„Er bleibt eine Reizfigur“

Morgen findet in Freiburg eine Trauerfeier für den ehemaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger statt. Warum er dem Autor Oliver Bottini nicht fehlt – obwohl er ihn zur Romanfigur gemacht hat

OLIVER BOTTINI, 41, hat für seine zwei Krimis jeweils den dritten Platz beim Deutschen Krimi-Preis belegt. Sie spielen beide in Freiburg, der Heimat von Hans Filbinger. Der Literaturwissenschaftler und ehemalige Rezeptionist lebt in München.

INTERVIEW GEORG LÖWISCH

taz: Herr Bottini, gerade ist Hans Filbinger gestorben, ein Mann, den Sie in Ihren beiden Romanen zur Figur gemacht haben. Wie kam er denn in Ihre Bücher?

Oliver Bottini: Das hängt mit meiner Biografie zusammen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich das alles mitbekommen habe, als er zurückgetreten ist. Das, was er als Richter im Zweiten Weltkrieg getan hat, kam erst Ende der 70er auf. Es war ja nicht so, dass Filbinger eine der Nazigrößen gewesen wäre. Aber er hat Unrecht getan und wollte das nicht aufarbeiten. Eine Figur, die stark polarisiert hat. Auch schon vor der Affäre.

Als der damalige Ministerpräsident 1976 mit dem Spruch „Freiheit oder Sozialismus“ in den Wahlkampf zog, waren Sie doch erst elf Jahre alt.

Ich kann mich aber tatsächlich noch an den Slogan erinnern, obwohl ich damals ein Junge war. Was für mich ausschlaggebend war, ihn in den Roman mit reinzunehmen, war aber der andere Satz im Zusammenhang mit den Todesurteilen als Richter: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Das ist ein schrecklicher Satz.

Sie haben sich nach über 20 Jahren noch aufgeregt?

Ich war immer wieder empört, dass dieser Satz nicht mehr bewirkt hat. Sondern, dass Filbinger auch nach dem Rücktritt bei politischen Feierlichkeiten auftreten durfte und geredet hat, obwohl er sich nie von diesem Satz distanziert hat.

Sie sind in Bayern aufgewachsen, leben in München und haben sich Freiburg für Ihre Krimis ausgesucht. Haben Sie erst bei den Recherchen erfahren, dass Ihr Schauplatz ausgerechnet Filbingers Heimat ist?

Freiburg-Günterstal sollte eine Rolle spielen, und weil er dort lebt, bin ich wieder auf ihn gestoßen. So ist die Idee entstanden, das Thema aufzunehmen.

Welches Thema?

Der Umgang mit einer Person, die Unrecht getan hat, aber auch nicht so großes Unrecht, dass man sie aus dem Land jagen müsste. Für mich hat er in den ersten Roman sehr gut reingepasst: als polarisierende Figur zwischen der linken, revolutionären Mutter der Kommissarin Luise Boni und dem Vater, der zwar Franzose ist, aber das Deutschland verkörpert, das nicht aufwachen wollte aus der Adenauer-Zeit.

Die Familie der Kommissarin ist an Filbinger zerbrochen. Kann ein Politiker, eine Person, die Menschen nur aus den Medien kennen, so ihr Leben beeinflussen?

Keine Ehe wird an so einer Figur scheitern. Aber sie kann eine Projektionsfläche sein. Genauso ist es in der Ehe, die ich beschreibe. An dieser Reizfigur hängen sich die Konflikte zwischen der Frau und dem Mann auf.

Warum ist Filbinger die einzige nichtfiktionale oder zumindest nicht verfremdete Figur Ihrer Romane?

Ich finde es sehr heikel, über lebende Personen zu schreiben, weil man nie wirklich fair sein kann. Bei Filbinger hatte ich nie das Gefühl, ich müsste fair sein. Sondern ich wollte noch mal daran erinnern, dass es diese Geschichte gab. Dass er in Freiburg lebt und die Gesellschaft Schweigen über ihn ausgebreitet hat.

Warum tritt er in dem Roman nie leibhaftig in Erscheinung, sondern nur in den Gedanken der Kommissarin?

So eine prominente Position wollte ich ihm nicht einräumen. Er steht einfach für die Auseinandersetzung, die ich Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger miterlebt habe. Franz Josef Strauß war für mich eine ähnliche Reizfigur. Er konnte sozusagen machen, was er wollte, und ein paar Jahre später ist ihm verziehen worden.

Gibt es überhaupt noch Politiker, an denen sich die Gesellschaft so entzweit?

Reizfiguren von diesem Kaliber gibt es nicht mehr. Aber dass ein Politiker ein Unrecht tut, die Aufarbeitung verweigert und nach ein paar Jahren ist alles vergessen, das gibt es noch. Nehmen Sie Kohl und die Spendenaffäre. Oder Steinmeier und die Kurnaz-Affäre.

Lauter Filbingers?

Nein. Filbinger charakterisiert ein Stück Deutschland stark: das Deutschland, das sich für unschuldig hielt.

Wie passt Filbinger nach Freiburg?

Das ist eine brisante Zuspitzung, dass ausgerechnet in der Solarstadt Freiburg, wo es einen grünen Oberbürgermeister gibt, jemand wie er so aktiv sein konnte.

Hat das nicht schön in Ihr Setting gepasst: das Freiburg mit der herausgeputzten Innenstadt einerseits und dem Günterstal vor den dunklen Schwarzwaldhängen, wo Filbinger wohnt?

Ich habe ihn nicht mit Freiburg selbst identifiziert, sondern mit Günterstal, dem verschlafenen, hübschen Vorort. Ich sehe das mehr als Metapher: der Vorort, in dem man, wenn man ihn sich genauer ansieht, einen Hans Filbinger findet mit einer nicht aufgearbeiteten Vergangenheit. Das ist ja nicht nur mit Filbinger so.

Fehlt Freiburg nach Filbingers Tod etwas?

Überhaupt nicht.