Die 1c-Discounter

Die größten Textilfilialisten in Deutschland (Zahl der Filialen):

KiK: ca. 2.300 Ernsting’s Family: 1.160 Takko: 950 NKD: 895 Bonita: 520 C&A: 353 Vögele: 338 H&M: 303

VON MARCO LAUER

Wenig deutet darauf hin, dass sich in diesen Räumen ein außergewöhnlicher Erfolg verbirgt. Tristbrauner Fußboden, bevölkert mit Kleiderkarussellen, an denen Pullover hängen und Jacken, lieblos zusammengepfercht. Nur eine Umkleidekabine steht zur Verfügung. Kein Zweifel: Das hier ist Discount. Und wenn die Einkaufsatmosphäre gegen null strebt, dann fühlt sich der Discounter wohl. Denn erst dann entfaltet das, was über den Regalen hängt, seine ganze Magie: das Preisschild. So wie auch hier, in einer Filiale des Textildiscounters KiK. Auf 400 Quadratmetern bietet das Unternehmen Damen-Micro-Shorts für 1,99 Euro an oder Kinder-Jeans („5-Pocket-Style“) für 4,99 Euro.

KiK – unter dieser Abkürzung sendet das Unternehmen seine Botschaft aus: „Kunde ist König“. Der Preis: die Krone des Kunden. Das Versprechen seiner Untertanen: „Von Kopf bis Fuß eingekleidet für 30 Euro.“

Es beginnt 1994. Damals setzt sich der gerade Kaufmann gewordene Stefan Heinig mit den Verantwortlichen des Handelsriesen Tengelmann zusammen. Im Lebensmittelbereich reiten zu dieser Zeit mit Aldi und Lidl schon zwei Discounter auf der Erfolgswelle. „Warum nicht dieses Billigkonzept auch auf den Textilbereich übertragen?“, fragt Heinig. Gefragt, gegründet: die KiK-Textilien und Non-Food GmbH wird ins Handelsregister eingetragen. Kurz darauf begrüßt man in Dortmund die ersten Kunden bei Sekt Orange aus Plastikbechern und Luftballons mit dem roten KiK-Maskottchen. Der Chef fehlte, plante da schon wieder weiter für die große Linie.

Seit Beginn ist der heute 44-jährige Stefan Heinig die grau melierte Eminenz bei KiK. Kaum einer sieht ihn, öffentliche Bilder existieren keine von ihm. Trotzdem schwebt er über den fast 14.000 Mitarbeitern. Weniger als guter Geist, vielmehr in der Rolle des stetigen Mahners: Billiger müssen wir sein. Billiger als alle anderen. Um jeden Preis, zu jedem.

Und dafür herrscht im Innern des Textilreichs ein drakonisches Spardiktat. Für die Kampfpreise von KiK muss die Wertschöpfungskette straff gespannt sein. Vom Import billiger 1c-Ware aus Südostasien („Wir lassen von Gutachtern die Produktionsbedingungen vor Ort prüfen“) über eine ausgeklügelte Logistik in Deutschland bis zu zumeist weiblichen Arbeitskräften in den Filialen, deren Gehalt sie zu prädestinierten KiK-Kunden macht – knapp über Hartz-IV-Niveau. KiK lockt mit 4,50 Euro die Stunde zu Beginn etwa einer Aushilfstätigkeit. Und zahlt, nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit – besser: Betriebshörigkeit – mancher dieser Aushilfen dann 4,65 Euro je Stunde.

So geschehen bei Monika Bauer*. Vor fünf Jahren stieg sie ein bei KiK. Zunächst als Vollzeitkraft, danach als eine von tausenden Aushilfen in den Filialen. Vor kurzem wurde ihr gekündigt. Wegen eines neuen Azubis, den es anzulernen gelte. Und beide, Azubi wie Aushilfe – das käme KiK zu teuer. Monika Bauer vermutet, dass dahinter eher der Unmut der Verantwortlichen steckt. Weil sie sich nach ebenjenen 15 Cent Gehaltserhöhung auf 4,65 die Stunde ein- oder zweimal zu oft erkundigt habe.

Obwohl schon diese Nachfragen sie ins Schwitzen gebracht hatten, weil doch bei KiK die Frage nach Gehaltserhöhungen nur eine Tabustufe unter der Forderung nach einem Betriebsrat stehe. Und die ist bei KiK, wenn überhaupt, ganz schwer verhandelbar. Ins Schwitzen kam Monika Bauer aber auch sonst reichlich bei KiK. Erstens, weil die Personaldecke einer Filiale dünn gewebt ist und im Normalfall nur aus einem Filialleiter, einer festangestellten Kraft sowie einer Aushilfe und manchmal einem Azubi besteht. „Durcharbeiten ohne Mittagspause ist bei KiK praktisch die Regel“, sagt sie.

Überhaupt: Kleinste Annehmlichkeiten sind in der KiK-Welt verpönter Luxus. Klimaanlagen beispielsweise spart sich das Unternehmen in den Filialen. Die Kundschaft hält sich schließlich nicht länger als irgend nötig in den spartanischen Läden auf, und dem Personal steht es frei, im Sommer auch mal T-Shirts zu tragen. In manchen Dingen kippt der Heinig’sche Sparwahn aber ins Groteske. So sind Mülleimer aus den Filialen verbannt. Wer unbedingt etwas essen muss während eines Neunstundentags, der soll dann seinen Müll wenigstens wieder mit nach Hause nehmen. Doch immerhin: In jeder Filiale gibt es eine Kaffeemaschine und eine Mikrowelle. Doch bleiben die aufgrund des Arbeitspensums oft nur Requisite.

Stefan Maier*, bis vor kurzem Trainee bei KiK, womit er nach seiner dreijährigen Ausbildung Anwärter auf einen Bezirksleiterposten gewesen wäre, berichtet ähnlich wie seine Kollegin von wenig erfreulichen Zuständen beim Textildiscounter. Vielleicht weil das Unternehmen seinen niedrigen Löhnen selbst nicht wirklich traut, hat Maier regelmäßige Taschenkontrollen nach Dienstschluss erlebt. Dafür, berichtet er, gehen Vorgesetzte gerne auch mal mit zum Privatauto und führten Kontrollen durch, die an die Arbeit sehr gewissenhafter Zollbeamter erinnern würden. Zwar nennen das Juristen ein rechtlich bedenkliches Gebaren, aber bei KiK macht man sich darum weniger Gedanken als um den potenziellen Verlust einiger Billigklamotten. Marlene Volkers, Einzelhandelsexpertin bei Ver.di in Berlin, fasst es so zusammen: Das Misstrauen gegen die Belegschaft gehe bei KiK so ins Grundsätzliche, dass man Mitarbeiter – zumindest auf der Filialebene – schon eher Befehlsempfänger nennen könne.

Der Erfolg allerdings scheint KiK in der Wahl seiner Mittel recht zu geben. Die Tochter des Tengelmann-Konzerns wächst so schnell wie kein anderes Filialist in der Bundesrepublik. Die 2.300 Ableger in Deutschland, Österreich und neuerdings auch Slowenien erwirtschafteten im vergangenen Jahr bereits rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz.

Doch der „Vormarsch der Discounter“, wie es in den dürren Pressemitteilungen von KiK martialisch heißt, soll erst bei 4.000 Filialen beendet sein. Beim heutigen Wachstumstempo also in etwa sechs Jahren. Damit spricht KiK auch eine kaum verhohlene Warnung an die Konkurrenz aus.

Und in diesem Kampf ziehen vor allem die kleinen, traditionellen Bekleidungsgeschäfte immer öfter den Kürzeren. Sie spüren den ungebetenen Eintritt des Textilgiganten am deutlichsten und viele von ihnen verfangen sich im engmaschigen Filialnetz von KiK. So klagt der ehemalige Besitzer eines alteingesessenen Bekleidungsgeschäfts im baden-württembergischen Reutlingen, „dass die Umsätze seit der Ansiedlung von KiK fast über Nacht auf null gesunken sind“. Die Folge: Seit zwei Monaten prangt ein „Zu vermieten“-Schild an der Fensterfront. Thilo Lohmüller, Handelsexperte bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), weiß seit langem um die Umwälzungen im Textilhandel. Und kommentiert lakonisch: „Der traditionelle Fachhandel stirbt.“ Weil er einer Preispolitik im Centbereich nicht gewachsen ist.

Das Geschäft auf dem deutschen Textilmarkt stagniert seit Jahren und ist immer härter umkämpft. Kampfpreise sind überall an der Tagesordnung: 1992 haben die Deutschen laut Marktforschungen noch rund 64 Milliarden Euro für Bekleidung ausgegeben. Im Jahr 2005 waren es nur noch knapp 55 Milliarden.

Und die Discounter sind auf dem Vormarsch. Fast jede fünfte Frau kauft inzwischen hauptsächlich bei Textil-Discountern wie KiK und Takko Oberbekleidung, ergab kürzlich eine Studie im Auftrag für die Zeitschrift Brigitte.

„Je schlechter es den Leuten geht, desto besser geht es uns.“ Das sagte vor Jahrzehnten eine Mutter ihren beiden Söhnen – es waren die Aldi-Brüder. Wenn dieser Satz so etwas ist wie die Essenz der Discountidee, dann stehen die Zeichen auch in der Kleidungsbranche weiter auf „billig“. Die wachsende Zahl der Hartz-IV-Empfänger, alleinerziehenden Mütter mit Teilzeitjobs oder der befristeten Arbeitsverhältnisse macht das Sparen zum Lebensprinzip und die Discounter zu Gewinnern. Dazu kommt eine immer breiter werdende Käuferschicht, die streng genommen nicht bei Discountern einkaufen müsste, es jedoch in Zeiten der „Geiz ist geil“- Mentalität tut.

Genau dort sieht Marlene Volkers von Ver.di auch ein großes Problem. „Ich unterstelle der Unternehmensführung von Kik nicht, dass sie vorsätzlich ihre Mitarbeiter derart kurzhalten. Zumindest zu einem Teil ist das ja auch Mittel zum Zweck.“ Der Erfolg der Discounter komme ja nicht aus heiterem Himmel, sondern durch die Verbraucher, die zu ihnen pilgern. Zwar könnten sich viele schlicht nichts anderes leisten. Bei vielen anderen aber zähle einfach: „Sparen um des Sparens willen.“ Und den Preis dafür zahlt bei KiK das Personal. „Trotzdem“, sagt sie dann noch, „ist das bei KiK schon ein extremer Fall.“

Möchte man zur Strategie etwas von der KiK-Leitung selbst erfahren, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Was deren Pressesprecherin Nadine Aniko Kalle sagt, ist, dass sie nichts sagt; das aber sagt sie sehr freundlich. Mit Informationen für die Öffentlichkeit ist das Unternehmen ähnlich sparsam wie bei den Gehältern.

Nur die Verkäuferin einer süddeutschen Filiale ist etwas gesprächiger („Aber ohne Namen, auch nicht von der Filiale!“) und verrät: „Wir dürfen nichts sagen. Keinen Pieps.“

* Namen geändert