„An all die Arschl**her“

Die Reaktionen der Internet-Community auf den Amoklauf in Emsdetten könnten unterschiedlicher nicht sein. Klar wird daraus nur: Hilfe kann das virtuelle Netz im realen Ernstfall nicht bieten

VON BARBARA BEHRENDT

ResistantX – unter diesem Pseudonym war der Amokläufer Sebastian Bosse im Internet unterwegs. Durch zahlreiche Foren, die sich mit dem angeblichen „Killerspiel“ Counterstrike beschäftigen, führt seine Spur, und auch die Waffen, mit denen er in Emsdetten an der Geschwister-Scholl-Schule um sich schoss, stammen aus einem Online-Waffenhandel. Mit mehreren Videos auf myvideo.de und dem Filmportal YouTube inszenierte sich der 18-Jährige als martialisch bewaffneter Killer, der in langem Mantel und mit Sonnenbrille die Knarre zückt. Es ist einfach, sich in der Internet-Community eine neue Identität zuzulegen und von den Problemen, die man als pubertierender Jugendlicher in der realen Welt hat, abzulenken.

Doch Sebastian Bosse nutzte das Netz nicht nur, um sich als cooler Killer zu präsentieren, er suchte dort auch nach Hilfe. Im Juni 2004 schrieb ResistantX im psychosozialen Forum das-beratungsnetz.de den Beitrag „Blutrausch“: „ Ich fresse die ganze Wut in mich hinein, um sie irgendwann auf einmal rauszulassen, und mich an all den Arschl**hern zu rächen, die mir mein Leben versaut haben. […] Für die, die es noch nicht genau verstanden haben: Ja, es geht hier um Amoklauf!“

Wie das Beratungsnetz darauf reagierte, kann man leider nicht mehr nachlesen – der gesamte Beitrag wurde nach dem Amoklauf aus dem Forum gelöscht. Doch „shOckk“, eines der empörten Mitglieder des Forums, schreibt: „Wenn man sich den alten Beitrag durchgelesen hat, dann hat man sich schon gefragt, ob die Seite dem gerecht wird. Nicht etwa aufgrund der späteren Tat von Bastian B., sondern weil die Antworten im Thema auch von Laien auf der Straße hätten stammen können (und wahrscheinlich auch stammten).“

Die unzählbaren Beiträge im Internet, die sich auf den Amoklauf von Sebastian Bosse beziehen, sind jedoch durchweg heterogen. „Ich finde es lächerlich, dass dieses ach so schlimme Spiel CS [Counterstrike] wieder an allem schuld sein soll!“, schreibt „Tim“ auf einem Counterstrike-Forum. Und weiter: „Und ausserdem finde ich es lächerlich das da nun so ne welle drum gemacht wird er ist tot und ende was wollen die noch ändern …

Ein Mensch mit dem Nickname „Der Jo“ ist ähnlicher Meinung: „Ich spiele „Killerspiele“ wie sie in den Nachrichten genannt werden aber ich denke nicht daran in meine Schule zu rennen und um mich zu schießen. Ich rege mich auch schon mal auf wenn ich öfter verliere. Aber das geht bei weitem nicht soweit, dass ich Amoklaufen würde. Also ‚Killerspiele‘ machen zwar aggressiv wenn man immer verliert, können aber auch Dampf ablassen wenn man sich mal aufregt …“ Während viele Counter-Strike-Spieler davon genervt sind, dass über das Verbot des Computerspiels diskutiert wird, sieht „Black Velvet“ das auf forum.counter-strike etwas differenzierter: „Allerdings gibt es auch genug erwachsene Idioten, die es nichtmal fertigbringen normal mit Leuten zu reden. Wann gibt es eigentlich endlich den Eignungstest für PCs/Spiele/Führerscheine? Das Schlimme ist ja nicht, dass die Jugend immer gewaltbereiter wird, sondern dass immer mehr leute zu wenig darüber nachdenken, was sie tun.

Ganz ähnlich reagieren Leser der „Wir-um-die-Dreißig“-Zeitschrift Neon, die zumindest dem Anspruch des Magazins zufolge eher einen bildungsbürgerlichen Hintergrund haben dürften: „Der Werteverlust unserer Gesellschaft ist doch enorm. Woran können sich junge Menschen noch orientieren? Wenn soziale Kompetenzen vernachlässigt werden, können Computerspiele ihr übriges tun. Aber ein Mensch, der moralische Grundwerte kennengelernt hat, kann Tag und Nacht Counterstrike spielen und wird nicht Amok laufen“, schreibt „Kwenda.Mzuri“.

Der Schreiber „Abstinenzabszess“ vergleicht dagegen Counterstrike mit Fußball: „Es gibt viele Menschen, die meinen Fussball waere ein unglaublich stupides und sinnloses Spiel. Von aussen gesehen rennen da naemlich bis zu 22 Spieler stundenlang einem Ball hinterher und treten solange scheinbar wahllos danach, bis er im Tor landet. Kommt dieser Eindruck daher, dass es beim Fussball nicht auf Ballbeherrschung, Kondition, Spieleinschätzung Taktik und Teamplay ankommt? Oder wuerde nicht jeder Fussballspieler diesen Kritikern gerne entgegenhalten, dass sie das Spiel nicht verstehen, weil sie sich nie damit beschaeftigt haben?“

Die Debatte nach dem Amoklauf von Sebastian Bosse, über Sinn und Verbot von Computerspielen wie Counterstrike, zeigt im Wesentlichen nur eins: Hilfe kann die virtuelle Internet-Community im realen Ernstfall nicht bieten.