Debatte: Wenn nötig, mit Gewalt

Haben Altachtundsechziger und Exlinke aus ihren Fehlern gelernt? Leider nicht alle, weshalb manche heute besonders anfällig für neokonservative Positionen sind.

Die jüngste RAF-Debatte erinnert noch einmal an das ungeklärte Verhältnis zur Gewalt bei jenen, die von 1968 bis 1977 dabei waren. Von geläuterten Köpfen jener Zeit wird gerne der Mythos beschworen: Ihre Generation hätte zwar mit ihrer Begeisterung für revolutionäre Ideen und radikale Politdesperados ein wenig über die Stränge geschlagen, aber letztlich hätte sie aus ihren Fehlern gelernt und ihren Frieden mit Rechtsstaat und Liberalismus gemacht. Mehr noch: Indem sie den "Marsch durch die Institutionen" antrat, hätte sie sogar dazu beigetragen, die Bundesrepublik zu "zivilisieren".

Martin Altmeyer hat diese schöne Legende kürzlich (taz vom 24. 2.) noch einmal erzählt. Aber haben Altachtundsechziger und Exlinke wirklich aus ihren Fehlern gelernt? Zumindest bei manchen ihrer prominenten Führungsfiguren sind da Zweifel angebracht. Weniger, weil sie sich von radikalen Gegnern zu entschiedenen Verfechtern des Status quo gewandelt haben, die Kritik durch Affirmation ersetzt haben. Eher, weil manche sich noch immer in einem gewissen radical chic gefallen - nur dass dieser sich nunmehr in einem ausgeprägten Faible für neokonservative Positionen zeigt.

Dass aus der RAF "das Falsche gelernt" worden sei, meinte kürzlich Gerhart Baum, als FDP-Innenminister von 1978 bis 1982 immerhin einer ihrer direkten Gegner zu jener Zeit. Baum bezog dies auf die strengen Antiterrorgesetze, die seit dem 11. September zu einer Erosion unserer Grundrechte geführt hätten. Wer aber war dafür verantwortlich? Sein Amtsnachfolger Otto Schily, als RAF-Anwalt in jenen Jahren einer der schärfsten Hunde, wenn es um die Rechte seine Mandanten ging. Was hat er also "dazugelernt"?

Das Versagen, auf den Islamismus und den "Krieg gegen den Terror" keine angemessene Antwort zu finden, zeigt sich nicht nur auf der Ebene der Politik. Noch auffälliger ist das Schweigen führender Intellektueller aus der 68er-Generation zu diesem Thema. Welcher Schriftsteller wird in Zukunft wohl einmal den Roman über die Verführbarkeit junger Männer durch Terror und islamistische Gewaltideologien schreiben? Oder über "Die verlorene Ehre des Murat K."?

Ganz sicher nicht Hans Magnus Enzensberger: In den späten Sechzigerjahren hatte sich der junge Schriftsteller noch mit spektakulären Erklärungen vor einem angeblich drohenden "Faschismus" nach Kuba abgesetzt. Seitdem hat er sich mit vielen klugen Essays als Lieblingsdenker der Linksintelligenz etabliert. Doch seine politischen Verirrungen sind symptomatisch. Beide Kriege gegen den Irak hat er ausdrücklich begrüßt. Und sein Vergleich Saddam Husseins mit Hitler sowie seine Unfähigkeit, hinter dem islamistischen Terror von heute irgendeinen gesellschaftlichen Hintergrund zu erkennen, zeugen von ähnlicher Kurzsichtigkeit wie seine Politanalysen von einst.

Wolf Biermann ist zwar mit einem völlig anderen Temperament gesegnet als Enzensberger, doch seine Entwicklung verlief ähnlich. Einst sang er ein Loblied auf den "Christus mit der Knarre" und meinte damit Che Guevara, also den Vordenker des "bewaffneten Kampfs gegen den US-Imperialismus", der durch sein Selbstopfer Vorbild für Guerilleros in aller Welt wurde. Heute wettert derselbe Biermann mit Furor gegen jede Empathie mit palästinensischen Opfern israelischer Besatzung und tut sie als reine Gefühlsduselei ab. Was plumpes Pathos und die Verharmlosung von Gewalt angeht, ist er sich also treu geblieben.

(In einer ähnlichen Volte wie Biermann geißelte die Publizistin Katharina Rutschky jedes Mitgefühl mit Libanesen, die vergangenen Sommer bei israelischen Luftangriffen getötet wurden, verächtlich als "fundamentalistischen Humanismus". Schöner hätte es die RAF auch nicht formulieren können.)

Ein ähnliches Phänomen ist bei manchem Exlinken in Frankreich zu beobachten. Ein Spezialist für besonders schiefe Faschismusanalogien ist dort André Glucksmann. 1968 noch militanter Maoist, der für die weltweite proletarische Revolution eintrat, fordert er die Europäer zum "kompromisslosen Kampf" gegen den islamistischen Terror auf. Dabei sei es manchmal auch notwendig, zu militärischen Mitteln zu greifen - "also zu töten", wie er in der aktuellen Ausgabe des Ciceros betont. Da klingt dann wieder das Echo des alten Maoisten nach.

Keine Frage: Der Islamismus ist eine konservative bis reaktionäre Bewegung. Bis auf die große Ausnahme des Iran ist er allerdings fast überall in der Opposition. In Ländern wie Ägypten, Jordanien, Libanon oder Marokko, wo es begrenzte demokratische Freiheiten gibt, haben sich islamistische Parteien als pragmatisch und kompromissbereit erwiesen. Die Warnung vor einer "totalitären Gefahr" ist nicht nur maßlos übertrieben, sie führt auch in die Irre. Denn das größte Problem in der arabischen Welt ist der Mangel an Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, nicht der Islamismus.

Solche Details interessieren jene Exlinke allerdings wenig, die sich heute in einem antifaschistischen Kampf gegen einen neuen "Totalitarismus" wähnen. Dass sie die Regionen, auf die sie sich beziehen, bestenfalls oberflächlich kennen, kompensieren sie mit einem Überschuss an Moral. Ihr fehlgeleiteter Antifaschismus verführt sie dazu - wie schon zu RAF-Zeiten -, blind auf die vermeintlichen Menschheitsfeinde von heute einzuschlagen. Skandierten sie früher "USA, SA, SS", so ergehen sie sich heute in publizistischen Vergleichen à la "Hamas, Hisbollah, SA, SS". Und sahen manche Linke früher in jedem Straßenbahnschaffner einen verkappten Faschisten, so ist für sie heute jeder bärtige Muslim ein Anfang, dem es zu wehren gilt.

Diese Weltsicht schlägt einem heute aus "linken" Publikationen wie konkret und Jungle World entgegen - vor allem aber aus der Welt, wo sie meist von Exlinken vertreten wird. Es ist ihre ungebrochene Hypermoral, die Exlinke so anfällig macht für neokonservative Positionen. Geblieben ist ihre Abneigung gegen politische Kompromisse und der Wille, die Welt nach ihren Vorstellungen umzuformen - wenn nötig, mit Gewalt. Einst trieb sie diese Haltung an die Seite obskurer Befreiungsbewegungen oder Gewaltherrscher wie Mao Tse-tung. Heute setzen sie auf starke Männer wie Bush, Scharon oder Nicolas Sarkozy und deren vermeintlich einfache Lösungen.

Sie sind davon überzeugt, dass gegen Islamisten nur Druck und Gewalt helfen. Dass diese krude "Antifa"-Logik bislang weder in Palästina noch im Libanon von Erfolg gekrönt wurde, ficht sie nicht an. Jeden Dialog denunzieren sie als "Appeasement" - noch so ein fragwürdiger Faschismusvergleich. Und sie beten die staatliche Gewalt des Westens an, auch wenn sie jedes Maß verliert. Da fallen rasch sämtliche Skrupel, wenn nur der "antifaschistische" Zweck die Mittel heiligt.

So mancher politische Seitenwechsel wirkt daher nicht so sehr wie das Resultat besserer Einsicht. Er trägt vielmehr Züge einer quasireligiösen Konversion. Konvertiten sind aber selten klüger. Nur meist genau so dogmatisch wie zuvor.

DANIEL BAX

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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