„Kritik gilt als Antisemitismus“

Die Tochter von Heinz Galinski ist unzufrieden mit dem Kurs des Zentralrats der Juden

BERLIN taz ■ In der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland spitzt sich die Auseinandersetzung um die Nahostkrise zu. Gestern meldete sich Evelyn Hecht-Galinski zu Wort, die Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski. Im Deutschlandradio kritisierte sie, dass sich der Zentralrat der Juden einseitig „als Sprachrohr der israelischen Regierung in Deutschland“ verstehe und damit nicht die Meinung aller Juden in Deutschland repräsentiere. „Jegliche Kritik wird als Antisemitismus verurteilt, und dadurch ist ja schon fast jeder mundtot gemacht worden.“

Hecht-Galinski befürchtet, dass in der öffentlichen Stimmung mit einem „Abbügeln oder Abbürsten“ von Kritik nur neuer Antisemitismus befördert werde: „Ich möchte nicht in diesen Topf geworfen werden. Israel ist für mich ein Ausland, auch wenn ich der jüdischen Religion angehöre.“

Damit unterstützte Hecht-Galinski die Position des Lübecker Neurophysiologen Rolf Verleger. Verleger hatte sich im Juli an das Präsidium des Zentralrates gewandt und gegen dessen einseitige Parteinahme für Militäraktionen Israels im Libanon protestiert. Innerjüdisch erntete Verleger bislang vor allem heftige Kritik. Die Zentralsratsvorsitzende Charlotte Knobloch wies die Äußerungen Verlegers „in aller Schärfe“ zurück; Verleger selbst wurde von seiner Gemeinde von seinem Posten als Mitglied des Direktoriums des Zentralrates abgewählt.

Der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, kann die ganze Aufregung nicht verstehen: „Der Zentralrat der Juden ist ein demokratisch gewähltes Gremium – und natürlich gibt es hier heftige Diskussionen auch über Fragen der Politik im Nahen Osten.“ Als Privatmeinung könne er die Ansichten Verlegers respektieren, doch mit der Form des öffentlichen Briefes habe dieser einen für den Zentralrat inakzeptablen Weg gewählt. Dass der ehemalige schleswig-holsteinische Landesvorsitzende den Vorwurf erhebe, der Zentralrat sei, so Kramer, „die fünfte Kolonne Israels“, sei dazu angetan, bei den Juden in Deutschland alte Ängste und Wunden aufzureißen: „Damit bedient Herr Verleger ein ganz altes antijüdisches Klischee, und das weiß er auch.“

Als „unlauter“ kritisierte Kramer auch die jüngsten Einlassungen von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die eine UN-Untersuchung zum israelischen Einsatz von Streubomben im Libanon gefordert hatte. Damit verbinde sich für ihn eine öffentliche Vorverurteilung Israels, argumentiert Kramer: „Wir werden uns ein abschließendes Urteil erst dann bilden, wenn die Untersuchungsergebnisse zu den Streubomben auf dem Tisch liegen.“ JAN HENDRIK-WULF