Der Detektiv, der aus der Förderschule kam …
Die Jäger der verlorenen Torten

… und andere Lese- und Guckgeschichten über verschwundene Torten, die musizierenden Kinder vom Kleistpark und Mayas Handtäschchen. Das Sommerlesezeichen von SARAH WILDEISEN

Die vollständigen Angaben der besprochenen Bücher und CDs.

Thé Tjong-Khing: Die Torte ist weg! Eine spannende Verfolgungsjagd. Moritz Verlag 2006.

Thé Tjong-Khing: Picknick mit Torte. Moritz Verlag 2008. Beide je 12,80 Euro. Ab 2 und für jedes Alter.

Franz Hohler: Mayas Handtäschchen. Illustriert von Jacky Gleich. Sauerländer Verlag 2008, 16 Euro. Ab 5 zum Vorlesen, ab 7 zum selbst Lesen.

Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten. Mit Bildern von Peter Schössow. Carlsen 2008, 12,90 Euro. Ab 10.

Wir Kinder vom Kleistpark. CD. Mitwirkende: Kinder der Kita am Kleistpark, Musikpädagogin Elena Marx und viele Musiker. Produziert von Jens Tröndle 2007. Ca. 12,99 Euro.

www.wirkindervomkleistpark.de

Zwei Bücher, und alle halten die Klappe: Mit den zwei Tortenbüchern von Thé Tjong-Khing hat man die Ferienlektüre für die ganze Familie in der Tasche! Tage, nein, Wochen kann sich jeder zwischen 2 und 99 Jahren mit ihrer Hilfe auf geistreiche Weise wegbeamen – nur durchs Gucken. Allein in Bildern erzählt Tjong-Khing vom rätselhaften Tortenverschwinden. Im neuen Buch „Picknick mit Torte“ geht das so: Herr und Frau Hund laden Schaf, Katze, Ziege, Bär, Schwein, Hase, Dachs zum Picknick mit zwei Torten ein. Von Seite zu Seite arbeiten sich die Tiere durch die Landschaft, über Wiesen und Bäche bis hoch auf einen Berg. Endlich am Ziel, ist das Entsetzen groß: Die Torten sind weg!

Wer das erste Buch „Die Torte ist weg!“ kennt, weiß, warum sich jetzt alle auf die Ratten stürzen. Diesmal aber sind sie unschuldig. Während die Tiere den ganzen Weg zurückrennen, stolpern und fallen, tauchen die Torten wieder auf, und die wahren Diebe werden entdeckt. Und dann findet das gemeinsame Picknick vor der eigenen Hundehütten-Haustür statt.

Jedes Detail hat es in sich. Mal dient es einem Nebenschauplatz, mal der Hauptstory. Jedes der Tiere erlebt seine eigene kleine Story in der großen. Wie eine Textur sind die einzelnen Erzählstränge miteinander verwoben, einzelne Episoden laufen nebeneinanderher und überkreuzen sich plötzlich. Hat man das Prinzip erkannt, lässt sich jede Frage an die Bilder stellen und – manchmal erst nach langem Tüfteln – beantworten. Warum tragen immer mehr Tiere Strickwaren in Lila und Gelb? Wo wohnt Frau Schaf? Wer malt die Gesichter auf die Wände? Das Auge wandert durch die weiten Landschaftsbilder aus Federstrich und Wasserfarbe auf der Suche nach Hinweisen und Verknüpfungen. Neben dem Ratespaß schulen die Tortenbücher die Kombinationsfähigkeit und wirken sprachfördernd. „Toddenbuk!“, fordert der Zweijährige, der nicht ohne die Bücher schlafen will. „Schon das Haus von Frau Schaf gefunden?“, simsen sich die Erwachsenen zu, und Oma hantiert stundenlang mit der Lupe und sucht den Grund für Mäusekindchens Übelkeit. Am Ende bleibt die stille Hoffnung auf ein drittes Tortenbuch.

Thé Tjong-Khing: „Die Torte ist weg!“ und „Picknick mit Torte“

Geheimnisvolles Handtäschchen

Wer nicht verreisen kann, holt sich die Fremde gern ins Haus. Zum Beispiel mit einem Märchenbuch. Andere versuchen, mithilfe von Kochbüchern einen Hauch vom Orient einzufangen. So jedenfalls versucht es Maya, eine junge Frau, die in einem Büro in einer großen grauen Stadt arbeitet und deren Nachnamen noch nicht einmal der Briefträger richtig buchstabieren kann. Orientalische Kochbücher sind ausverkauft, stattdessen verführt ein fremd duftendes, abgeschubbertes Handtäschchen Maya zum Kauf.

Eine gute Entscheidung, denn im Täschchen ist ein Spiegel, aus dem eine Frau spricht: Ich bin Sumaya, ich helfe dir beim Kochen! Mehr und mehr hält das Orientalische bei Maya Einzug, bis ihr schließlich sogar der Einstieg in diese märchenhafte Welt gelingt. Dank des Wissens, das Maya über die Künste des Orients erworben hat, gelingt es ihr, durch eine feindliche Wüstenwelt voller Säbel schwingender Männer bis zum Schloss des schlafenden Prinzen vorzudringen.

Der Schweizer Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler beweist, dass er mit seinen 65 Jahren sowohl auf der Höhe der Zeit als auch in der zeitlosen Welt der Märchenerzähler zu Hause ist. Bekannte Märchenmotive erhalten einen neuen Anstrich, und eine Büroangestellte wird zur Heldin. Nebenbei springt er dabei für Gleichberechtigung und gegen Fremdenfeindlichkeit in die Bresche.

Maya, die den Prinzen retten wird, geht einen Weg zum Fremden, der über die Kenntnis der Alltagskultur und der Sprache des fremden Landes führt. Pädagogisch wertvoll also und dabei malerisch und sinnenreich erzählt, sodass Kinder offenen Mundes von der ersten bis zur letzten Seite gebannt lauschen.

Jacky Gleichs halb- oder ganzseitige Illustrationen veranschaulichen den Einzug des Orients mit warmen Farben, die zunehmend die kühl getönten Stadtkulissen verdrängen. Sie versteht es, Sinneswahrnehmungen so zu veranschaulichen, dass man meint, die fremdartigen Düfte zu riechen. Gerötete Wangen, die Augen halb geschlossen, die Nase schnuppert in die Lüfte gereckt, wandeln Menschen mit glücklichen Gesichtern durch die öde Stadt. Die Figur der Maya ist so schön, so weiblich und so stark, dass man ihr allein deswegen folgen möchte, weil sie so anziehend ist. Eine märchenhafte Entführung aus der Großstadt.

Franz Hohler: „Mayas Handtäschchen“

Tiefbegabte ermitteln besser

Ricos Welt ist die Dieffe 93. Als tiefbegabtes Kind denkt er nicht so schnell wie andere. Richtungsangaben wie links und rechts verwandeln seinen Kopf in eine Bingotrommel. Deshalb wohnen er und seine Mutter auch in der Dieffe, der Dieffenbachstraße im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Von hier zum Förderzentrum geht es einfach nur geradeaus. Mama kann ihn morgens nicht zur Schule bringen, denn sie arbeitet nachts im Club und geht morgens schlafen. Mittelpunkt seines Lebens ist das Wohnhaus samt allen Nachbarn, zum Beispiel: Frau Dahling, bei der er Knutschfilme gucken kann, oder der schmuddelige Fitzke, der immer denselben Pyjama trägt.

Nun sind Sommerferien und die Stadt fürchtet sich vor dem Aldi-Kidnapper, einem Kinderräuber, der 2.000 Euro für die Rückgabe der Kinder fordert, billig wie bei Aldi. Oskar, ein hochbegabter Junge, dessen Zähne aussehen, als könne er mit ihnen Stücke aus Tieren beißen, ist dem Kidnapper auf der Spur. Doch kaum haben Rico und Oskar sich kennen gelernt, verschwindet das Superhirn, aber nicht ganz spurlos. Nun ist es an Rico, das Geheimnis des Kinderdiebes Mister 2000 zu lüften.

Dies ist mal wieder ein echter Steinhöfel: Ein zum Piepen komischer Großstadtkrimi, in dem man bis zur letzten Seite mit den originellen und liebenswerten Außenseitertypen mitfiebert. Das Ganze ist in Form eines Ferientagebuchs geschrieben, das Rico auf Anregung seines Förderzentrumlehrers in den Computer tippt. Schwierige Begriffe schlägt er im Lexikon nach und macht sie für seinen Gebrauch passend; so ist Schwerkraft das, was runden Sachen zu schaffen macht, zum Beispiel Äpfeln und Mamas Brüsten. Rico weiß sich also zu helfen, auch wenn seine Mittel begrenzt sind. Peter Schössow illustriert die zwei ungleichen Helden des Buches würdig. Lesestoff vom Feinsten!

Andreas Steinhöfel: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“

Selbst produzierte Kita-CD ganz groß

Mit dem ersten Klavierstück „Von fremden Ländern und Menschen“ der „Kinderszenen“ von Robert Schumann beginnt diese erstaunliche Kinder-Musik-CD. Sie ist aus einer Zusammenarbeit der Kita am Kleistpark in Berlin und der Musikpädagogin Elena Marx entstanden ist. Gemeinsam studierte Marx mit Kindern unterschiedlicher nationaler Herkunft und im Alter zwischen 2 und 5 Jahren internationale Musikstücke ein.

Die CD war zunächst als Weihnachtsgeschenk für die Eltern gedacht, stieß aber auf so viel Resonanz, dass sie nun auch im freien Handel erhältlich ist. Zum Glück! Denn zum einen sind die Lieder gut und anspruchsvoll instrumentiert, zum anderen versprühen die singenden Kinder einen solchen Charme und eine solche Lebensfreude, dass man entweder gebannt zuhört oder mittanzt. Mit anderen Worten: Eltern und Kinder verfallen dieser Musik gleichermaßen.

Ob französische Volkslieder, ein liberianisches Begrüßungslied oder eines der neuseeländischen Maori, allen macht es Spaß, zuzuhören, mitzusingen oder mitzutanzen. Abwechslungsreich sind die Stilrichtungen: Jazz, Rap, Klezmer oder Volkslied, auch nach dem zehnten Durchlauf nervt nichts. Die Kinder, die sich zwischen den Liedern in ihrer Muttersprache und auf Deutsch vorstellen, schließt man als Erwachsener sofort ins Herz, Kinder fühlen sich von ihnen direkt angesprochen.

Die musikbetonte Kita betreut Kinder aus 16 verschiedenen Ländern und teilweise schwierigen Elternhäusern und arbeitet eng mit der Leo-Kestenberg-Musikschule zusammen. Auf der CD hört man das Resultat aus guter pädagogischer Arbeit und musikalischem Spürsinn. Der Starfotograf Jim Rakete hat das Coverfoto gemacht, Jens Tröndle die CD produziert. Für eine multikulturelle Kinderkultur auch in monokulturellen Haushalten! „Meine Gedanken für dich, meine Worte für dich, mein Herz für dich, Friede sei mit dir.“

Elena Marx u. a.: „Wir Kinder vom Kleistpark“. CD