„Es geht nicht mehr um Schmutz und Staub“

Joachim Król ermittelt ab heute für das ZDF als Kommissar Lutter im Ruhrgebiet. Warum er seine Heimat allen Klischees zum Trotz für eine der spannendsten Regionen Deutschlands hält – und bitte, bitte nicht mit Götz Georges „Schimanski“ verglichen werden will

INTERVIEW CHRISTOPH SCHURIAN

taz: Herr Król, Sie spielen ab heute den Ruhrpottkommissar Lutter. Braucht das Ruhrgebiet einen Reformator?

Joachim Król: Unseren Lutter schreibt man mit Doppel-T. Es ging um etwas Rufbares, was Knackiges. Ich habe dann „Lutter“ in den Raum gerufen – und das kam gut an. Wenn sich ein Name auch noch aufladen lässt, ist das noch besser.

Womit ist Lutter aufgeladen?

Das Ruhrgebiet ist ein Stück Deutschland, das in den letzten Jahrzehnten großen Veränderungen unterzogen wurde. Man redet viel über die Anstrengungen der neuen Länder. Aber was im Ruhrgebiet passiert, mit und durch die Leute die dort leben, wird zu wenig honoriert.

Der Strukturwandel dauert schon fünf Jahrzehnte.

Er ist aber noch nicht abgeschlossen – auch wenn es Standorte gibt wie Dortmund und Essen, wo es besser funktioniert. Aber fragen Sie mich nicht nach Ansiedlungszahlen für den Wirtschaftsraum.

Was ist für Sie Strukturwandel?

Es gibt diese klischeebelegte Außensicht. Wenn man Leuten aus Süddeutschland die Aufgabe stellt, in Unkenntnis das Ruhrgebiet zu beschreiben, dann ist man wirklich fünfzig Jahre zurück. Es geht um Schmutz und Staub. Umso schöner ist die Begegnung an Ort und Stelle. Ich kann zu den Heimspielen von Borussia Dortmund gern Freunde mitbringen. Und die sind dann verblüfft. Allein auf der Route der Industriekultur kann man eine ganze Woche verbringen, ohne alles gesehen zu haben.

Als Schauspieler müssten Sie doch ein Experte sein fürs Verwandeln?

(lacht) Eine Journalistin sagte neulich zu mir, die Zeche Zollverein in Essen komme ihr vor wie eine Schauspielerin, die sich eine andere Rolle gesucht hat.

Der ZDF-Krimi pendelt zwischen Golf- und Ascheplatz. 2010 wird Essen samt Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt. Hat das Revier eine neue Rolle gefunden?

Es scheint Vertrauen da zu sein. Ich habe gehört, Thyssen-Krupp zieht wieder zurück. Und Kulturhauptstadt 2010, so etwas kriegt man nicht als Almosen. Das wird geprüft. Ich lebe in Köln. Diese Stadt war tief erschüttert, dass sie nicht einmal zweite Wahl war.

Das Ruhrgebiet, aus dem gröbsten heraus?

Es gibt kein einheitliches Bild. Wir haben bei den Dreharbeiten innerhalb Essens soziale Kontraste gesehen, die krasser nicht sein können. Ich glaube aber, der eingeschlagene Weg ist richtig.

Sie wollen Klischees vermeiden, doch Kommissar Lutter spielt ausgerechnet in einer Freizeitmannschaft namens Pommes Rot-Weiß …

… nein, Essen, Komma, rot-weiß.

und der Regisseur schwärmt von der Ruhrpottherzlichkeit. Das sind Klischees.

Nein, das ist überprüft! Es gibt diesen landmannschaftlichen Charakter. Aber bei der Darstellung der Leute aus dem Ruhrgebiet haben es sich einige Schauspielkollegen sehr leicht gemacht. Die sind mit dem groben Keil draufgegangen, damit es sich besser einprägt. Wenn ich heute eine Kabarettsendung sehe, wird das Ruhrgebiet durch einen sehr merkwürdigen Menschen vertreten. Natürlich wollen wir nicht verlieren, wie die durch Arbeit und Industrie geprägten Menschen sind. Bei der Vorbereitung von Lutter habe ich gesagt: Lasst uns das Echo mitnehmen. Aber es gab ein Drehbuch, in dem sich ein Kumpel in einem Taubenschlag erhängt. Das fand ich ein wenig dicke.

Kann man im Fernsehen Klischees unterlaufen?

Ich wollte bei der Entwicklung der Geschichten genauer hinschauen. Das geht bis in die Sprache hinein. Ich hab einen Unterhaltungsfilm gemacht für den Westdeutschen Rundfunk, der in Dortmund spielt. Zusammen mit Dietmar Bär sind wir durch das Drehbuch gegangen. Wenn ein „dat“ zu viel war, flog das raus. Sehen Sie sich britische Filme an, die im Arbeitermilieu spielen: In zwei Sätzen wird klar, da kommen Leute aus verschiedenen Welten, die leben in der gleichen Stadt, haben aber nichts miteinander zu tun. Und das kann jeder Engländer heraushören.

Sie haben gesagt, Sie wollen Lutter selbstverständlich spielen. Ist das typisch fürs Ruhrgebiet?

Lutter ist ja zurückgekehrt. Wir erzählen die Vorgeschichte nicht, fangen einfach an. Es gibt einen Dialog, einer sagt: „Der war ma’ weg.“ – „Warum ist er zurückgekommen?“ – „Heimweh.“ Und da steckt viel drin. Ich habe in München studiert. Mein letzter Studientag war zugleich mein Abreisetag. Ich wusste, ich gehöre da nicht hin. Dafür steht Lutter, für die bewusste Entscheidung für diesen Ort.

Aber Sie sind weggegangen, Sie wohnen in Köln. Kennen Sie jemand, der im Ruhrgebiet geblieben ist?

Einige, jedoch kaum jemand aus meiner Generation. Aber gehen Sie nach München, nach Hamburg, da finden Sie in jedem Ensemble Menschen, die Ihnen versichern, ihre schönste Zeit hatten sie in Bochum. Bochum ist immer im Fokus der Theaterleute gewesen, die schwärmen vom besten Publikum und einem Theater, das im Dialog mit dem Publikum steht.

Die Auswandererliste ist länger und beginnt mit Heinz Rühmann.

Zu seiner Zeit gab es ja nichts, abgesehen vom Theater in Bochum.

Haben Sie zu ihm eine besondere Verbindung?

Spätestens als ich „Es geschah am helllichten Tag“ gemacht habe, hat man diese Verbindung hergestellt. Dabei habe ich Rühmann nie wirklich gemocht. Seine Figuren haben mich immer mit einem gewissen Unbehagen erfüllt. Es gab damals die Idee noch mehr Rühmann-Remakes mit mir zu machen. Das habe ich entschieden abgelehnt.

Sie sagen, Ihrem Lutter sei wie dem Revier die Melancholie nicht fremd.

Das Ruhrgebiet wurde ja durch Einwanderung geprägt. Erst die Polen, dann Italiener, die Spanier, später die Türken. Da ist immer ein Moment von Heimweh in der Luft. Ich erinnere mich an die Sechzigerjahre in Herne, an dunkelhaarige Männer in weißen Hemden, die am Hauptbahnhof herumstanden und Zigaretten geraucht haben. Das waren die ersten Türken, die keinen anderen Ort hatten. Aber vom Bahnhof ging ein Eisenband in die Heimat. Oder in Neviges im Bergischen Land, da haben sich die Ruhrgebiets-Polen einen Wallfahrtsort geschaffen. Ich habe Dokumentarfilmen aus der Zeit gesehen, da wurden Leute nach der Heimat gefragt. Die haben geantwortet: Die ist woanders.

Wie melancholisch ist es, bei Westfalia Herne im Stadion zu sitzen?

Das ist meine individuelle, persönliche Geschichte. Natürlich kann ich da melancholische Momente haben. Das ist für mich etwas Besonders. Ich war gerade zum Rückrundenauftakt wieder da. Im Herbst bin ich zusammen mit Sönke Wortmann zum Ehrenmitglied ernannt worden. Ich weiß nie im Vorfeld, wie sich mein Jahr gestaltet. Wenn morgen meine Agentur anschellt und sagt, wir haben die Jahresplanung im Sack, dann sitz ich vorm Kalender und weiß genau: Kein Westfalenstadion, keine Westfalia.

Lutter steht in den großen Fußstapfen des Essener „Tatort“-Kommissars Haferkamp. Der spielte in den Siebzigern, im Partykeller, es wurde getrunken …

… und unheimlich viel geraucht. Heute muss ich um jedes Bier, das ich vor laufender Kamera anrühre, mit den Redakteuren kämpfen. Es gibt jetzt sogar einen Preis für den zigarettenfreien Kriminalfilm. Da wird ein Format geehrt, weil es die Realität verleugnet.

Haben Sie sich die alten „Tatort“-Folgen mit Hansjörg Felmy angesehen?

Nein, aber ich bin damit konfrontiert worden, als wir uns mit dem neuen Format fürs Ruhrgebiet beschäftigten. Ich wollte nach anderen Erfahrungen gern in Heimatnähe drehen. Als wir dann in Essen-Katernberg Aufnahmen machten, hat ein Rentner gerufen, der Felmy habe hier schon gefilmt. Ich erinnere mich auch an die unkonventionelle Beziehung, die der Kommissar zu seiner geschiedenen Frau unterhielt. Meine Eltern haben sich damals unterhalten, ob das in Ordnung ist …

Die Ex trug Hosenanzug …

… auch das noch. Jedenfalls ist der Felmy-„Tatort“ nicht in Vergessenheit geraten. Er muss einer der Besseren gewesen sein.

Nun zum anderen Vorgänger: Schimanski.

Bitte erspart mir diesen Vergleich! Götz George und sein Format stehen für eine andere Zeit des Ruhrgebiets, ein anderes Fernsehen. Das war in der Figurentwicklung oder den Drehbüchern eine andere Schule, das gibt es heute nicht mehr. Damals hatten Fernsehproduzenten einen Dramaturgen. Heute teilen sich drei Formate einen Producer.

Ist Lutter ein Beitrag zur Europäischen Kulturhauptstadt?

Wir sind noch nicht so weit. Wir haben zwei unterschiedliche Folgen abgeliefert, die stellen wir zur Kritik. Wir werden die auch selbst genau ansehen. Die Konkurrenz ist sehr groß. Auch das ist anders als zu Götzens Zeiten. Ich hoffe sehr, dass wir die Gelegenheit zu einem zweiten Wurf bekommen. Das wäre das Schönste, was mir und dem Team passieren könnte, wenn wir mit zwei Filmen pro Jahr planen könnten.

Wollten Sie wohnen wie er – über einer Kneipe mit Blick auf den Fußballplatz?

Ich habe mich an eine Kneipe in Castrop-Rauxel erinnert, wo ein Bewohner von oben im Bademantel am Tresen saß. Ich dachte mir: Was für ein praktisches Leben! Dass im Film auch noch ein Fußballplatz dranhängt, ist der genialen Arbeit der Location-Scouts zu verdanken. Das hat Potenzial. Aber ich bin ja kein Single wie Lutter, ich habe Familie. Nein, ein bisschen glamouröser könnte es mittlerweile privat schon sein.