Haupt- und Realschule sollen fusionieren

Schulexperten fordern Zusammenlegung mit der Realschule – als Zwischenschritt zur Gemeinschaftsschule für alle

BERLIN taz ■ Zum Beispiel im Saarland. Dort hatten 81 Prozent der Hauptschulen eine soziale Zusammensetzung, die Unterricht quasi unmöglich machte. Die damalige SPD-Landesregierung kannte diese Zahl in ihrer Eindringlichkeit zwar damals noch nicht, aber sie wollte vor rund zehn Jahren verhindern, dass die Hauptschule wegschrumpfte. Also schlug sie die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen vor – und bekam die Stimmen der CDU, um die Verfassung zu ändern. Die Einführung der erweiterten Realschule, die auch Hauptschüler integriert, wird heute noch ehrfürchtig als historischer Schulkompromiss gewertet.

Die erweiterte Realschule verbindet in der fünften und sechsten Klasse Haupt- und Realschule – und trennt erst danach in einen Hauptschulzweig und einen Mittleren Zweig. Das Saarland hat sich damit zunächst der sozialen Probleme entledigt, die in den Resthauptschulen mit nur 10- bis 20-prozentigen Schüleranteilen entstehen. Die Ergebnisse der erweiterten Realschulen sind viel besser als die, welche in den Schulghettos auftreten, die das Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung nachgewiesen hat. (Jürgen Baumert: „Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen“, Wiesbaden 2006) Wie berichtet (taz vom 20. 10. 2006) hatte das MPI in einer Studie gezeigt, dass es die Hauptschule ist, die in ihrem „Arbeitserfolg am stärksten durch kritische Kompositionsmerkmale beeinflusst und beeinträchtigt wird“. Auf Deutsch: Hauptschulen sind in vielen Bundesländern in ihrer Schülerschaft so negativ zusammengesetzt, dass das „außerordentlich schädliche Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung von Jugendlichen“ hat. 16 Prozent der deutschen Hauptschulen zählt das MPI als „kritische Schulmilieus“, in denen Unterricht kaum mehr stattfindet.

Schulexperten sagten gestern der taz, dass der Hauptschulkrise allein durch die Zusammenlegung mit den Realschulen nicht beizukommen sei. Dies könne nur ein Zwischenschritt sein, sagte der Schulforscher Ernst Rösner von der Universität Dortmund. „So können lediglich die schlimmsten Abgründe der Leistungsschwächen vermieden werden.“ Um wirklich gute Schulen zu bekommen und im internationalen Maßstab mithalten zu können, sei die Gemeinschaftsschule der bessere Weg.

Rösner erforscht Schulstrukturen. Er hat beobachtet, dass der Versuch, Hauptschulen besser zu machen, seit 20 Jahren den Niedergang dieser Schulform nicht aufhalten konnte – „im Gegenteil, sie sind zusehends schwächer geworden“. Entscheidend sei, dass Eltern die Hauptschule als Schulform für ihre Kinder immer stärker ablehnen. Daher plädiert Rösner für eine radikale Variante: Sobald eine Hauptschule weniger als 15 Prozent eines Jahrgangs aufnimmt, muss sie geschlossen werden. Selbst in Bayern hätten nach dieser Regel im Sommer weit über 100 Hauptschulen keine fünfte Klasse mehr eröffnen dürfen.

Einige Ost-Bundesländer haben Real- und Hauptschulen längst zusammengelegt. In Schleswig-Holstein und Hamburg sind Modelle von Gemeinschaftsschulen und Regionalschulen geplant, die alle Schüler unter einem Dach vereinen. Und auch im Saarland gibt es die Entwicklung dorthin. In Saarbrücken wurde eine erweiterte Realschule in eine Gesamtschule umgewandelt – weil die Eltern sahen, dass die Gesamtschule ihren Kindern mehr Chancen bietet. CHRISTIAN FÜLLER