Déjà vu im Endlager Asse

Nach 30 Jahren besucht der frühere Umweltaktivist und jetzige Minister Sigmar Gabriel (SPD) wieder das Atomklo. In das ehemalige Salzbergwerk sickert Wasser. Kritiker gegen Verfüllung

VON REIMAR PAUL

Der Minister saust mit zehn Metern pro Sekunde abwärts. Beim Aufsetzen wippt der Fahrstuhlkorb noch einmal leicht nach oben, dann tritt Sigmar Gabriel schnellen Schrittes aus dem Gefährt. Es ist sein zweiter Besuch im früheren Salzbergwerk Asse II. Als 17-jähriger Umweltschützer war er schon einmal hier.

490 Meter Tiefe, 26 Grad Celsius. Seit 40 Jahren ist Asse II ein Endlager für Atommüll. 125.000 Fässer mit schwach und weitere 1.300 Fässer mit mittelradioaktivem Atommüll wurden hier bis 1978 eingelagert – Abfälle aus Forschungseinrichtungen, Atomkraftwerken und Krankenhäusern. Manchmal kippten Schaufellader die Tonnen von hier aus einfach über die Abhänge in tiefere Kammern. Auch elf Kilogramm des hochgiftigen Stoffs Plutonium sind auf dieser Ebene verbuddelt, bestätigt Heinz-Jörg Haury vom Forschungszentrum GSF, das die Anlage im Auftrag des Bundesforschungsministeriums betreibt.

720 Meter, 30 Grad. Der Konvoi aus fünf Grubenfahrzeugen stoppt hinter einer Biegung. An eine Wand sind Plakate mit geologischen Querschnitten des Bergwerks gepinnt. Ein Ingenieur erläutert mit einem Zeigestock Schaubilder und Karten. „Wo genau liegt denn der mittelaktive Müll?“, will Gabriel wissen. „Und wie lang sind die Halbwertzeiten?“

656 Meter, hier gibt es kein Thermometer. Als die Motoren abgestellt sind, ist ein Plätschern zu hören. Wasser rieselt die Wände herab. Schläuche leiten es in ein Sammelbecken. Von dort wird die Flüssigkeit nach oben ins Freie gepumpt. Zwölfeinhalb Kubikmeter Salzlauge dringen jeden Tag ins Bergwerk ein. Woher die Flüssigkeit kommt, weiß niemand genau. „Das ist in der Tat ein großes Problem“, sagt der Minister. „Keiner kann ausschließen, dass noch mehr Wasser ins Endlager fließt.“

Anwohner und Umweltschützer warnen schon länger davor, dass die Schächte und Stollen absaufen, die Atommüllfässer rosten und die radioaktiven Stoffe an die Umwelt gelangen können. Die Nachbarschächte Asse I und III sind schon früher voll Wasser gelaufen und deshalb aufgegeben worden.

765 Meter, 31 Grad. Gabriel besichtigt eine unterirdische Großbaustelle mit Förderbändern, Mischmaschinen und einem gewaltigen Gebläse. Mit dem Gebläse wurde jahrelang Salzstaub in die Kammern mit den Atommüllfässern gepustet – als erste Barriere gegen die Jahrtausende strahlenden Abfälle.

„Das Bergwerk wird nach dem Sandwich-Prinzip dicht gemacht“, erläutert Haury. Mit wechselnden Schichten aus Salzgrus und Schotter, einem Spezialbeton und Bitumen wollen die 120 Beschäftigten das Bergwerk in den kommenden Jahren füllen. Nach den Kammern mit den Fässern kommen die Stollen und Schächte an die Reihe. Vorher müssen noch die Maschinen zerlegt und an die Oberfläche geschafft werden. Am Schluss will GSF das ganze Bergwerk mit einer gesättigten Magnesium-Chlorid-Lösung fluten. Bis spätestens 2017 will GSF fertig sein.

Bürgerinitiativen und kritische Wissenschaftler wie der Göttinger Chemie-Professor Rolf Bertram halten diese Flutung für „Wahnsinn“. Sie fordern eine Lösung, bei der die Fässer wieder ausgegraben werden können. Gabriel will sich nicht festlegen. „Alle Optionen müssen auf den Tisch“, sagt er.

Nicht nur über die technische Methode, auch über das juristische Verfahren gibt es Streit. Die GSF hat beim Land Niedersachsen eine Schließung nach dem Bergrecht beantragt. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit wäre dann weitgehend ausgeschlossen. Umweltschützer verlangen dagegen ein atomrechtliches Verfahren. Sie könnten dann Einwände vorbringen und bei öffentlichen Erörterungsterminen mitdiskutieren. Die Tischlerin Irmela Wrede aus der Nachbargemeinde Mönchevahlberg will ein atomrechtliches Verfahren durch eine Klage beim Oberverwaltungsgericht erzwingen.

„Es spricht einiges für das Atomrecht“, meint Gabriel. Aber er weiß auch, dass die Zeit drängt. Einen langwierigen Streit unter Kabinettskollegen und mit dem Land Niedersachsen könne man sich in Anbetracht der gewaltigen Probleme nicht leisten. „Als 17-Jähriger hab‘ ich nicht gedacht, dass ich mal für die damals nicht vorhandenen Probleme mitverantwortlich sein würde“, sagt Gabriel am Ende seines Besuches unter Tage.