweile macht bereits der Begriff „Marburger Schule“ die Runde. „Wir hatten keine Lust mehr, nur ein bisschen zu demonstrieren“, sagt die 22-jährige Behrendes. Von Anfang an habe es „strategische Überlegungen“ gegeben, wie man möglichst „medienwirksame Aktionen“ machen könnte.

Solche Protestformen findet der Präsident der Universität Frankfurt, Rudolf Steinberg, dagegen völlig ungeeignet, um Studiengebühren zu verhindern. Der Jurist weist darauf hin, dass sie schlicht illegal sind. Mit seinem offenherzigen Bekenntnis zu Studiengebühren ist er zu einer der Hassfiguren der hessischen Gebührengegner geworden. Steinberg fühlt sich jedoch missverstanden. Viele Studierende seien schlicht „nicht richtig informiert“ über die Studiengebühren, sie würden lediglich „schwarz-weiß“ sehen. Er erhofft sich, mit den Mehreinnahmen aus den Gebühren die Qualität seiner Uni verbessern zu können. Das würden dann auch schnell die Studierenden merken, so Steinberg. Bisher jedoch haben die Studis in Hessen und anderswo kein offenes Ohr dafür – stattdessen haben sie ihn bereits mit allerlei Unrat beworfen.