Deutsche Entwicklungshilfe: Wie Bonn Birmas Diktatur stützte

Dass beide deutschen Staaten vor 1988 Birmas Sozialisten-Junta unterstützten, ist kaum bekannt. Als rechte Militärs an die Macht kamen, endete die Hilfe abrupt - und führte zu Isolation.

Dass Deutschland seine Unterstützung abrupt beendete und Birma so isolierte, behindert heute Helfer. Bild: dpa

Alles scheint so klar zu sein in Birma und um Birma herum. Böse und Gut lassen sich so eindeutig zuordnen wie sonst nur noch im Simbabwe des Robert Mugabe. Da sind auf der einen Seite die Generäle, brutal, unfähig und so zynisch, dem eigenen Volk ausländische Hilfe vorzuenthalten. Auf der anderen Seite sind die Helfer, die Guten, und sie werden repräsentiert von einer in Birma von den Generälen eingesperrten Lichtgestalt, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die seit 20 Jahren den Schurken in ihrem Land die Stirn bietet. Die gute Schöne steht gegen das böse Biest.

In einem haben diejenigen, die Birma kritisieren, Recht: Das Verhalten der Generäle ist ein Skandal und nicht zu rechtfertigen. Aber: Es gibt auch hier mehrere Aber. Eins trägt den Namen Amnesie, Gedächtnisverlust. Vermutliche Ursache: traumatischer Schock. Hauptbetroffene: die deutsche Entwicklungsministerin. Ihre Vorgänger sind bis 1988 regelmäßig nach Birma gereist, ja man kann sagen gepilgert. Birma war ein, wenn nicht das Lieblingskind der deutschen Entwicklungshilfe. Die Freundschaft zwischen beiden Ländern wurde oft symbolisch beschworen, zuletzt durch den Besuch von Bundespräsident von Weizsäcker 1986 und den Gegenbesuch seines birmesischen Kollegen San Yu im folgenden Jahr.

Dann kam 1988, der Aufstand der Studenten und Bürger auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Notlage und seine blutige Niederschlagung. Die deutsche Hilfe hatte nicht geholfen, das Land zu entwickeln, vielleicht hatte sie die Unterentwicklung sogar befördert, weil sie eine Gefangene des isolationistischen Programms des "Birmesischen Wegs zum Sozialismus" geworden war und - wie unter anderen Umständen auch heute - die Rahmenbedingungen für Hilfe nicht mit bedacht hatte.

Das war ein Schock. Die Entwicklungszusammenarbeit wurde eingestellt, von heute auf morgen wurden auch keine staatlich abgesicherten Kreditbürgschaften mehr erteilt, so dass auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Erliegen kam. Die Militärjunta wurde in die Ecke des internationalen Klassenzimmers gestellt und es wurde alles vergessen, was da vorher gewesen war. Es gibt von offizieller Seite bis heute keine öffentlich gewordene Auswertung der damaligen Zusammenarbeit. Was die Bundesrepublik bis 1988 in Birma geleistet hat, ist eine noch nicht erforschte Ruine der Entwicklungszusammenarbeit.

So weiß bis heute auch keiner, was aus den zahlreichen Projekten geworden ist, die zwischen 1962 und 1988 angeschoben und über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) großzügig finanziert wurden. Man stelle sich nur vor, dass etwa das Projekt mit dem Titel "Lieferung von Medikamenten für Begleitmaßnahmen bei der Trinkwasserversorgung" aus dem Jahr 1985 weitergeführt worden wäre. Wie gut hätte daran in der jetzigen Katastrophe angeknüpft werden können. Oder wenn - auf einem ganz anderen Gebiet - wie schon zweimal vor 1988 ein Deutscher als Trainer für die birmesische Fußballnationalmannschaft entsandt worden wäre. Welch ein Vertrauensvorschuss für deutsche Katastrophenhilfe hätte sich daraus ergeben!

So aber wurde der birmesischen Regierung jegliches Vertrauen und zugleich jede Hilfe entzogen. Das entschuldigt das Verhalten der Regierung nicht, aber es macht das Prinzip der jetzigen Regierung, "Hilfe ja, Helfer nein", ein wenig verständlich. Zusammenarbeit braucht Vertrauen, in Zeiten von Katastrophen noch mehr als sonst. Im Verhältnis zu China, das in Sachen Menschenrechte mindestens ebenso problembeladen ist wie Birma, geschah der Entzug der Hilfe nicht in diesem Ausmaß. Eine Folge davon ist, dass die Zusammenarbeit für die Erdbebenopfer in der chinesischen Provinz Sichuan gut läuft.

Die Kehrtwende der deutschen Birma-Politik nach dem Jahr 1988 hatte ein edles Motiv, wurde aber in einer Art und Weise vollzogen, die mit rationaler Politik nichts zu tun hatte. Das lag auch daran, dass Birma die Freundschaft und das Vertrauen nicht einfach entzogen wurde, beides wurde vielmehr übertragen, und zwar auf die Führerin der Opposition, die Friedensnobelpreisträgerin.

Aung San Suu Kyi war durch den Wahlsieg ihrer Partei aus dem Jahre 1990 legitimiert, für das birmesische Volk zu sprechen. Ihre Botschaft an die internationale Welt war: Boykottiert die Regierung. Nehmt das - nach Abkehr von der sozialistischen Wirtschaftsform erfolgte - Angebot, im Land zu investieren, nicht an. Reist nicht als Touristen nach Birma. Leistet auch keine humanitäre Hilfe, die über die Regierung läuft. Der Aufruf wurde befolgt. Daraus ergab sich die absurde Situation, dass die deutsche Botschaft in Birma gleichzeitig Kontakte mit zwei Regierungen pflegen musste, einer faktischen der Generäle und einer fiktiven, aber legitimen, unter Führung Aung San Suu Kyis.

Gleichzeitig entwickelte sich in der öffentlichen Sicht der Geschichte Birmas eine weitere Absurdität. Plötzlich begann die Herrschaft der Generäle und damit die Militärdiktatur schon 1962, als die damalige demokratisch gewählte Regierung - unter Beifallsbekundungen des Auslands, auch aus Deutschland - von General Ne Win gestürzt wurde. Damit hätte Deutschland von 1962 bis 1988 eine Diktatur massiv unterstützt, ohne dass es einer gemerkt hätte.

Damit sind die Merkwürdigkeiten noch nicht zu Ende. Ne Win propagierte einen "Birmesischen Weg zum Sozialismus", während seine Nachfolger auf eine wenn auch verschrobene Form von Marktwirtschaft setzen. Und zu Ne Wins Sympathisanten gehörten beide deutschen Staaten. Die Bundesrepublik förderte Wirtschaft und Entwicklung des sozialistischen Birma, die Deutsche Demokratische Republik sah Birma voller Sympathie auf dem Weg zum sozialistischen Bruderland und förderte dessen Entwicklung durch Stipendien, deutschen Sprachunterricht und Hilfen beim Aufbau von Krankenhäusern. Es gelang ihr aber nie, den General Ne Win, der 1974 die Uniform auszog und als Zivilist die Einheitspartei des Landes weiter leitete, zu einem Besuch der DDR zu überreden, und sie sah voller Neid auf die Erfolge des kapitalistischen deutschen Staates in dem Wettlauf der beiden um die Gunst Birmas.

Die zeigten sich auch darin, dass Ne Win jedes Jahr am Ende seiner jährlichen Europareise mit seinen Begleitern im deutschen Rheingau zu Gast war und dort Hof hielt. Man hätte vor dem Haus, in dem er residierte, ebenso protestieren können wie auf seinen Fahrten durchs Land. Die Leute wussten, dass da alljährlich ein etwas schrulliger Machthaber aus einem fernen Land zu Gast war und als Dank für die Zusammenarbeit einen exotischen Pavillon gestiftet hatte, der heute das Gelände der European Business School in Hattenheim schmückt und dort besichtigt werden kann.

Die Proteste kamen dann erst nach dem Schock von 1988 und richteten sich gegen die gastgebende Firma, die damals den Namen "Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH" trug und sich bis 1990 in Bundesbesitz befand. Sie wurde beschuldigt, die Gewehre produziert zu haben, mit denen 1988 auf die Demonstrationen geschossen wurde. In der Tat war der Bau von Waffen das historische Kerngeschäft der Firma gewesen. 1955 wurde sie von jungen birmesischen Militärs kontaktiert, die nach einem Partner für den Aufbau einer Rüstungsindustrie für das unabhängige Birma suchten.

Sie entwickelten eine geniale Idee der Entwicklungszusammenarbeit. Birmesische Soldaten - und einige Zivilisten - wurden in Deutschland ausgebildet und setzten das Gelernte mit Hilfe deutscher Fachkräfte dann im eigenen Land um. Als dann das Militär 1962 die Regierung übernahm, hatte die Firma und damit die deutsche Regierung die besten nur denkbaren Kontakte im Land. Fritz Werner half kräftig mit, Fabriken zu bauen, von einer Alkohol-Produktionsstätte bis zu einem Zentrallabor für Werkzeugtechnik. Aber das nützte alles nichts, wohl deshalb, weil die deutsche Seite schon damals das Land, dem sie helfen wollte, nicht recht verstanden hat.

Gut und Böse sind also auch im Falle Birmas eng miteinander verflochten. Allerdings gibt es in den USA im Unterschied zu Deutschland inzwischen die erste konkrete Konsequenz der Missachtung der eigenen Verantwortung. Der Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten McCain, der dessen Nominierungsparty organisieren sollte, ist zurückgetreten. Er war beschuldigt worden, Geld für eine PR-Kampagne zu Gunsten der birmesischen Militärjunta erhalten zu haben.

In Deutschland wird Derartiges nicht passieren. Hier kann man niemand anklagen, sich in Sachen Birma die Hände schmutzig gemacht zu haben. Es lässt sich nur beklagen, wie groß das Missverhältnis zwischen den guten Absichten und den Kenntnissen über die komplexen Gründe des Elends ist.

Und es lässt sich beklagen, dass die einseitige Berichterstattung über Birma auch zur Folge hat, dass für die Opfer der Katastrophe nur wenig gespendet wird. Die Menschen in Birma leiden nicht nur unter ihrer Regierung, sondern auch unter der undifferenzierten und oft ignoranten Berichterstattung über die Zustände im Lande. So weiß Außenminister Steinmeier wohl kaum, dass Birmas Verhältnis zur Außenwelt schon immer beschädigt war, spätestens seit der letzte König des Landes 1885 ins Exil verbracht wurde. Die britischen Kaufleute in Rangun hatten einen Krieg gegen den Rest des einst großen Königreichs im Norden des Landes gefordert, um es endgültig der Zivilisation zu öffnen. Damit war vor allem gemeint, das Land dem freien Handel zu öffnen und Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

Die Erinnerung an die erlittene Demütigung des birmesischen Stolzes durch die Briten war dann einer der Gründe dafür, dass Birma sich schon vor Erlangung der Unabhängigkeit entschloss, nicht dem Commonwealth beizutreten, dem britisch dominierten Reich des "Gemeinsamen Reichtums".

Es war Aung San, der Vater der jetzigen Oppositionsführerin, der auf diese Weise den Anstoß zu der tiefen Beziehungskrise zwischen dem birmesischen Staat und der angloamerikanischen Welt gab, die bis heute fortwirkt.

Diese Beziehungskrise wiederum hat die Entwicklung Birmas nachhaltig negativ beeinflusst. Das Land leidet, wie viele andere Entwicklungsländer auch, unter einer Vielzahl von Defiziten. Eines davon ist eine doppelte Bildungskatastrophe. Im Land selbst herrscht Bildungsnotstand, an der Basis ebenso wie an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie. Dasselbe gilt aber für die Meinungsmacher und die Konsumenten solcher Meinungen in den entwickelten Ländern, darunter auch in Deutschland. Hier weiß man immer weniger über immer mehr und ersetzt das Nichtwissen zwangsläufig durch einfache Urteile.

Der Zyklon "Nargis" hat nicht nur eine Spur des Verderbens durch Birma gezogen, sondern auch freigelegt, was bei uns über dieses ebenso schöne wie unglückliche Land vergessen, verdrängt oder einfach nicht wahrgenommen worden ist. Auch hier ist Hilfe dringend nötig, denn Unkenntnis hat tödliche Folgen. Die Aussichten auf ein Happy End sind allerdings für Opfer wie Hilfswillige gleichermaßen sehr beschränkt.

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