Ein Junge wird Herr seiner Angst

Der zivilisationskritische Ansatz fällt simpel aus, das Maya-Setting ist vor allem Fantasy-Kulisse. Und dennoch hat Mel Gibsons neuer Film „Apocalypto“ auch Qualitäten: In den besten Momenten wird fesselndes Actionkino geboten – und dank neuer Kameratechnik ist die Optik atemberaubend

Die Verdorbenheit der Städter zeigt sich schon am Körperschmuck: Sie tragen ganze Schädel am Arm

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Die Feststellung, dass jemand nicht ins Schema passt, stellt ja meist ein Kompliment dar. Nicht so bei Mel Gibson. Er hat das Zeug zum Hollywood-Rebellen, aber er gehört zu jenen Außenseitern, zu denen selbst die eigentlichen Sympathisanten lieber Abstand halten. Was nicht nur daran liegt, dass Gibson seine sympathische Unangepasstheit mit eher unsympathischen reaktionären Ansichten verbindet, sondern auch mit der Aura der Unberechenbarkeit, die ihn umgibt. Da kann er sich für seine antisemitischen Ausfälle im Zustand der Volltrunkenheit noch so oft entschuldigen, es ist genau das Verhalten, das man ihm zutraut und weiter zutrauen wird.

Was man ihm dabei immer weniger zutraut, ist, dass er gute Filme macht. Spätestens seit „Passion of the Christ“ hat ihn das Feuilleton als pathologisch blutrünstig entlarvt. „Apocalypto“ wird nun gerne als Abschluss seiner „Bluttrilogie“ – nach „Braveheart“ und der „Passion“ – bezeichnet. Einem Regisseur einen obsessiven Hang zu Blut und Gewalt nachzusagen, hat durchaus etwas Heikles. Von der Obsession des Filmemachers ist es nämlich nicht weit zu der des Zuschauers. Angesichts des Körpergemetzels in „Apocalypto“ sorgenvoll über Gibsons Psyche den Kopf zu schütteln, lenkt nur von der eigenen Faszination ab.

Den zivilisationskritischen Ansatz, mit dem Gibson sein neues Werk umgibt, kann man im Grunde ebenso übergehen wie die Diskussion um seinen Geisteszustand: Das eigentliche Thema von „Apocalypto“ ist die Angst – und ihre Überwindung. Purer Kinostoff also. Das angeblich so authentische Maya-Setting des 16. Jahrhunderts ist letztlich nur Fantasy-Kulisse, um eine alte Geschichte zu erzählen: Die vom Jungen, der „Herr“ seiner Angst wird. Sage niemand, er sehe sich so was nicht gerne an.

Besser noch als aufgeschlitzte Leiber und abgeschlagene Köpfe versteht Gibson es nämlich den angstvollen Blick zu inszenieren. Ein solcher ist es, der die Handlung von „Apocalypto“ in Gang bringt. Ganz zu Anfang sieht man eine Gruppe halbnackter Männer bei der Jagd. Sie machen deftige Scherze, wie man sie von den Männergemeinschaften im Western und Kriegsfilm zur Genüge kennt. Unvermittelt taucht aus dem Wald eine Gruppe Menschen auf, die darum bitten, passieren zu dürfen. Sie sehen gehetzt, schmutzig und müde aus – und ihre Gesichter sind voller Angst. Jaguar Paw, der Held des Films, kann diesen Anblick nicht vergessen. Und als wenig später auch sein Dorf überfallen wird, ist es der kleine Vorsprung des frühen Erwachens aus einem Alptraum, der es ihm ermöglicht, Frau und Kind in einem Felsloch vor den Menschenjägern in Sicherheit zu bringen. Er selbst wird in die Stadt verschleppt, muss sich befreien und mit grausamen Verfolgern an den Fersen durch den Dschungel wieder zurückfinden.

Gibsons Zivilisationskritik entspricht in etwa dem klassischen amerikanischen Republikanertum: Auf der einen Seite die friedliche traditionelle Dorfgemeinschaft, auf der anderen Seite die dekadenten Städtebewohner. Der Trip in die Stadt ist der sprichwörtliche Gang durch die Hölle und ihre vielgestaltigen Schrecken: Sklavenmarkt, unfreundliche Gesichter und unappetitliche Opferrituale wie das berüchtigte Herz-Ausreißen bei lebendigem Leib. Nein, besonders sympathisch kommt die Stadtkultur der Mayas nicht weg, aber wie gesagt, trotz behaupteter historischer Authentizität kommt es Gibson wie in jedem gewöhnlichen Fantasy-Film auf etwas anderes an: Mit den erlittenen Grausamkeiten steigt die Entschiedenheit des Helden.

Das Herzstück des Films bildet die Verfolgungsjagd durch den Dschungel zurück zum Dorf. Wie Jaguar Paw dabei mit Schlangen, Panthern, Wasserfällen und Treibsand fertig wird, macht für eine halbe Stunde den ganzen Gibson-Überbau vergessen: Es ist altmodisches Actionkino, nicht allzu originell, aber ungeheuer fesselnd. Was auch mit der spektakulären Kamera zu tun hat, die dem atemlosen Dschungellauf in nie gesehener Unmittelbarkeit folgt. Der Film wurde mit einem neuen System aufgenommen, das auf den bedeutungsschwangeren Namen „Genesis“ hört. „Apocalypto“ ist damit wohl der erste digital gedrehte Film, dem man das nicht mehr ansieht: Die atemberaubende Optik, die Tiefenschärfe, Leuchtkraft und größte Bewegungsfreiheit kombiniert, ist das eigentlich Herausragende an Gibsons Film.

„Apocalypto“. Regie: Mel Gibson. Mit Rudy Youngblood, Mayra Serbulo u. a., USA 2006, 139 Min.