Zicki-zicki in elf Sprachen

Ernst Middendorp trainiert die Kaizer Chiefs Johannesburg – im Land der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Die WM wird ein voller Erfolg werden, glaubt der Deutsche. Nur in seinem Team läuft es derzeit nicht richtig rund

„Ich halte nichts vom Southafrican Style. Ich will Benefit-Fußball“

AUS JOHANNESBURGACHIM DREIS

Wenn Ernst Middendorp einen Angriff einleitet, geht das Handy über rechts, das Wasserglas steht zentral und von hinten stößt die Espressotasse zu. „Bam, bam, bam, so muss das gehen“, sagt der deutsche Fußballtainer am südafrikanischen Kaffeehaustisch und unterstreicht mit beiden Händen seine Aussage.

Seinen Spielern fehle diese Zielstrebigkeit. Die Kaizer Chiefs Johannesburg spielen am liebsten „Zicki-zicki“, wie Middendorp ihr ballverliebtes Geplänkel nennt: „Ambitionen, das Ding unbedingt in die Kiste zu hauen, gibt es hier nicht“, bedauert er: „Hier steigen sie lieber fünfmal über den Ball, das gibt Klapping“, sagt er und meint den Applaus des Publikums. Er hat sich mit den Jahren ein eigentümliches Denglisch zugelegt, aber man versteht ihn. Zauberei begeistert Afrikaner, auch wenn der Ball am Ende in der Mitte liegen bleibt und fünf Gegner drum herumstehen.

Middendorp stieg Mitte der 90er-Jahre mit Arminia Bielefeld aus der Regional- in die Bundesliga auf und war damals der jüngste Bundesligatrainer aller Zeiten. Das war erstaunlich, weil er selbst nie als Profi Fußball spielte. Beim 100-jährigen Vereinsjubiläum wurde „Power-Ernst“ zu Bielefelds „Trainer des Jahrhunderts“ gewählt. Es folgten eine Episode in Uerdingen und ein verunglücktes Engagement beim VfL Bochum.

Im nachfolgenden Frusturlaub auf Zypern überraschte ihn ein Ruf aus Ghana. Antony Yeboah hatte vermittelt und Middendorp flog erst einmal mit leichtem Handgepäck für drei Tage nach Westafrika. Er blieb drei Jahre: als Trainer von Kumasi Asante Kotoko. Später ging er nach Accra. Mittlerweile ist er 48, leicht ergraut und gilt als Experte für afrikanischen Fußball mit all seinen Stärken, Tücken und Rückwärtsentwicklungen.

Man kann ihn als Referent buchen zum Thema „WM 2010, Chancen und Risiken“. Durchaus vorhandene Sicherheitsprobleme geht er pragmatisch an. Er habe in der ganzen langen Zeit keine gefährliche Situation erlebt, sagt Middendorp. Man müsse sich eben an „Rules and Regulations“ halten. Heißt: in bestimmten Gebieten zu bestimmten Zeiten nicht aufhalten: „No-go-Areas“. Er selbst legt abends grundsätzlich jede Strecke mit dem Auto oder Taxi zurück.

Meldungen, dass Stadien nicht fertig werden könnten, Gerüchte, die Weltmeisterschaft werde Südafrika sogar wieder weggenommen, hält er für Panikmache: „Was hier fertig werden soll, wird auch fertig.“ Das habe er bei zahlreichen Projekten beobachtet. „Dann wird eben auch sonntags, nachts und in mehrere Schichten gearbeitet.“ Warum man die Dinge erst schleifen lässt und dann ranklotzt, kann er aber auch nicht erklären: „Wie soll man ein Land verstehen, das elf Sprachen spricht?“

Seit rund eineinhalb Jahren lebt und trainiert Middendorp in Johannesburg. Auf dem perfekt gepflegten Trainingsplatz in der Nähe der heruntergekommenen Township Soweto steht der Deutsche wie ein Feldherr. Er lässt Laufwege üben, Flanken, Torschüsse. „Yeah“ ruft er oder „Come on. Haut das Ding da rein“ ist die Devise. Middendorp ist der einzige ausländische Trainer in der Castle Premiership, der ersten südafrikanischen Liga.

Die Kaizer Chiefs, gegründet von der südafrikanischen Fußballlegende Kaizer Motaung, gewannen unter seiner Führung zwei Pokalwettbewerbe. Zurzeit stehen sie aber nur im Tabellen-Mittelfeld – für den FC Bayern des Kapstaats zu wenig. Ernest, wie er sich hier nennt, spürt Misstrauen der einheimischen Fußballszene. Er muss sich nicht nur gegenüber dem Präsidenten Kaizer Motaung und der Presse rechtfertigen, sondern auch gegenüber den Shareholdern des Vereins.

Bei aller Liebe zum fremden Land hat er sich als Mentalitäts-Pufferzone ein deutsches System aufgebaut. Ko-Trainer Frank Eulberg ist Deutscher, Torwarttrainer Rainer Dinkelacker auch. Strategiesitzungen hält das „Kompetenzteam“ gerne im Hyatt-Hotel im noblen Stadtteil Rosebank, nach der Arbeit am liebsten mit trockenem südafrikanischem Weißwein, Sauvignon Blanc, die Kellner wissen Bescheid, freuen sich über Besuch vom Coach, wie sie ihn respektvoll nennen.

In dieser Umgebung fühlt sich „Ernest“ wohl, hier redet er sich in Rage über Fußball im Allgemeinen und den südafrikanischen im Besonderen. „Ich halte nichts vom Southafrican Style“, sagt er scharf. Stattdessen predige er „Benefit-Fußball“: klar spielen, immer ein Tor mehr schießen als der Gegner, und erst dann komme Entertainment.

Seinen Job hat er vom Rumänen Ted Dumitru übernommen, der mit den Chiefs zweimal Meister wurde, danach aber als Nationaltrainer der Bafana Bafana scheiterte. Vom Afrika-Cup 2006 in Ägypten brachten die grünen Jungs, was der Zulu-Ausdruck Bafana Bafana bedeutet, null Punkte und null Tore nach Hause. Die Qualifikation für die WM in Deutschland wurde vorher schon verpasst. In der Weltrangliste ist Südafrika, 1998 und 2002 noch stolzer WM-Teilnehmer, auf Rang 66 abgerutscht, als Nummer 16 vom schwarzen Kontinent.

Die Chancen für 2010 schätzt Middendorp dennoch nicht schlecht ein. Dem Brasilianer Carlos Alberto Parreira als neuem Nationaltrainer traut er zu, die Bafana Bafana wieder auf Kurs zu bringen. Doch die südafrikanische Mentalität macht es nicht immer leicht für einen Zugereisten. Bei den Chiefs hat der Coach selbst elf Nationalspieler im Team und kennt die Tücken: „Ein gutes Match, die Zeitungen loben, und schon tritt für 14 Tage eine gewisse Sättigung bei den Jungs ein.“

Sein eigener Vertrag in Johannesburg läuft bis 2007. Ob er verlängert? „Everything depends on Erfolg.“