Politisch immer weitergemacht

Hermann Gautier ist einer, der noch als Kommunist geboren wurde. Heute ist er der Letzte, der noch für die KPD im Bremer Parlament sitzen durfte. Danach wurde die Partei vom Bundesverfassungsgericht verboten, auf den Tag genau vor 50 Jahren

von JAN ZIER

Nein, einer wie Hermann Gautier tritt nicht einfach in „die Partei“ ein. Er wird schon „als Kommunist geboren“. Sein Vater hat sie einst mitbegründet, die KPD, und für die Räterepublik hat er 1919 auch gefochten. Muttern war „natürlich“ genauso Mitglied. Und als der Sohn aus dem Krieg kam, da wurde er es „natürlich“ auch. „Ich bin ein berüchtigter Kommunist“, stellt sich der 86-Jährige noch heute vor. Heute – auf den Tag genau 50 Jahre, nachdem das Bundesverfassungsgericht „die Partei“ verboten hat.

Die Kommunistische Partei Deutschlands, schreibt das Urteil vom 17. August 1956, verstößt gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, strebt als Endziel „die Diktatur“ an, und den „revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes“. Eventuelle Nachfolge- oder Ersatzorganisationen wurden seinerzeit gleich mit verboten, das Parteivermögen zog der Staat ein, Parlamentsmandate ebenso.

Hermann Gautier war damals gerade Landesvorsitzender der KPD in Bremen. Und mit 31 Jahren zugleich der jüngste Bürgerschaftsabgeordnete. Hans Koschnick, der spätere Bürgermeister, war seinerzeit sein Banknachbar im Parlament. „Doch dann haben sie mir mein Mandat geklaut.“ Aber das, sagt er, „ist das System der bürgerlichen Demokratie. Wenn es ihnen passt, dann verbieten sie einen. Dabei wollten uns die Leute ja.“ 18.000 Stimmen bekam die KPD bei den Wahlen 1955, mit vier Abgeordneten zog sie daraufhin in die Bremische Bürgerschaft ein. Hermann Gautier ist der Letzte von ihnen.

Ganz vorbei war es mit der KPD nach 1956 nicht. Zwar fielen die Landtagsmandate weg. Doch in der Stadtbürgerschaft, das hatte der Bremer Staatsgerichtshof erlaubt, durfte Gautier noch drei Jahre mitmachen – weil dort keine Gesetze gemacht werden. KPD durfte das dann allerdings nicht mehr heißen – weswegen die vier Genossen fortan als „Gruppe Unabhängiger Sozialisten“ firmierte, kurz „Gruppe US“ genannt.

„Politisch haben wir natürlich weitergemacht“, auch mit den Illegalen. Und noch heute geht ihm das Wort „Revolution“ wie selbstverständlich von den Lippen. Und noch immer sagt er Sätze wie diesen: „Die kapitalistische Gesellschaft kann auf Dauer nicht existieren.“

Aber nachdem das Verbot raus war, da ist er erst einmal untergetaucht. Bei den Kommunisten ging die Angst um, „eingekastelt“ zu werden – „so wie damals bei den Nazis“. 125.000 Ermittlungsverfahren, so wird geschätzt, wurden bis 1968 gegen KPD-Leute eingeleitet, auch Hermann Gautier wurde 1965 der Prozess gemacht. „Das hat bei uns in der Familie Tradition.“ Am Ende kam er mit einem Jahr Untersuchungshaft davon. Seinen Vater haben die Nazis 1934 vier Jahre ins Zuchthaus gesteckt.

Sohn Hermann hat zu dieser Zeit „politisch noch keinen Gedanken gehabt“, wie er sagt. Und wie viele Jungs lieber Fußball gespielt. Von politischem Widerstand konnte keine Rede sein, wohl aber von Werktätigkeit: Mit 13 bekam Gautier seinen ersten Lehrvertrag als kaufmännischer Angestellter vorgesetzt. Es folgten der Reichsarbeitsdienst, die Wehrmacht, die Ostfront. Schießen habe er nicht müssen. Gautier war Nachrichtensoldat. Aber darüber redet er nicht so gerne, trotz all der Geschichten, die er sonst zu erzählen weiß.

Einmal aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, tagte im Elternhaus die „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, der Vorläufer aller späteren Parteien. Noch im selben Jahr trat er in die KPD ein. Und die Gewerkschaft. Ganz selbstverständlich.

Keine Frage, dass er auch 1968 wieder vorne dran war, als die DKP gegründet wurde. 13 Jahre war er ihr stellvertretender Vorsitzender. Danach, so will es die Familientradition, kam der Sohn dran, Dieter Gautier.

Keine Frage auch, dass man mit den Genossen aus dem Politbüro der SED zusammengearbeitet hat, ihre millionenschweren Subventionen kassierte. „Das war ganz selbstverständlich“, findet Gautier – den alten Schlachtruf „Hoch die Internationale Solidarität“ im Ohr. Und überhaupt: „Wir teilten die gleichen Grundauffassungen“, den Marxismus-Leninismus eben. Kein böse Wort auch über die Stasi. „Wir haben den Verfassungsschutz, die hatten die Staatssicherheit“. Vielleicht habe es „bestimmte Dinge“ gegeben, die mit der Parteiführung „nicht übereingestimmt“ hätten. Die DDR, sie fällt in eine mildes Licht. Durchaus habe man sich mit Genossen aus dem Osten gestritten, versichert Gautier. Ja, auch über die Reisefreiheit in der DDR.

Auch mit seinem Sohn hat er sich später gestritten. „Wir sind jahrzehntelang dem falschen Sozialismusbild hinterher gelaufen“, hat der kurz nach der Wende einmal gesagt, mit Blick auf seinen Vater.

Und auch der Fußball ist bisweilen ein strittiges Thema bei den zweien. Einmal im Jahr gehen sie gemeinsam ins Stadion. Wenn Werder (Vater) gegen den HSV (Sohn) spielt. Ansonsten aber ist der alte Gautier immer nur bei den Amateuren unterwegs. Da ist er ganz Kommunist.