Baumsterben in Reih und Glied

Schon Fontane schwärmte für die Alleen Brandenburgs. Heute sind viele der Naturdenkmäler bedroht. Manche Kreisbehörden fällen aus Geldnot. Das Land erarbeitet jetzt ein Schutzkonzept

von ULRICH SCHULTE

Schon Theodor Fontane, der oft durch die Mark wanderte, schätzte die brandenburgischen Alleen. „Durch das Ebenmaß der baumgesäumten Wege sehe ich das Land wie durch das Fenster und fühle mich darin geborgen.“ Was der Dichter so innig beschrieb, ist heute durch viele Faktoren gefährdet, sagt Silke Friemel vom Umweltverband BUND Brandenburg. „Wir stehen an einem Wendepunkt, der für die Zukunft dieser Naturdenkmäler entscheidend ist.“

Ob es Autoabgase sind, Tausalz im Winter oder mangelnde Pflege durch die Behörden, ein Alleebaum hat es schwer. Und er ist in den meisten Fällen sehr alt. Viele Alleen im Nachbarland wurden im 19. Jahrhundert gepflanzt, ihnen stecken also über 100 Jahre in Stamm und Ästen. Und gerade manche Landkreise gehen mit den betagten Schätzchen alles andere als sanft um, kritisiert Friemel. „Oft wird vorsorglich gefällt, obwohl Bäume noch Jahrzehnte stehen könnten. Immer wieder argumentieren Behörden mit der Verkehrssicherheit, dabei ist ihnen nur die Pflege zu teuer.“

Beispiel Rüdnitz im Barnim: Nördlich von Berlin will die Kreisverwaltung mit EU-Fördermitteln eine marode Kreisstraße ausbauen und dafür bis zum Frühjahr über 700 alte Ahornbäume roden. Naturschützer wie Katharina Tomaschek kämpfen seit Monaten gegen „diesen ökologischen Irrsinn“ (siehe Interview) mit Unterschriftensammlungen und Baumbesetzungen. Norbert Wilke, Geschäftsführer der Grünen Liga Brandenburg, sagt, die Allee könne noch mehrere Jahrzehnte stehen. „Das ist ein Präzedenzfall. Es ist neu, dass eine ganze Allee verschwinden soll – auf dieses Beispiel warten andere Kreise nur.“

Wohl und Wehe eines einzigartigen Naturdenkmals ist nur ein Aspekt der polemisch geführten Diskussion, es geht dabei auch um verschiedene Vorstellungen von der Zukunft der Alleen. Denn während die Naturschützer im Fall Rüdnitz für den möglichst langen Erhalt der Alleen durch sorgsame Pflege und Fällung allenfalls einzelner, kranker Bäume plädieren, sehen andere Experten auch Vorteile einer Radikalkur.

„Eine Komplettfällung mit Neupflanzung kann im Einzelfall sinnvoll sein“, sagt Rigo Vallet, Referatsleiter Naturschutz im brandenburgischen Landesumweltamt. „Wenn man nach und nach Lücken neu bepflanzt, steht in 20 Jahren Stückwerk an der Straße – und keine einheitliche Allee mit durchgehender Krone.“ Er betont allerdings: „Natürlich darf eine solche Lösung nicht als einzige Schule machen. Sonst haben wir bald nur noch mickrige Neupflanzungen.“

Die verschiedenen Zuständigkeiten machen den Alleenschutz nicht gerade einfacher. In Brandenburg stehen nach Messungen des Infrastrukturministeriums 8.200 Kilometer Alleen. Für den Großteil, 5.000 Kilometer Kreis- und Kommunalstraßen, sind die Landkreise zuständig. Die Bäume an Bundes- und Landesstraßen betreut das Ministerium.

Bereits im Jahr 2000 beschloss das Land in einem Alleenerlass den Schutz der Naturdenkmäler sowie Nachpflanzungen. In den nächsten Monaten will das Ministerium ein Konzept zu ihrem Schutz vorlegen. Diskutiert werde zum Beispiel, Geld aus dem Naturschutzfonds für den Erhalt der Alleen zu verwenden, so Sprecher Lothar Wiegand. Auch sei denkbar, Mittel für Ausgleichsmaßnahmen von Bauprojekten für die Straßenbäume zu nutzen. Klar ist: Trotz aller Umschichtung wird sich das Geld für Naturschutz nicht wundersam vermehren.

Und so hat die Zahl der Alleebäume in den vergangenen Jahren trotz Alleenerlass abgenommen. Nach Zahlen des Infrastrukturministeriums wurden von 2003 bis 2005 rund 29.900 Bäume gefällt, aber nur 20.900 nachgepflanzt. Dennoch könne von einer Politik der Kettensäge keine Rede sein, sagt Sprecher Wiegand. In anderen Jahren sei die Bilanz positiv. „Schwankungen sind ganz natürlich. Allein deshalb, weil im November gefällt, aber erst im Mai gepflanzt wird.“ Aus Sicht des BUND ist das Schönrechnerei. Er moniert ein „rechnerisches Defizit“.

Die trockene Zahlenaufrechnerei verbirgt allerdings eines: Frisch gesetzte Jungbaum-Reihen haben zunächst nichts mit den grünen „Hainen des Reisens“ zu tun, die Fontane einst besang – vom ökologischen Verlust ganz zu schweigen.