Scharniere zwischen den Zeiten

Das Eisenwarengeschäft C. Adolph in Charlottenburg lebt von der Kunst des Aufhebens und Abwartens. Verkauft werden Schlüsselrohlinge, Holzschlitten, Schraubzwingen – alles mit der Ehrlichkeit der Zeit, als die Dinge noch sie selbst waren

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Gleich neben dem Eingang hängen die Klingeln, 3,80 Euro oder 4,20 das Stück. Kleine rechteckige Plastiksummer, die man in jedem Hausflur findet. Und bei Eisenwaren C. Adolph. Ein unauffälliger Artikel, wie überhaupt viele der 40.000 Sachen in den Regalen, Schränken und Kisten am Charlottenburger Savignyplatz kein großes Aufheben um sich machen. Schraubzwingen, Plastikgießkannen, Alleskleber. Detlef Savary, seit nunmehr zwei Jahren der aktuelle Herr Adolph, verkauft in erster Linie Funktionen. Er verkauft Dinge, die ganz konkret gebraucht werden; irgendwie eine antiquierte Interpretation unserer Konsumkultur.

Sicher, hin und wieder landet auch einmal ein zeitgeistiger Artikel im Sortiment. Im vergangenen Winter hat der 44-Jährige angefangen, Kaminholz zu verkaufen. Die Menschen mögen es wieder heimelig und romantisch in ihren Charlottenburger Altbauwohnungen. Und weil es die Menschen wieder romantisch mögen, hat sich längst auch ein Eisenwaren-Adolph-Tourismus entwickelt. Hamburger Ehepaare kommen und staunen. Selbst in Reiseführer hat es der Laden mit der 108-jährigen Geschichte und dem genauso alten Schubladensystem hinter der Ladentheke schon gebracht.

Es gibt sie noch, die guten Dinge. Eigentlich waren sie nie verschwunden. Sie warten nur in einer staubbedeckten Pappschachtel seit den 1930er-Jahren darauf, dass sie irgendjemand braucht – wie dieses eine Türschloss. Bei den wuchtigen Vierkantnägeln aus der selben Zeit ist allerdings auch Detlef Savary skeptisch: „Genagelt wird nicht mehr, heute wird gedübelt, getackert und geschraubt.“

Eisenwaren C. Adolph erzählt auch Geschichten vom Verschwinden. Mal sind es die Accessoires einer verstaubten Handwerkstechnik, die ganz hinten im Lager, einem ehemaligen Pferdestall, oxidieren. Momentan sind es die beiden Holzschlitten, die seit Anfang November an der Ladentür auf den Winter warten. Was für die Sportartikelbranche mit ihren saisonalen Moden der Super-GAU ist, bedeutet für die Savarys nur, dass sie im Frühjahr zwei Schlitten mehr in den Pferdestall räumen müssen. Die klassischen Holzschlitten Modell „Davos“ sind auch im nächsten Winter noch ganz zeitlos charmant. Schnelle Geschäfte sind ganz einfach nicht die Sache eines Betriebes, der Berliner Altbauten noch heute mit Schlüsselrohlingen aus der Belle Époque versorgt. 12,90 Euro das Stück, bereits schließfertig zurechtgefräst.

„Totes Kapital gibt es bei uns nicht. Totes Kapital ist unser Kapital. Die Kiste hier mit den Scharnieren zum Beispiel haben wir einmal von einem Großhändler übernommen, der sein Geschäft aufgegeben hat. Aus der verkaufen wir noch die nächsten 20 Jahre.“ Eine Zeitspanne, in der benachbarte Boutiquen dreimal ihre Besitzerin gewechselt haben dürften.

Voll ist es inzwischen geworden bei Eisenwaren Adolph. Gerade hat der 39er-Bus ein halbes Dutzend Charlottenburger und noch mehr Charlottenburgerinnen in den Laden entlassen. Eine Frau mit rotem Brillengestell und grauem Pagenschnitt kauft Batterien für ihre Maclite-Taschenlampe. Ein Parkaträger braucht zwei Archivschrankgriffe, auf dass die Ikea-Kommode nicht mehr ganz so nach Ikea aussieht. Katja Riemann sucht nach einer kupfernen Lampenschelle. Und Jürgen Flimm hat den Kragen hochgeschlagen und das Basecap tief ins Gesicht gezogen. Müsste er aber gar nicht. Eisenwaren Adolph gehört nicht zu den Läden, in denen Autogrammkarten der prominenten Kundschaft über der Theke hängen.

Nichts ist Trend, nichts Hype. Margit und Detlef Savary sind deswegen natürlich stolz darauf, aber auch ein wenig melancholisch darüber, dass ihr Geschäft noch immer so beliebt und sogar ein wenig berühmt geworden ist. Bedeutet Letzteres doch auch, dass der Eisen- und Haushaltswarenladen C. Adolph zu einer Rarität geworden ist. Dass sich die städtische Ökonomie, auch in der Charlottenburger Kantstraße, weitreichend gewandelt hat. Von den Letzten ihrer Art spricht man in solchen Momenten gerne. Am Savignyplatz trifft das auf beide zu, den Eisenwarenladen wie auch viele der vorrätigen Eisenwaren.

Ob sich seine Familie denn immer sicher gewesen sei, dass der Laden so stoisch durch die Jahrzehnte hindurch existieren werde, will man von Detlef Savary wissen. „Vor Baumärkten haben wir eigentlich nie wirklich Angst gehabt.“ Oder wie es ein Postkartenspruch hinter der Kasse formuliert: „Wissen schafft Umsatz.“

Heute um 18.30 Uhr porträtiert der Kulturkanal Arte die Eisenwaren-Institution C. Adolph im Rahmen der Doku-Reihe „Ein Laden in …“