„Unsere Sänger sind stolz“

Als Beitrag zur Biennale im arabischen Emirat Sharjah lässt die Künstlergruppe e-Xplo Liebeslieder in der Wüste erklingen. Ein Gespräch mit Heimo Lattner über die politischen Hintergründe des Projekts

Die Künstlergruppe e-Xplo (Heimo Lattner, Erin McGonigle, Rene Gabri) zeigt zusammen mit der palästinensischen Künstlerin Ayreen Anastas auf der aktuellen Kunstbiennale im arabischen Emirat Sharjah ihr Projekt „I love to you“. Das „to“ im Titel soll als Platzhalter verstanden werden. Es solle auf einen „Ort der Distanz“ hinweisen und beziehe sich „auf eine Beziehung zwischen Menschen, die nicht von vornherein auf Vereinnahmung beruht“, wie die Gruppe betont. 85 Prozent der verrichteten Arbeit in den Arabischen Emiraten wird von ausländischen Arbeitskräften ausgeführt. Diesen Menschen wollte e-Xplo mit ihrem Biennale-Beitrag eine Stimme verleihen. Die Installation in Sharjah besteht aus fünf im öffentlichen Raum aufgestellten Lautsprechern, aus denen Lieder von Wanderarbeitern schallen. Bereits in früheren Arbeiten hat e-Xplo mit Liedern und Gesängen gearbeitet. Heimo Lattner (Foto) ist Schweizer und lebt in Berlin. Die Biennale in Sharjah läuft noch bis Juli. KÜP

INTERVIEW KIRSTEN KÜPPERS

taz: Herr Lattner, an fünf öffentlichen Orten im Emirat Sharjah dröhnen jetzt Lieder aus Lautsprechern. Das ist Ihr Beitrag zur aktuellen Kunstbiennale in Sharjah. Was soll das?

Heimo Lattner: Aus den Lautsprechern kommen mehr als 30 Lieder in 13 Sprachen. Im Vorfeld der Biennale hat uns beschäftigt, dass es eine große Mehrheit von Menschen in den Emiraten gibt, die keine Stimme im Sinne einer politischen Stimme haben. Mehr als 85 Prozent der verrichteten Arbeit wird dort von Fremdarbeitern ausgeführt. Das sind Leute aus Pakistan, Indien, Bangladesch, China, dem Iran, Sri Lanka, Nepal, Philippinen, Syrien, Ägypten, Äthiopien usw. Diese Leute haben keinerlei Rechte. Uns hat interessiert, wie die politische Stimme dieser Menschen klingen könnte. Der Umstand, dass es in Sharjah verboten ist, über deren Arbeitsverhältnisse zu berichten, hat uns natürlich erst recht provoziert.

Und wie sind dann die Lieder entstanden?

Wir sind durch die Gegenden gezogen, wo die Arbeiter untergebracht sind, und haben einfach Leute auf der Straße gefragt, ob sie uns ein Lied singen können und das dann aufgenommen. Erstaunlicherweise funktionierte das ganz gut, obwohl man die Sprache des anderen gar nicht verstanden hat. Sobald man einen gefunden hatte, der singt, war man sofort umstellt von unzähligen Leuten, die auch singen wollten. Die meiste Zeit haben wir dann damit verbracht, mit diesen Leuten in ihren Behausungen zu sitzen, Tee zu trinken und zuzuhören, wie sie singen. Die meisten haben Liebeslieder gesungen.

Was machen diese Menschen in Sharjah?

Alle sind sie aus ihren Heimatländern gekommen, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die meisten Männer arbeiten als Bauarbeiter. Die Frauen sind in der Mehrheit Hausangestellte, Kindermädchen oder arbeiten als Dienstleisterinnen in Wellness-Centern. Viele von ihnen stecken in Sharjah fest. Sie wurden von Schleppern mit einem Touristenvisum dort abgesetzt und haben keine Arbeitserlaubnis. Als Schwarzarbeiter halten sie jetzt das Glitzerleben der Privilegierten am Laufen, aber wenn sie das Land verlassen wollen, müssen sie als Illegale eine hohe Strafe bezahlen. Eine völlig absurde Situation.

Es ist in Sharjah verboten, diese Probleme zu beschreiben. Gab es Schwierigkeiten mit dem Scheich?

Lieder sind zunächst einmal etwas Schönes oder Harmloses. Da gab’s kein größeres Nachhaken. Die wirkliche Dimension dieses Projekts liegt tiefer. Das haben die Offiziellen nicht bemerkt. Die Lautsprecher stehen an Orten, wo die Arbeiter leben. Wir haben die Stationen auf einer Karte aufgeführt, die man sich im Museum holen kann. Wer der Karte folgt, macht einen Rundgang durch Gegenden von Sharjah, die dem Biennale-Besucher sonst verborgen geblieben wären. Er hat die Möglichkeit, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Das ist die politische Dimension des Projekts.

Worüber könnten ein Biennale-Besucher und ein Arbeitsmigrant aus Sharjah sprechen?

Zum Beispiel über die miesen Arbeitsbedingungen im Emirat. Bei 51 Grad im Schatten auf einer Baustelle zu arbeiten in der Wüste – ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen. Gewerkschaften sind verboten. Die Möglichkeiten für Ausbeutung sind groß. Eine Arbeitsschicht dauert 12 Stunden, sechseinhalb Tage die Woche. Arbeitsschutzmaßnahmen werden nicht beachtet. Offiziell gibt es über 800 Tote jährlich auf Baustellen in den Emiraten. Die Unterkünfte der Arbeiter haben keine Klimaanlagen und nur schlechte Kanalisation, zwölf Männer schlafen in einem Zimmer. Oft werden sie auch noch um ihren Lohn betrogen.

Hat dieser angestrebte Austausch denn tatsächlich stattgefunden?

In gewisser Weise schon. Für viele Leute aus dem Biennale-Publikum war es ein Schock, von der Situation zu erfahren. Und unsere Sänger waren stolz, sich selbst über Lautsprecher singen zu hören.

Ist die Biennale also eine gute Sache?

Sie hat mit den Leuten vor Ort im Grunde nichts zu tun. Wir konnten unsere Sänger nicht einmal zur Eröffnung einladen, weil sie nicht wussten, wovon wir sprechen, abgesehen davon, dass sie arbeiten mussten und dass sie keinen Zutritt gehabt hätten zum Museum. Das Emirat Sharjah sieht seine Zukunft im Kulturtourismus. Auf der Biennale hat man dann eben auch das Gefühl, man ist auf einer großen Werbeveranstaltung. Das Publikum auf der Eröffnungsveranstaltung waren zu 95 Prozent eingeflogene Gäste aus der westlichen Kunstwelt.

Fahren Sie noch einmal hin?

In 20 Jahren vielleicht. Um mir anzusehen, ob das Modell Megatourismus in der Wüste funktioniert. Jetzt schon gibt es ein Riesenrad mit klimatisierten Kabinen und ein nachgebautes Venedig, das wiederum aussieht wie Venedig in Las Vegas und nicht wie Venedig in Italien. Wir waren auch in der größten Shoppingmall und in der größten Indoor-Skihalle der Welt. Sharjah ist ein interessantes Forschungsziel, aber als Urlaubsort ist es für mich eher ein Horror.