Der Klinik-Skandal – „Tatort“ mit Folgen

Krankenhäuser sind für die Menschen da. Was hinter der Kulisse, wo es um viel Geld geht, geschoben und gespielt wird, das versucht der Bremer Untersuchungsausschuss zum Klinikskandal ans Licht zu bringen. Der Stoff würde für manchen Krimi gut sein – wir bringen hier einige Kostproben

Von Klaus Wolschner

„Von Mensch zu Mensch“ ist das Motto des Klinikverbundes „Gesundheit Nord“, der das Dach der vier kommunalen Kliniken bildet. Vertrauen ist Ehrensache, denn schließlich verbinden die Kunden, und das sind im Zweifelsfall alle, mit dem Stichwort Krankenhaus eigentlich weniger die hohen Krankenkassenbeiträge als vielmehr die Hilfe, die sie in Notfällen erwarten.

Hinter der spiegelglatten Fassade geht es aber auch um viel Geld, und das Gesundheitswesen scheint in besonderer Weise für Korruption anfällig zu sein. Was in dem Untersuchungsausschuss zum Bremer Klinikskandal Tag für Tag offenbar wird, würde für verschiedene Folgen eines Tatort-Krimis reichen, da sind sich die Beobachter einig.

Tatort Leipzig I

Tatort Brandis bei Leipzig, zum Beispiel. Jeden morgen um 8 Uhr wird in der Reha-Klinik mit dem schönen Namen „Memory“ der Leiter der Landesversicherungsanstalt (LVA), Heinz Löffler, vorgefahren. Er hat dort Termin beim Chefarzt. Die LVA, das muss man wissen, entscheidet über die Belegung der Reha-Kliniken, Reha-Kliniken sind abhängig von den Krankenversicherungen. Die Klinik in Brandis musste auf Druck der LVA ihren Chefarzt entlassen und Volker Rust als Chefarzt einstellen, berichtete der Zeuge Frank von der Thiemig-Weide vor dem Ausschuss. Glatte Erpressung offenbar. Aber die Privatklinik in Brandis lief gut von Anfang an, 96 Prozent Auslastung der Betten.

Was trieb den LVA-Chef? Er war medikamentenabhängig, sagte der Zeuge. Und die Klinik-Chefin legte Wert auf ein gutes Verhältnis zur LVA. Mal ging Meißner Porzellan-Service im Wert von rund 6.000 Mark für einen LVA-Abteilungsleiter, mal wurden Hotelrechnungen für LVA-Chef Löffler beglichen. So bekommt man eine Klinik voll. Jeden Morgen also fuhr er vor, berichtete die damalige Klinik-Besitzerin Gisela Puschmann dem Ausschuss, ließ sich „eine Stunde streicheln“ vom Chefarzt, wie sie das nennt. Rechnungen wurden nicht geschrieben.

Das war 1996, der junge Verwaltungsleiter der Klinik heißt Andreas Lindner. Er lernte da offenbar seine ersten Lektionen in Sachen Reha-Kultur. Sie habe ihm damals vertraut, berichtete Puschmann, allerdings auch „sehr eng geführt“. Bis sie dann 1997 verhaftet wurde wegen Steuerhinterziehung. Das ist die Stunde von Andreas Lindner. Lindner soll zusammen mit dem Chefarzt Rust versucht haben, sich die Klinik unter den Nagel zu reißen, sagt seine ehemalige Chefin Puschmann. Lindner habe ihrer Bank erzählt, dass sie im Knast sitzt. Ein fristloser Kündigungsgrund für die Kredite – Puschmann musste aus dem Knast Insolvenz anmelden. Lindner hatte noch Zugriff auf die Pläne der Reha-Klinik Brandis. Bei dem Versuch, diese am Fiskus vorbei zu Geld zu machen, wird er erwischt und wegen Steuerhinterziehung verurteilt – immerhin geht es um eine Steuer-Summe von 500.000 Euro.

Als Lindner fast zehn Jahre später für seine Bewerbung in Bremen Zeugnisse vorlegen muss, benutzt er das Briefpapier der Brandis-Klinik und fälscht die Unterschrift seiner früheren Chefin Puschmann. Über seine berufliche Vergangenheit hatte man sich in Bremen vor der Einstellung genauso wenig erkundigt wie man ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt hatte.

Tatort Bad Oeynhausen

Wie kann ein Mann, der über wenig bis kein Geld verfügt, eine Klinik mit 155 Betten besitzen? Diese Frage ist in dieser Woche im Untersuchungsausschuss beantwortet worden. Und zwar von Michael Ennenbach, Verwaltungsleiter Lindners in der Siekertalklinik in Bad Oeynhausen. 2003 wurde er eingestellt und zwar von dem Kasseler CDU-Politiker und Anwalt Gotthart Brand und Andreas Lindner. In den ersten beiden Jahren musste er anfangs täglich telefonisch berichten über seine Arbeit, über Patientenzahlen und so weiter. Die Immobilie hatte Lindner von der Marseille-AG gemietet, 44.000 Euro Miete waren jeden Monat fällig. Die Marseille-AG, die bundesweit Altenheime und Reha-Kliniken betreibt, hatte den Klinikbetrieb Siekertal 1998 eingestellt und das Haus für die Schulung seiner Mitarbeiter genutzt.

Die Marseille-AG sorgte für Lindners Neustart ab 2003 auch für das Catering, für Reinigung und Empfang – monatlich hätten rund 120.000 Euro an die Marseille fließen müssen, berichtete der Verwaltungsleiter. Oft war aber auf dem Siekertal-Konto Ebbe, dann habe Lindner bei dem aus Bremerhaven stammenden Rehaklinik-Betreiber Ulrich Marseille angerufen mit der Folge, dass Rechnungen nicht überwiesen werden mussten.

Was den Verwaltungsdirektor wirklich gestört hat, war die Tatsache, dass seine Klinik über ein zweites Konto in Kassel verfügte – dort hat der Anwalt Brand seine Praxis – und dass er auf dieses Konto keinen Zugriff hatte. Bilanzen der von ihm verwalteten Siekertal-Betriebs-GmbH, aus denen die Abflüsse über das Kasseler Konto erkennbar gewesen wären, habe er nie gesehen, meinte der Verwaltungsleiter. Deshalb habe er im Sommer 2005 die Verantwortung für die Geldflüsse niedergelegt, berichtete er.

Der Aufsichtsrat des Klinikums Bremen-Ost hat sich 2005 nicht weiter erkundigt, wen er da nach Bremen holen wollte. Niemand ahnte, dass ihm nebenbei die Klinik Siekertal gehört. Im Schnitt 30 Reha-PatientInnen sollten im billigeren Bad Oeynhausen behandelt werden, das hatte Bremen-Ost (Lindner) so mit Siekertal (Lindner) vereinbart. Damit es nicht so auffällig war, unterschrieb der CDU-Anwalt Brand, der sich später selbst als Strohmann von Lindner bezeichnete, auf der einen Seite des Vertrages, den Lindner mit sich selbst geschlossen hatte. Es seien aber viel weniger als die angekündigten 30 pro Monat gebracht worden, berichtete der Verwaltungsleiter der Siekertal-Klinik – insgesamt nur 18 über mehrere Monate. 155 hätten auf der Liste gestanden. Offenbar hätten sich viele Patienten der Verbringung in das 200 Kilometer entfernte Bad Oeynhausen widersetzt, andere seien vielleicht aus medizinischen Gründen von der Liste gestrichen worden. Dem Verwaltungschef konnte das egal sein: Es war eine feste Summe von 63.000 Euro vereinbart, egal wie viele Patienten aus Bremen da waren.

Und wie wurden die 63.000 Euro bezahlt? Ganz einfach: Lindner habe aus Bremen angerufen, ihm Wort für Wort die Rechnung datiert, er habe die nach Bremen gefaxt – und oft sei am folgenden Tag Lindner mit einem Scheck gekommen. So einfach fließt Geld aus einer kommunalen Klink in private Taschen. Irgendwann habe Lindner auch angerufen und eine monatliche Überweisung an Frau Tissen durchtelefoniert, 7.000 Euro. Wofür das Geld fließen sollte, habe er nicht nachgefragt, meinte der Verwaltungsleiter. Lindner sei eben der Chef gewesen, da habe er nichts hinterfragt.

Tatort Leipzig II

Wir schreiben den 18. Oktober 2006, Lindner ist fristlos entlassen, braucht offenbar Geld. Und lebt in dem Glauben, weiter große Räder drehen zu können. Er erinnert sich an einen alten Kontaktmann, den Marketing-Consulter und Privatdetektiv Frank von der Weide-Thiemig. Der wollte zusammen mit dem Lindner aus dem Klinikum Bremen-Ost ein Zentrum für „Muslim-Blut“ einrichten und kassierte dafür über 46.000 Euro Beratungshonorar aus der Kasse Bremen-Ost. Die Geschäftsidee: Könnten nicht 12 Millionen Muslime in Europa und vor allem die im Irak, im Iran und anderswo auf den Gedanken kommen, Blutspenden mit christlichem Blut abzulehnen? Bisher ist das Problem bei den Blutspende-Experten des Roten Kreuzes nicht bekannt, aber das könnte sich ja ändern.

Am 18. Oktober stellen Lindner und von der Weide-Thiemig bei der Sparkasse Leipzig einen Kredit-Antrag – über eine Million Euro. Nein, nicht für ihr Muslim-Blut-Projekt, sondern für eine Dependance der Klinik Siekertal. Als Sicherheit sollen sie eine wunderschöne Bilanz dieser Klinik vorgelegt haben. Von offenen Rechnungen war darin nichts zu sehen. Ärgerlich: Die Sparkasse Leipzig rückte trotzdem kein Geld raus.

Tatort Hamburg

„Für mich war Lindner ein Marseille-Mann“, so knapp bringt der Bremer Lungenfacharzt Arnoud Demedts seinen Eindruck auf eine kurze Formel. Demedts hatte von Lindner einen Beratervertrag angeboten bekommen – 10.000 Euro pro Monat. Er sollte bei der Einrichtung von „Medizinischen Versorgungszentren“ (MVZ) beraten. „Ich hätte das auch für die Hälfte gemacht“, sagt Demedts freimütig, aber – wie andere auch – habe Lindner ihm das einfach so in der Höhe angeboten. Welchen Nutzen der Klinikchef sich davon versprochen haben konnte, den Gröpelinger Lungenarzt an sich zu binden, darüber rätselte man im Ausschuss vergeblich. Lindner war mit den Leuten von Marseille, mit denen er telefonierte, per Du, erinnert sich Demedts. Die Beratung für „Medizinische Versorgungszentren“ führte ihn auch einmal zu einer Klinik in Hamburg Hamm, die zum Marseille-Imperium gehört. Er sollte auch da beraten – offenbar auf Rechnung seines Beratungsvertrages vom Klinikum Bremen-Ost. Dass die Verbindung von Lindner und Marseille sehr eng sein müsse, schloss Demedts damals.

Wie eng die geschäftlichen Kontakte über die Siekertal-Klinik in Bad Oeynhausen waren, ahnte er nicht. Das wurde erst diese Woche bekannt durch die Vernehmung des Siekertal-Verwaltungsleiters Ennental. Offenbar hat Ulrich Marseille, der Lindner noch im November zum Leiter von 15 Reha-Kliniken machte, Lindner kurz danach fallen gelassen. Am 8. Dezember 2006 muss Lindner seine Siekertal-Betriebsgesellschaft an Marseille verpfänden – bis zu einer Summe von 3,2 Millionen Euro gehört alles Marseille, steht in der von Lindner unterschrieben Urkunde. Offenbar summiert Marseille Lindners Schulden an ihn auf diese Summe.

Am 3.1.2007 wird Lindner verhaftet. Am 19.1.2007 wird die dreiköpfige Spitze der Klinik Siekertal nach Hamburg in die Marseille-AG eingeladen. Auch Gotthold Brand, der CDU-Politiker aus Kassel und Lindner-Vertraute, der als Strohmann-Geschäftsführer vieles unterschrieben hatte, muss in Hamburg antanzen. Er können sich eine weitere Zusammenarbeit mit Lindner nicht vorstellen, erklärte Ulrich Marseille da und zeigt den verdutzten Lindner-Mitarbeitern die Verpfändungs-Urkunde. Er müsse seine 3,4-Millionen-Forderung gegen Lindner wohl abschreiben, habe Marseille erklärt, erinnerte sich Ennental an die Begegnung. Und dann platzte die Bombe: „Herr Brand, hiermit kündige ich fristlos Ihre Mietverträge.“ Wenn die MitarbeiterInnen die Klinik auf eigene Rechnung weiterführen wollten, ließe er mit sich darüber reden – sie müssten eine eigene Betriebsgesellschaft gründen. Darüber wird derzeit in Bad Oeynhausen beraten, berichtete Ennental. Verwaltungsleiter Ennental selbst als Kenner der Zahlen schien aber nicht ganz überzeugt von der Idee und wollte auf jeden Fall ein persönliches finanzielles Risiko bei der Übernahme des Lindner-Erbes vermeiden.

Tatort Müller-Sönnewald

Eine der Schlüsselfiguren im Bremer Klinik-Krimi ist Sven Müller-Sönnewald, Regionalleiter der „VAMED Management und Service GmbH“ mit Sitz in Berlin. Die Firma gehört über Verschachtelungen zur Fresenius-Gruppe. Als er abends gegen halb sechs im Untersuchungsausschuss auftritt, sitzt der Rechtsanwalt Jörg Hübel von der Kanzlei Joester & Partner im Raum auf den Zuschauer-Bänken. Kollege Erich Joester, der renommierte Strafverteidiger, war jüngst im Ausschuss als Rechtsbeistand für den Abteilungsleiter des Gesundheitsressorts Matthias Gruhl dabei. Gruhl hatte darum gebeten, Müller-Sönnewald als Zeugen zu hören. Hatte jemand den Anwalt Hübel geschickt?

Müller-Sönnewald bestätigt, dass er dem Bremer Abteilungsleiter Gesundheit den Tipp auf Tissen gegeben hat. Karoline Linnert will mehr wissen. Warum sich Müller-Sönnewald kurz nach Tissens Amtsantritt mehrfach in Bremen mit Tissen und dem Geschäftsführer der Klinik Bremen-Mitte, Walter Bremermann, getroffen hat. Das steht in Tissens Terminkalender. Zentrales Thema bei all diesen Treffen: „PPP“. Das Kürzel steht für „Public Private Partnership“, eine Privatfirma übernimmt die 170 Millionen-Investition in das Klinikum Mitte und sichert sich dafür im Gegenzug einen bindenden 30 Jahres-Vertrag. Für die einen das Zukunftsmodell für die Klinik Bremen-Mitte, für die Kritiker die Vorstufe zur Hölle, weil sich die Bremer Kommunalklinik damit einem privaten Klinikbetreiber an den Hals werfen würde.

Dass der Ausschuss wissen will, was da beredet wurde und was seine Rolle dabei war, geht Müller-Sönnewald offenbar auf die Nerven. Wie auch immer die Fragen formuliert werden, bleibt er stur bei seiner Antwort „Informationsaustausch“. Bis es Frau Linnert zu bunt wird. Sie weist den Zeugen darauf hin, dass er in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Wahrheit sagen muss und zwar vollständig - wie vor Gericht. Schließlich bittet er entnervt um eine Pause. Und was passiert? Zusammen mit dem Besucher und Rechtsanwalt Hübel zieht sich Müller-Sönnewald zur Beratung zurück.

Als sie zurückkommen, wird der Rechtsanwalt Hübel darauf hingewiesen, dass er nun selber als Zeuge vernommen werden müsse und daher kurz den Saal zu verlassen habe. Der weigert sich zunächst standhaft, bis er merkt, dass hier möglicherweise ein Polizeieinsatz droht. Dann fügt er sich. Müller-Sönnewald übt nun heftige Kritik an der Vorsitzenden Linnert und will gar keine Auskunft mehr geben. Eine gibt er dann doch: „Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt kein Mandatsverhältnis mit Herrn Hübel.“ Damit wird Müller-Sönnewald für heute entlassen. Es kommt Anwalt Hübel und erklärt: „Es besteht ein Mandatsverhältnis zwischen Herrn Müller-Sönnewald und mir. Deswegen mache ich keine Aussage.“

Was wird da gespielt? Der Radio-Bremen-Redakteur Theo Schlüter, der in seinem Online-Tagebuch vom 31.1.2007 diese Szene so ausführlich beschreibt, hat einen literarisch verfremdeten Kommentar angefügt. Da sagt Max Ballauf und Freddy Schenk: „Soll ich Dir sagen, was ich meine? Aber nur unter uns: Ich habe den Verdacht, dass der Müller-Sönnewald dem Tissen geholfen hat, den Job in Bremen zu kriegen. Und dass umgekehrt der Tissen dem Müller-Sönnewald helfen wollte, dafür einen Fuß ins PPP-Geschäft bei der Klinik Mitte zu kriegen. Das riecht doch geradezu danach, dass die von der Sönnewald-Firma sich ihre Ausschreibung selber formulieren konnten.“

„Die von der Sönnewald-Firma“ gehören eben zum Fresenius-Konzern, und diese Gruppe ist heute, vier Jahre nach den Treffen, über die Müller-Sönnewald nichts sagen wollte, wesentlicher Bewerber für das PPP-Investitionsmodell. Ein Schelm, wer sich etwas dabei denkt ...

Ausblick

In Bremen halten sich penetrant Gerüchte, nach denen über den Verkauf der kommunalen Kliniken verhandelt wird. Nur über den Preis sei man nicht einig. Zeitpunkt: Nach der Wahl.