Deutsch in drei Stufen

taz-Sommerserie „Unbekannte Orte“ (Teil 2): Die Siegessäule. Millionen Touristen waren schon oben. Millionen Berliner noch nie. Eine der bisher standhaften Ignorantinnen gibt nach. Für die taz überwindet sie ihre Preußenphobie und steigt in die Höhe

Das sagt berlin.de: „Die Siegessäule auf dem Großen Stern ist neben dem Brandenburger Tor und dem Fernsehturm das bekannteste Wahrzeichen Berlins.“

Das sagt der „Lonely Planet“: „Die Siegessäule ist heute auch ein Symbol der Berliner Schwulenszene. … Der umliegende Park ist ein beliebter Treffpunkt für schwule Pärchen.“

Öffnungszeiten (April bis Oktober): Montag bis Freitag von 9.30 bis 18.30 Uhr, am Wochenende abends bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet 2,20 Euro, ermäßigt 1,50 Euro. Im Winter verkürzte Öffnungszeiten.

Kommenden Freitag: Gereon Asmuth entdeckt zum ersten Mal die Geheimnisse des Pergamonmuseums.

VON JUDITH LUIG*

Mit dem Auto drum herumgefahren bin ich schon zig tausendmal. Sitzt man selbst am Steuer, muss man höllisch aufpassen; chauffiert ein anderer, fühlt man sich wie in Paris. Besonders nachts. Von weitem mag ich die Säule und ihren preußischen Engel, der mit dem zweischichtigen Rock aussieht wie ein unmoderner General und nicht wie eine zeitlose Göttin. Näher als auf ihre Umlaufbahn mochte ich der Sache nicht kommen – der nationale Gefühlsüberschwang schreckt ab.

Jetzt bin ich aber doch da. Vielleicht wegen meines Hangs zum Voyeurismus. So wie man bei Unfällen hinschaut. Und es scheint, als hätten die Planer des Großen Sterns das Misstrauen Nachgeborener vorausgeahnt und die Säule mit fünf sechsspurigen Straßen vor zu genauen Blicken geschützt. Vielleicht wollten sie aber auch die Touristen erst erniedrigen, bevor sie sie zu dem militärischen Triumphmoment aufsteigen ließen.

Auf jeden Fall ist die Säule schwer zu erstürmen: Der gewaltige Kreisverkehr macht es unmöglich, ebenerdig auf den Granitsockel zuzuschreiten. Ob man will oder nicht, man muss durch einen unterirdisch versifften Tunnel. Dementsprechend unbeliebt scheint die Begehung der Siegessäule. Momentan bin ich noch ganz alleine auf dem Podest – von einigen Skatern abgesehen.

Der erste Schritt auf dem Weg zum Deutschtum sind schwere Bronzereliefs mit einem Großaufgebot an Preußensoldaten. Hier streicht ein Scheidender dem Sohnemann übers Haupt, da marschieren sie auf, dort erwürgt einer einen Dänen. Frauenfiguren gibt es pro Funktion eine: eine Mutter, eine Nonne, eine Ehefrau und eine junge mit Kranz, die noch zu haben ist.

Die Siegessäule ist ein hübsches Sinnbild des deutschen Größenwahns. Geplant 1864 als Ehrenmal des Sieges über Dänemark, musste das noch nicht begonnene Projekt bald erweitert werden: Jetzt hatten die Preußen auch noch die Österreicher besiegt. Und dann kam der Sieg über die Franzosen. Auch der sollte sich in einer weiteren Vergrößerung der Säule zeigen. Der Bauherr war schließlich auch nicht mehr nur König, sondern auch noch Kaiser. Die Nazis setzten noch eine Trommel drauf.

Wenn man direkt vor diesem überdekorierten Schornstein steht, ist man allerdings überrascht, wie klein er trotz der 67 Meter wirkt. Und wie merkwürdig zusammengestückelt das Konstrukt aussieht.

Vorbei an der deutschen militärischen Glorie, die außer mir keinen zu interessieren scheint, kommt man zum Eingang. Drinnen ist es klein und hutzelig, wie in einem Leuchtturm. Bevor man aufsteigt, muss man durch eine Ausstellung über die Nationalbewegung. Ein Plakat klärt über das Notwendigste auf, zur weiteren Dokumentation halten Miniaturen anderer deutschtümelnder Denkmäler her: Befreiungshalle, Kaiser-Wilhelm-Denkmal, Hermann der Cherusker und so weiter. Eine Gruppe Franzosen lärmt ungerührt zum Aufgang. Hier rächt sich die nationale Beweihräucherung. „Solo Pistoia“, mahnte ein toskanischer Lokalpatriot mehrmals auf dem Kriechgang. Daneben „Mexico rules“ und ein schlichtes „Uruguay“.

Die zweite Stufe Deutschtum ist ein Säulenrundgang. An der Innenwand zelebriert ein Mosaik die Einheit. Große Männer weisen ernst auf eine Über-Mannmutter Germania, die erbleichenden und erblühenden Gestalten um sie rum sind ein bisschen unheimlich. Ein gebildeter Vater erklärt seinem gelangweilten Nachwuchs, was der Bayernkönig da macht.

Kennen Sie das? Alle Ihre Freunde aus Dortmund, Alpirsbach und Pirna waren schon auf der Reichstagskuppel, im Pergamonmuseum und am Wannseestrand – als Touristen. Und jedes Mal, wenn sie mit Ihnen sprechen, schwärmen die Freunde davon, wie eindrucksvoll das doch war. Und Sie? Trauen sich nicht, zu verraten, dass Sie zwar jeden kleinen Händler im Bergmannkiez und jedes Café am Savignyplatz kennen, aber einige dieser Berlin-Highlights noch nicht mal aus der Ferne – obgleich Sie schon seit 14 Jahren in der Stadt leben. Macht nichts: Das geht vielen Berlinern so, sogar taz-Redakteuren. Jetzt soll sich das aber ändern. In unserer Sommerserie besuchen tazler jene berühmten Orte, an denen sie noch nie waren. Heute: die Siegessäule.

Zurück in den Schmiergang: Ob Johannes seine Inga noch so liebt wie an jenem Tag im März? Die Treppe windet sich nach oben, und mir ist mein Keuchen inmitten von chilenischen Gipfelstürmern peinlich. „131 Treppen noch“, schrieb ein Tröster. Und dann: „Johannes liebt Nick“. Ach, Inga!

Endlich oben. Auf der dritten Stufe gibt es keine Geschichtsstunde mehr. Man hat das Deutschtum überwunden. Nur noch Gold über uns und unter uns Berlin. Oder besser gesagt vor uns, denn der Tiergarten hebt den Stadtring fast auf Augenhöhe an. Die Touristen üben sich eifrig im Einteilen der Stadt, so als hätten sie Berlin gerade siegreich unterworfen. Hier Westen, da Osten. Schau mal, Cherie, das Brandenburger Tor!

Wenn die Bronzetafeln den Krieg bedeuten und der Säulengang Frieden und Einheit, was bedeutet es dann, zu Füßen des 35 Tonnen schweren Engels zu stehen? Überwindung des Deutschtums? Es scheint, als schmisse die Gute gleich ihren Siegerkranz auf den Tiergarten. Macht eure bescheuerten Kriege doch alleine.

So gesehen ist die Siegessäule gar nicht schlecht.

*Judith Luig lebt seit sechs Jahren in Berlin