Aufsicht kommt zu spät zur Schule

Was wusste die Schulverwaltung von den Zuständen an der privaten Novalis-Schule? Bezirk will Senat über Probleme im Lernniveau informiert haben. Elternverein erhebt Vorwürfe von Prüfungsverschleppung und Prügel

Die Schulaufsicht muss zu den fragwürdigen Vorgängen an der freien Novalis-Schule in Köpenick mehr gewusst haben, als sie eingesteht. Diese Vermutung liegt zumindest nahe, wenn man Köpenicks Bildungsstadtrat Dirk Retzlaff (SPD) glaubt. „Meine Mitarbeiter wissen seit langem, dass dort etwas nicht stimmt. Wir waren nicht erst alarmiert, als vor drei Wochen die Lehrer Hausverbot erhalten hatten“, sagt er.

So fiel dem Bezirk die sehr hohe Fluktuation unter den Schülern auf. Landeten ehemalige Novalis-Schüler dann an einer staatlichen Schule im Bezirk, zeigten sich oft riesige Lernrückstände. „Darüber haben wir regelmäßig die Schulaufsicht informiert“, sagt der Bildungsstadtrat. Die Schulaufsicht untersteht der Landesregierung, nicht dem Bezirk. Die Novalis-Schule erhält wie alle freien Schulen staatliche Zuschüsse. So übernimmt das Land Berlin unter anderem die Gehälter der Lehrer.

Die Privatschule hatte nach einer neuntägigen Zwangspause am Montag ihre Pforten wieder geöffnet, nachdem 15 neue Lehrer eingestellt worden waren. Zum Unterrichtsausfall war es gekommen, weil der Elternverein als Schulträger dem Lehrerverein den Vertrag gekündigt und allen Lehrern Hausverbot erteilt hatte. Auch Angela Jaeche vom Elternverein der Schule erzählt eine Geschichte, die die Schulaufsicht hätte alarmieren müssen: In diesem Schuljahr hatte die erst im Jahre 2000 gegründete Schule erstmals eine 13. Klasse eingerichtet. Den Schülern dieser Klasse sei suggeriert worden, sie würden im Sommer das Abitur ablegen. „Im Dezember erhielten wir einen Brief von der Landesregierung, dass die 13. Klasse aufzulösen ist, weil dazu keine Genehmigung erteilt worden sei“, sagt Jaeche.

Die Novalis-Schule hat nach Angaben der Bildungsverwaltung zwar die Genehmigung, nach 12 Schuljahren den mittleren Schulabschluss abzunehmen. Das Abitur darf sie nicht prüfen, weil weder ausreichend qualifizierte Lehrer noch die Fachräume zur Verfügung stehen. Angela Jaeche vom Elternverein: „Doch den Eltern ist von den Lehrern vorgegaukelt worden, man könne hier Abitur machen. Als wir diese Woche auf der Elternversammlung Klartext sprachen, war die Enttäuschung groß.“

Warum hat die Landesregierung nicht bereits im August, sondern erst im Dezember die 13. Klasse bemerkt und ist eingeschritten? Bärbel Schubert, Sprecherin von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD), erklärt: „Zu Gerüchten äußern wir uns prinzipiell nicht. Wir müssen die Vorgänge erst einmal recherchieren.“ Auch die Behauptung, der Bezirksstadtrat habe die Schulaufsicht alarmiert, „ist für mich erst einmal ein Gerücht, dem wir nachgehen“. Sie bestätigt lediglich, dass die Novalis-Schule nie die Berechtigung hatte, das Abitur abzunehmen.

Prügel statt Prüfung

Angela Jaeche weist auf einen weiteren Missstand hin, der der Landesregierung hätte auffallen müssen: Die Schüler wurden beim Senat nicht zur Prüfung für den mittleren Schulabschluss angemeldet, die Fristen sind längst verstrichen. „Wir haben die Behörden jetzt gebeten, die Schüler nachträglich noch zu melden.“ Allerdings haben an anderen Schulen die Prüfungen längst begonnen.

Sensibilisiert hätten die Behörden aber auch sein können, weil Tilmann Wacker, der an der Novalis-Schule Religion unterrichtete und von den Eltern als heimliches Schuloberhaupt bezeichnet wird, in den 90er-Jahren in Berlin bereits eine andere Schule geleitet hatte. Die Waldorfschule Süd-Ost trennte sich von dem in der Schweiz ausgebildeten Waldorf-Lehrer wegen der Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten und eines zu autoritären Leitungsstils.

Zur Sprache kommen jetzt auch verbale und körperliche Übergriffe von zwei ehemaligen Lehrern auf Schüler. In einem Fall soll ein Lehrer einen Schüler getreten und gedemütigt haben. Jaeche: „Hier ermittelt inzwischen die Kriminalpolizei, die bereits an der Schule war.“ Im anderen Fall geht es um den Vorwurf, ein Lehrer hätte Schüler geboxt.

Mike Senftleben, Schulexpertin der FDP, kritisiert, dass freie Schulen nicht verpflichtet würden, Vergleichsarbeiten zu schreiben wie staatliche Schulen. „Dadurch hätten die Eltern eher Lernrückstände ihrer Kinder erkennen können“, sagt sie. Sie wirft aber vor allem den Eltern vor, dass sie sich über Jahre ein autoritäres Regime haben bieten lassen. Marina Mai