Der Professor für das Politische

Peter Grottian ist als politischer Aktivist bekannt, der sich für die Aufklärung des Bankenskandals engagiert. Viele Jahre war er aber auch Professor für Politikwissenschaft. Heute wird er emeritiert

Peter Grottian geht in den Ruhestand. Zum Abschied veranstaltet das Otto-Suhr-Institut (Ihnestraße 21) heute ein Symposium. Titel: „Umverteilung von Arbeit, Geschlechterdemokratie, globale Gerechtigkeit“. Beginn ist um 12.15 Uhr. Es gibt mehrere Vorträge; um 16.30 Uhr spricht Grottian selbst über „Die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. Die sozialen Bewegungen als Akteure für Alternativen“. Den Abschluss macht eine Podiumsdiskussion (18 Uhr). TAZ

VON FELIX LEE
UND RICHARD ROTHER

März 2007, vor dem Landgericht in Moabit. Peter Grottian, Professor an der Freien Universität (FU) und Mitbegründer der Bürgerinitiative Berliner Bankenskandal, steht neben einer überlebensgroßen Puppe, die korrupte Banker darstellen soll. An diesem Tag wird das Urteil im bislang größten Prozess um den milliardenschweren Skandal gesprochen. Grottian schüttelt die Hände der Aktivisten, die mit ihm den Weg zum Gericht gefunden haben. Ein „Hallo“ hier, ein Schulterklopfen dort, und zwischendurch ein kurzes Interview mit einem Radioreporter – das ist Peter Grottian, wie er leibt und lebt. Später wird er noch einmal anklagend die Stimme erheben und erzählen, wie Banker und Politik ein Gemeinwesen wie Berlin ausplündern und mit symbolischen Strafen davonkommen konnten.

Heute nimmt der 65-jährige Hochschullehrer Grottian Abschied. Auch wenn er am Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politische Wissenschaften der FU feierlich in den Ruhestand versetzt wird – wirklich aufhören, das wird der Protestprofessor wohl nie. Grottian, der die wissenschaftliche und vor allem politische Szene Berlins geprägt hat, wird sich auch künftig einmischen. Als Lehrkraft am OSI, als Organisator politischer Proteste in der Stadt. „Es lässt mich doch nicht kalt, wie sich das OSI entwickelt“, sagt er. Erschreckend sei, wie schnell sich die Verschulung von Studienordnungen schon jetzt im Bewusstsein der Studenten festgesetzt habe.

Grottian, der sich selbst als „Bewegungsunternehmer und Hochschullehrer“ sieht, hat immer wieder mit spektakulären Ideen und Aktionen für Furore gesorgt: So hat er gut bezahlte Professoren aufgefordert, Arbeit und Einkommen zu teilen, um neue Stellen zu schaffen; er hat eine Demonstration zu den Häusern der Profiteuren des Bankenskandals mitorganisiert; er war er eine treibende Kraft bei den Protesten gegen Hartz IV.

Im Rheingau in einem konservativen Elternhaus aufgewachsen, machte Grottian sein Examen 1969 in Berlin. Die 68er-Bewegung hat er mit Sympathie verfolgt, ein Aktivist war er aber nicht. „Ich stand eher in der 16. Reihe“, so Grottian. Wirklich politisiert hat ihn eine andere Erfahrung. Anfang der 70er-Jahre ging er als Lehrbeauftragter an die Universität München. Schon bald passten den dortigen Verantwortlichen seine Lehrveranstaltungen nicht. Sein Vertrag sollte nicht verlängert werden. Grottian beschloss, sich in der Bewegung gegen die Berufsverbote zu engagieren. Fortan sollte er sich immer wieder in politische Debatten einmischen. 1974 kehrte er als Assistenzprofessor nach Berlin zurück. Fünf Jahre später wurde er Professor für Staats- und Verwaltungspolitik.

Seit 1985 arbeitet er nur noch als Teilzeithochschullehrer. In jenem Jahr – die Debatte über Arbeitszeitverkürzungen lief gerade auf Hochtouren – verzichteten die Professoren Peter Grottian und Wolf-Dieter Narr auf jeweils ein Drittel ihrer Vergütung, um damit Mittel zur Schaffung einer Professur für Feminismus bereitzustellen. Die Resonanz sei nicht besonders stark gewesen, sagt Grottian heute. Nur rund 120 Hochschullehrer seien diesem Modell gefolgt. „Wenn Menschen in Führungspositionen kommen, geht die Bereitschaft, Arbeit und Einkommen zu teilen, gegen null.“ Rund 800.000 Euro kostete der Einkommensverzicht Grottian. Einige weitere 10.000 Euro habe er zur Unterstützung politischer Aktionen im Laufe seines Lebens bereitgestellt, etwa zur Absicherung von Schwarzfahrern, die gegen Fahrpreiserhöhungen protestierten. Andere Professoren kaufen sich ein Ferienhaus an der Ostsee – Grottian ist das praktische Einmischen in politische Auseinandersetzungen wichtiger. Das verdient Respekt.

Der Politikwissenschaftler und jahrzehntelange „Freund und Kollege“ Grottians, Wolf-Dieter Narr, nennt diese Lebenshaltung „das Peter-Grottian’sche Recht jedes Menschen auf lebensnotwendige Arbeit und die Pflicht der Gesellschaft und eines jeden Menschen, der irgendetwas hat, dafür zu sorgen, dass alle existenziell notwendige und zugleich ihre Person achtende Arbeit haben“. Deshalb habe Grottian viele Jahre der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gewidmet. Er habe sich aufgelehnt gegen die „mehrfach enteignenden Formen der Arbeit à la Hartz IV, die nichts als Betrugsmanöver der Herrschenden darstellen“.

Dass sich der Aktivist Grottian in den letzten Jahren vor allem gegen Hartz IV engagierte, war nur folgerichtig. Zwar habe es niemals zuvor einen vergleichbar starken sozialen Protest in der Bundesrepublik gegeben; dennoch seien die Ziele nicht erreicht worden, zieht Grottian heute Bilanz. „Den Betroffenen fehlt ein gewisses Maß an Radikalität.“ Grottian hatte vor, Arbeitsämter zu besetzen oder Hungerstreiks anzuzetteln. „Ich wollte damit ein existenzielles Protestmittel in die sozialen Auseinandersetzungen einbringen.“ Doch Grottian stieß auf den geballten Widerstand in der Protestszene, die Hungerstreikidee versandete.

Ehrhard Körting, SPD-Innensenator: „Herr Grottian im Ruhestand? Undenkbar. Das wird bestimmt ein Unruhestand.“ Claudia von Braunmühl, Honorarprofessorin am OSI: „Ein immer verlässlicher Kollege. Mindestens an drei Fronten brennend, jede im Prinzip sehr wichtig, in Timing und Vorgehen nicht immer gleichermaßen überzeugend. Immer, na sagen wir, sub-optimales Äußeres und, to whom it may concern, bitte kein Auslaufmodell!“ Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister a. D.: „Jeder Personalwechsel und jede Pensionierung ist eine neue Chance.“ Politologe Elmar Altvater: „Ein immer freundlicher Kollege. Für Studenten eine wichtige Bezugsperson. Ein bis zur Selbstaufgabe hilfreicher Mensch, wissenschaftlich und politisch provozierend, und daher manchmal auch etwas einsam. Wir werden uns jetzt hoffentlich auf vielen Meetings der Linken treffen.“ Volker Ratzmann, Fraktionschef der Grünen: „Kein Wissenschaftler hat sich so in die Stadtpolitik eingemischt wie er.“ Thilo Sarrazin, SPD-Finanzsenator: „Nicht dass wir oft einer Meinung wären – aber fehlen würde er mir doch, schon als fester Bestandteil des Berliner Aufregungsbetriebs. Ich glaube das mit dem Ruhestand aber auch nicht. Er wird sicher weiter unermüdlich die Welt verbessern. Aber dafür muss er jetzt sein eigenes Faxgerät benutzen.“ PLU

Auch beim Berliner Bankenskandal konnten Grottian und andere Aktivisten ihre Vorstellungen, die mehrheitlich landeseigene Bankgesellschaft lieber in den Konkurs zu jagen als jahrzehntelang zu subventionieren, nicht durchsetzen. Für Verunsicherung sorgten sie dennoch: mit Demonstrationen in den Grunewald, vorbei an den Häusern verantwortlicher Manager. Mit der Veröffentlichung der Namen von tausenden Anteilseignern an den Rund-um-Sorglos-Fonds der Bank, die eine der Hauptursache für den milliardenschweren Skandal waren. Profiteure zu benennen, während Schwimmhallen geschlossen werden, weil kein Geld für die Sanierung da ist – das ging vielen in der politischen Szene gegen den Strich. Auch von der mitregierenden Linkspartei, die Grottians Wut angesichts der Verschwendung öffentlichen Eigentums eigentlich teilte, bekam er Kritik zu hören. Ihr Argument: Die Umsetzung seiner Vorstellungen wäre teurer für das Allgemeinwesen gewesen als der Verkauf der Bank.

In seinen Seminaren legte Grottian ebenfalls Wert auf politisches Engagement. Wer unkreativ war und sich einfach nur anpasste, bekam auch mal keinen Leistungsnachweis. Während sich in den 90er-Jahren noch zahlreiche seiner – oft bewegungsorientierten – Studenten und Studentinnen mit ihrem Professor identifizierten, können mittlerweile viele mit seinem kämpferischen Auftreten nicht mehr viel anfangen. Manche beschweren sich sogar, dass die Seminare zu wenig strukturiert seien. Grottian würde dazu wohl sagen: Der Bachelor hat seine Schuldigkeit getan.

Er wird das nicht hinnehmen – wie vieles andere auch nicht. Für Narr verkörpert Grottian den „akademisch wissenden, wissenschaftlich analysekräftigen, treffliche Lehre und Beratung einer riesigen Menge von Studierenden betreibenden Prof, dessen Typus nicht nur die deutsche Universität ungleich mehr bedurft hätte und mehr denn je bedürfte“. Man kann es auch so sagen: Grottians Abgang ist ein Verlust. Nicht nur für die FU.