24-Stunden-Shoppen: Nachts sind alle Waren bunt

Wer nach 0 Uhr bei Reichelt in Wilmersdorf und Fresh N Friends in Prenzlauer Berg einkauft, trifft auf erstaunlich entspannte Kunden und Mitarbeiter. Meist ist es der Reiz des Neuen, der die Käufer lockt.

Der Kunde ist immer König - 24 Stunden am Tag. Bild: AP

Dienstag Nacht, kurz nach 0 Uhr auf der Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Junge Menschen säumen die zahlreichen Cafés und genießen die sommerlichen Temperaturen. Auch vor dem selbsternannten Biosupermarkt Fresh n Friends, der seit dem 18. Juli rund um die Uhr geöffnet hat, sitzen Mittdreißiger auf Plastikstühlen und schlürfen Limonade. Mit seinem pink und giftgrünen Design erinnert das Geschäft eher an einen Drogeriemarkt. Drinnen kaufen junge Leute Bio-Bier, ayurvedischen Tee und Dinkel-Müsli.

Vorbei die Zeiten des Spätkaufs und der Tankstelle: Seit einigen Wochen lässt sich in Berlins Supermärkten 24 Stunden lang einkaufen. Am 30. Juli öffnete die Reichelt-Filiale in Wilmersdorf ihre Türen die ganze Nacht hindurch für Kunden. Nur sonnabends ab 23 Uhr bis montags um 8 Uhr bleibt die Filiale geschlossen. Seit Mitte Juli wirbt auch der Bioladen Fresh n Friends in Prenzlauer Berg damit, keinen Ladenschluss zu kennen. Noch sind solche Geschäfte die Ausnahme. Die Gewerkschaft bleibt deswegen vorerst auch gelassen.

"Ich bin das erste Mal hier", erzählt François, ein zopftragender Franzose aus Montpellier und packt Salat, Sojamilch und Linsen in seine Tasche. "Toll, dass man hier um diese Uhrzeit noch frisches Biogemüse kaufen kann." Im Café nebenan habe er nichts mehr zu essen bekommen, aber er koche sowieso lieber selbst. "Nur tagsüber komme ich meistens nicht zum Einkaufen." Er wohne in Kreuzberg, da fehle ihm so ein Laden, sagt er.

Während sich François zu Hause sein Abendbrot zubereitet, besorgt sich Rita H. in der Wilmersdorfer Reichelt-Filiale ihr Frühstück. "Der Laden liegt auf meinem Weg in die Klinik. Jetzt kann ich mir immer etwas Gesundes, Obst oder Joghurt, mitnehmen und den Kaffee gibt's gratis dazu", freut sich die rundliche Krankenschwester und gießt sich einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne ein, die für die Kunden am Eingang bereitsteht. Größere Einkäufe mache sie aber am Tag. "Sonst muss ich ja alles mit zur Arbeit schleppen", schmunzelt die Mitvierzigerin.

Seit 30. Juli hat auch die Reichelt-Filiale durchgehend geöffnet. Der Laden befindet sich allerdings in einem weniger belebten Viertel. Nächtens bestimmen leergefegte Straßen und graue Häuserblöcke das Bild der Wilmersdorfer Gegend. Warum hat ausgerechnet hier ein Supermarkt 24 Stunden geöffnet? "In der Wilmersdorfer Filiale waren die Umsätze kurz vor Ladenschluss immer sehr hoch", begründet Andreas Laubig, Sprecher der Edeka-Gruppe die Entscheidung. Außerdem seien Verkehrsanbindung und Parkmöglichkeiten günstig, um auch des Nachts die Kunden aus anderen Bezirken anzulocken.

Dies hat sich auch eine fünfköpfige Familie aus Tiergarten zunutze gemacht. "Wir kommen gerade vom Grillen", berichtet der Familienvater Klaus S., schnauzbärtig und in Deutschlandtrikot. Er legt eine Schale Brombeeren in seinen Einkaufskorb. "Wir wollten nur mal gucken, eigentlich wohnen wir ja ganz woanders." Der für die Nachtschicht zuständige Filialleiter bestätigt dieses Phänomen: "Die Leute kommen hier sogar aus Spandau und Tegel her." Scheinbar ist es weniger die Notwendigkeit als eher der Reiz des Neuen, der die Kunden nachts in den Supermarkt lockt.

Anders bei Fresh n Friends, behauptet dessen Inhaber Anton Kerler. "Bei uns kaufen in erster Linie Kunden ein, die hier auch leben und arbeiten." Die Leute aus der Werbe- und Medienbranche hätten hier in der Gegend ihre Büros und arbeiteten meist bis Mitternacht oder länger. "Ihren Einkauf machen sie dann bei mir auf dem Nachhauseweg, tagsüber werden eher Snacks und Kaffee für die Mittagspause gekauft", erzählt der 28-jährige Jungunternehmer, passend zum Design seines Ladens in ein pinkes Poloshirt gekleidet. Überhaupt scheint hier alles perfekt durchgestylt zu sein. Die Plastikverpackungen der Vollkornsandwiches im Kühlregal glänzen mit den Gourmet-Glaskonserven um die Wette. Das Biogemüse weist erstaunlich wenig braune Stellen auf und selbst die Zeitschrift auf dem Bistrotisch passt farblich zu den Wänden. Er habe bewusst ein so poppiges Outfit gewählt, um sich vom Ökomief eines Reformhauses abzusetzen, sagt Kerler dazu.

Im Reichelt, es ist mittlerweile zwei Uhr, schieben ein Dutzend Kunden ihren Einkaufswagen durch die Reihen. Auf jeden von ihnen kommt ein Mitarbeiter: allein drei Kassen sind geöffnet, drei Wachmänner sichern den Laden ab, der Rest der Hilfsarbeiter füllt die Regale auf. "Am Anfang dachte ich, dass eher junge Leute kommen würden, um Alkohol oder ähnliches zu kaufen", berichtet die Kassiererin Uzcu. "Aber tatsächlich erledigen manche Kunden jetzt sogar ihren ganz normalen Wocheneinkauf." Das sei aber eher selten, ergänzt sie. Besonders sei ihr die entspannte Stimmung unter den Kunden aufgefallen. Und tatsächlich: Es herrscht eine seltsam friedliche Atmosphäre. Der Filialleiter begrüßt freundlich seine Kunden, kein Lautsprechergedudel oder gestresste Kassierer stören die Ruhe.

Auch bei Anton Kerler ist nach drei Uhr Nachtruhe eingekehrt. Der Chef sitzt vor seinem grell erleuchteten Bioladen, "der Strom ist natürlich von Lichtblick". Der Biostrom leuchtet einem beim Abschied den Weg nach Hause.

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