Zu Besuch bei den Gehirnabsaugern

Guy Maddins „Brand upon the Brain!“ (Forum) bietet tollen Hormonstau-Horror mit Isabella Rossellini im Off

Diesmal bedient sich Maddin Stilmitteln früher Krimi-Serials, des Splatter-Theaters Grand Guignol und natürlich des expressionistischen Horrorfilms

Guy Maddin hat mal über sich gesagt, er sei länger in den 20er-Jahren hängen geblieben als die 20er-Jahre selbst. Also ist es gar nicht unangemessen, seinen neuen Film „Brand upon the Brain!“ den besten 20er-Jahre-Film zu nennen, der nicht in den 20ern gedreht wurde. Er ist ganz nebenbei auch Maddins wahnsinnigster und zwanghaftester Film, ein würdiger Nachfolger seines psychedelisch-morbiden Frühwerks „Tales from the Gimli Hospital“. Und: Diesmal ist es persönlich.

Der Einfachheit halber trägt die Hauptfigur aus „Brand upon the Brain!“ auch gleich seinen Namen. Guy Maddin also kehrt in einem Ruderboot, angelockt vom Ruf der Mutter, an den Ort seiner Kindheit zurück: einen alten Leuchtturm, der früher als Waisenheim fungierte. Hier erlebte der kleine Guy seinen ersten Hormonstau – durch die liebevoll-tastenden Hände seiner besitzergreifenden Mutter und die Ankunft der mysteriösen Wendy, der weiblichen Hälfte der berühmten Teenie-Detektive The Lightbulb Kids.

Kaum auf der Insel angekommen, wird Guy von der Vergangenheit eingeholt. Dazu reichen Maddin wie immer ein paar wackelige Bilder, asymmetrische Schnitte und ein Zwischentitel. Niemand bringt geistige Zwischenzustände mit solch physischer Wucht auf die Leinwand. Und „Brand upon the Brain!“ ist eine einzige Tour de Force. Einmal angekommen in Guys Kindheit, gibt es kein Halten mehr.

Wendy hat sofort ein Auge auf Guys Schwester Sis geworfen. (Beide tragen ein Muttermal in der Form Rumäniens auf ihrem Bauch, das verbindet.) Um Sis nahe sein zu können, schlüpft sie in die Rolle ihres Bruders Chance und lässt den verwirrten Guy mit gebrochenem Herzen zurück. Wendys eigentlicher Grund für ihren Besuch auf der Insel ist dieser: Die Lightbulb Kids haben herausgefunden, dass Guys Eltern den ihnen anvertrauten Waisenkindern heimlich Gehirnnektar absaugen. Das Geräusch, das dabei entsteht, ist übrigens von besonderer Widerlichkeit – wie überhaupt alle Geräusche in „Brand upon the Brain!“ in ihrer durchdringenden Plastizität Maddins Bildern beinahe die Schau stehlen. Über alles aber erhebt sich die leicht amüsierte Erzählstimme Isabella Rossellinis, die mit rauchigem Akzent Guys Leiden kommentiert – und manchmal auch kurz zum Singen ansetzt.

Maddin selbst nennt „Brain upon the Brain!“ ganz unverlegen sein Meisterwerk. Das ist so falsch nicht, obwohl er stilistisch seinem Oeuvre weitgehend treu bleibt. Diesmal bedient er sich Stilmitteln früher Krimi-Serials, des Splatter-Theaters Grand Guignol und – natürlich – des expressionistischen Horrorfilms. Aber weder das Vampir-Ballett „Dracula – Pages from a Virgin’s Diary“ noch der bizarre Song-Contest „The Saddest Music in the World“ haben uns gebührend auf „Brand upon the Brain!“ vorbereitet. Er ist Maddins erster wirklicher Stummfilm. Eine Kostprobe dieses Irrsinns kann man heute in der Deutschen Oper Berlin erleben, wo der Film so aufgeführt wird, wie Maddin es sich gewünscht hat: im Stile der japanischen Benshi-Tradition, mit Geräuschkünstlern, Orchester und der großen Isabella Rossellini als Erzählerin.

ANDREAS BUSCHE

„Brand upon the Brain!“. R.: Guy Maddin. Kanada, 2006, 95 Min.; 15. 2., 21.30 Uhr, Deutsche Oper; 16. 2., 10 Uhr, Cinestar; 17. 2., 21.30 Uhr, Delphi; 18. 2., 22 Uhr, Cubix