Migration II: Wieder zurück in die Zukunft

Wie die junge Modedesignerin Cuc Hoang sehen viele vietnamesische Migranten Berlin oft nur als Lebensstation auf Zeit. Das Glück und ihre Zukünfte liegen in Vietnam.

Das Herz hängt an Vietnam. Bild: Reuters

Es ist eine zutiefst rationale Entscheidung, die Hoang Thi Cuc, die 28-jährige Vietnamesin, getroffen hat. Die frisch gebackene Modedesignerin wird sich in diesen Tagen aufmachen in ihre Geburtsstadt Ho-Chi-Minh-Stadt, das frühere Saigon. Sie fährt nicht für immer dorthin. "Aber ich will mich dort über die Marktwirtschaft und die Textilindustrie informieren", sagt sie. Und vielleicht wird sie, nachdem sie ein paar Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, in dieser Boomstadt eine eigene Modeboutique eröffnen und in Berlin ihre Zelte abbrechen. Möglich. "Denn eigentlich liebe ich Berlin", sagt die Lichtenbergerin, die mehr wie eine Deutsche fühlt als wie eine Vietnamesin. "Aber Miete und Produktionskosten für Mode sind hier auf Dauer einfach zu hoch."

13 Jahre war Cuc alt, als sie 1992 nach Berlin kam. Hier war ihre Mutter zu DDR-Zeiten Gruppenleiterin für Vertragsarbeiter. Nach der Trennung ihrer Eltern blieb Cuc einige Zeit in Ho-Chi-Minh-Stadt bei den Großeltern und dem Vater. Dann aber entschied sie sich für die Mutter. Und damit für Berlin.

Hier lernte sie Deutsch. Hier ging sie zur Schule, legte das Abitur ab. Hier erlebte sie ihre Pubertät und die erste Liebe. Hier wurde sie Tänzerin in einer professionellen Tanzgruppe. Und hier leitete sie schließlich an den Wochenenden eine eigene Tanzgruppe von vietnamesischen Teenagern aus dem Ostteil Berlins. Damit finanzierte sie ihr Modedesign-Studium an der FHTW.

Einige ihrer Tanzschülerinnen, allesamt vietnamesische Teenager aus dem Berliner Osten zwischen 14 und 17 Jahren, standen zu Cucs Diplompräsentation im Juli auf dem Laufsteg. Die Asiatinnen trugen zutiefst europäisch geprägte Kleider, die man zur Jugendweihe oder zum Abiball kaufen kann. Cuc hatte festliche Kleider für Teenager entworfen, die zwischen verspielten Details viel Haut zeigen. Asiatisch ist nichts an ihrer Mode.

Das Herkunftsland der 28-Jährigen ist ein Boomland und eine der großen Schneiderstuben der Welt. Wegen der billigen Lohnkosten lassen namhafte Handelsketten in Vietnam nähen. Für Kunden in Europa. Entworfen wird auch in Asien. Noch nicht in Vietnam, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Entworfen wird seit wenigen Jahren auch wieder in Berlin, wo die Kreativwirtschaft Wachstumsbranche ist. Aber es sind zumeist nur die ersten Jobs nach dem Studium, die man in den jungen Modelabels hier bekommt. Wer weiterkommen will, muss Berlin später verlassen. Und Cuc, die den Geschmack der Kundinnen hierzulande genauso gut kennt wie die Sprache und Kultur der Produzentinnen in Fernost, kann da eine kulturelle Mittlerin sein.

12.000 Vietnamesen wohnen in Berlin. Sie sind die größte außereuropäische Migrantengruppe der Stadt und zugleich die drittgrößte vietnamesische Gemeinde in Europa nach Paris und London. Im Gegensatz zum Bundestrend steigt die Zahl in Berlin. Neuankömmlinge sind vor allem wenig gebildete, verarmte Bauern aus Regionen Zentralvietnams, die der Boom abgehängt hat. Sie bringen konservative Werte mit, Aberglauben und strenge hierarchische Strukturen zwischen den Generationen dominieren. Es sind Menschen mit einem hohen Integrationsbedarf. Sie kommen nach Berlin, weil sie hier Hilfe aus der ethnischen Ökonomie bekommen, auf die sie dringend angewiesen sind. Die zweite Generation der Vietnamesen hingegen ist gut integriert und überdurchschnittlich hoch gebildet. Doch viele von ihnen verlassen Deutschland nach dem Studienende wieder, wie Cuc es vorhat. Ein deutscher Hochschulabschluss öffnet in Vietnams Boomstädten Türen zu Karrierejobs. Ganz objektiv gesehen ist das für Berlin ein negativer Migrationstrend.

In der Regel wollen die hier gut integrierten jungen Hochschulabsolventen nicht freiwillig nach Vietnam gehen. Die ersten Kinder ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter beenden in den nächsten Jahren ihr Studium. Bisher sind das nur solche, die wie Cuc noch in Vietnam geboren wurden. Viele ihrer Eltern hatten nie vor, bis ans Lebensende in Deutschland zu bleiben. Mit der DDR hatten sie nur einen Fünfjahresvertrag geschlossen. Während der Wende kehrten viele zurück, andere testeten die neuen Chancen der Selbständigkeit aus. Doch für die meisten steht fest: Sind die Kinder mit der Ausbildung fertig, wollen sie zurück nach Vietnam. Dorthin, wo der Ahnenaltar steht und man alte Menschen achtet, statt sie in Seniorenheimen verschimmeln zu lassen. Manche akzeptieren ein selbstbestimmtes Leben ihrer Kinder in Deutschland. Doch andere erwarten, dass die Kinder nach Vietnam mitkommen und für sie sorgen. In Vietnam gilt das Senioritätsprinzip. Kinder schulden ihren Eltern ein Leben lang Respekt, selbst wenn sie erwachsen sind.

Hoan Thi Cucs Familie ist modern. Die Modedesignerin trifft ihre Lebensentscheidungen selbst. Aber in anderen vietnamesischen Familien führen die Ansprüche der Eltern und die Wünsche der hier sozialisierten und gut ausgebildeten Kinder zu ernsthaften Konflikten. So etwa bei dem 16-jährigen Gymnasiasten Tinh (Name geändert). Er möchte Lehrer werden. Der Beruf hat in Berlin Zukunft, und die Landesregierung sucht händeringend junge Migranten für ein Lehramtsstudium. Aber Tinhs Eltern lehnen das ab: Mit einem deutschen Lehrer-Staatsexamen könne der Sohn in Vietnam nichts anfangen. Betriebswirtschaft, Medizin, Pharmazie und Informatik, das sind Studienrichtungen, die vietnamesische Abiturienten nach dem Willen ihrer Eltern belegen sollen. Und die sie an deutschen Hochschulen auch überproportional häufig belegen. Damit kann man reich werden in Vietnam. Und den Eltern einen angemessenen Lebensabend finanzieren.

Tinh schiebt die Entscheidung auf die lange Bank. Er möchte Lehrer werden. In Deutschland. Aber er möchte auch ein braver Sohn sein, eine Tugend unter Vietnamesen. "Meine Eltern erwarten von mir aber auch, dass ich eine Frau vom Dorf in Zentralvietnam heirate, die sie einmal pflegt und alles tut, was sie von ihr erwarten", sagt der Schüler. Eine selbstbestimmte deutsche Schwiegertochter würden die Eltern niemals akzeptieren. Das weiß er. Auch diesen Konflikt schiebt der schüchterne Junge auf die lange Bank. Denn noch hat er keine Freundin.

Und laut denkt er über eine ganz eigene Lösung nach: "Ich heirate in Vietnam eine Frau, die meine Eltern zur Schwiegertochter haben wollen." Die Eltern wären dann versorgt. Und er könne ganz in Ruhe in Deutschland das Geld verdienen und es Frau und Eltern schicken. "Ich kann dann ja hier trotzdem eine Freundin haben und leben, wie ich will", meint er.

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