Grabredner: Zum Abschied ein Gedicht

Immer mehr Bestattungen werden von Trauerrednern begleitet - für Sozialwissenschaftler jenseits der 40 ein neues Berufsfeld. Reich wird damit keiner.

Zeugen älterer Trauerkultur auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof Bild: CLP

Es ist ein schmaler Ordner, den Anna Fett aus dem Regal zieht. Darin hat sie fein säuberlich Poesie abgeheftet. Alle Texte handeln vom Tod. Sokrates, Goethe, Hesse, Bonhoeffer. Anna Fett aus Charlottenburg ist seit vier Jahren Trauerrednerin.

Wer sich von einem geliebten Menschen verabschieden muss, wünscht sich in der Trauerfeier oft ein Gedicht oder einen Spruch, die seine Gefühle ausdrücken, weiß die 51-Jährige. Und da ist nichts besser, als eine Auswahl zur Hand zu haben.

Trauerredner ist kein Beruf, den man in irgendeiner Einrichtung erlernt. Man muss sich dazu berufen fühlen. Und es darf einem nichts ausmachen, täglich mit Tod und Trauer konfrontiert zu werden. Fett, die studierte Sozialarbeiterin, war zuvor in der Suchtberatung tätig und sattelte freiwillig um. "Es war für mich eine neue Herausforderung, Menschen bei gefühlsmäßig außergewöhnlichen Anlässen zu begleiten", sagt sie. Bislang hatte sie nur auf Hochzeiten oder bei Firmenjubiläen gesprochen. "Dann war es für mich selbstverständlich, auch auf Beerdigungen zu reden." Der Tod sei schließlich selbstverständlicher Teil des Lebens, und zum Abschied verdiene jeder Mensch eine Würdigung.

Nicht alle Trauerredner haben ihre Berufswahl freiwillig getroffen. Es sind Philosophen, Schauspieler, Sänger, Ethnologen oder Hörfunkjournalisten darunter, weiß Regina Malskies vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD). Viele hätten sogar einen Doktortitel. Aber irgendwann lief in der akademischen oder künstlerischen Karriere nichts mehr, für andere Jobs war man inzwischen zu alt. Als Trauerredner sind ein gewisses Lebensalter und die dazu gehörende Erfahrung hingegen von Vorteil. "Es ist eine zweite berufliche Chance für seriöse und lebenserfahrene Sozialwissenschaftler und Künstler ab 40", sagt Malskies. Eigene Erfahrung mit dem Tod von Angehörigen könne helfen, sensibel mit den Trauernden umzugehen.

Vor der Trauerrede sucht auch Anna Fett die Angehörigen zu Hause auf. So ein Gespräch dauere mehrere Stunden, sagt sie. Auf die Uhr schauen sollte man dabei nicht: "Da werden Fotos gezeigt und Erinnerungen aufgefrischt." Die Zeit nimmt sie sich nicht nur, um passende Worte für ihre Rede zu finden. Das Gespräch sei für die Angehörigen bereits Teil des Abschiednehmens. Oft sogar der wichtigere. "Es ist mir eine besondere Ehre, dass Menschen in dieser Lebenslage mich in ihr Innerstes hineinlassen", sagt sie. Anna Fett strahlt Ruhe und Zuversicht aus. Sie liebt es, Komplimente zu machen. Für einen trauernden Menschen bedeutet das oft sehr viel. Aber auch wenn Fett mit den Trauernden mitfühlen kann: "Es ist nicht mein Verstorbener. Das ist mein Beruf. Ich bin die Begleitung. Und ich wahre den professionellen Abstand."

Die Dienste von Trauerrednern werden in Berlin immer häufiger nachgefragt. Immer mehr Menschen sind konfessionslos. Wenn sie sterben, steht kein Pfarrer an ihrem Grab. Würdig soll der Abschied dennoch sein. Die meisten Bestattungsunternehmen vermitteln Redner. Oder aber ein Angehöriger spricht zum letzten Geleit, lässt die Rede aber von jemandem wie Anna Fett schreiben, der darin Erfahrung hat. Hinterbliebene können den Kontakt zu Rednern aber auch über das Internet oder den Humanistischen Verband bekommen.

"Für die Grabredner, die wir vermitteln, ist das Leben hier und jetzt die Basis. Da muss klar sein, dass es ein Leben nach dem Tod nicht gibt", erklärt Regina Malskies vom HVD. In der Rede Raum zu lassen, die einzelne Gäste mit einem stillen Gebet füllen können, sei dennoch sinnvoll. "Viele konfessionslose Verstorbene haben ja auch christliche Angehörige und Freunde."

Es sind vor allem Deutsche, die ihren Toten durch eine weltliche Trauerrednerin wie Anna Fett die Abschiedsworte sprechen lassen. Natürlich gibt es auch konfessionslose Migranten. Russlanddeutsche, Osteuropäer oder Vietnamesen etwa. Aber der Umgang mit dem Tod ist stark kulturell geprägt, sodass sie auf Redner aus der eigenen ethnischen Gruppe zurückgreifen.

Wer am Pult der Trauerhalle steht, hat keine schlechten Voraussetzungen, wenn er einige Jahre vom Katheder zu Studenten gesprochen hat wie Anna Fett. Als Sozialarbeiterin hatte sie einen Lehrauftrag an einer Fachhochschule, dafür hat sie sich auch rhetorisch ausbilden lassen. Sprecherziehung und Stimmbildung seien sinnvolle Qualifikationen für Trauerredner, meint auch Regina Malskies. Genauso wie eine reiche humanistische Bildung. Nichts sei besser, als aus diesem Fundus jederzeit ein passendes Zitat, einen Vergleich oder ein Bild zu finden.

Rosig ist die finanzielle Situation von Trauerrednern allerdings nicht. Laut bundeseinheitlichem Tarif gibt es für eine Grabrede 205 Euro. Dazu muss man die Verwandten zum Gespräch aufsuchen, ein paar Stunden am heimischen Rechner an einer Rede feilen und diese schließlich halten. Zwei Tage Arbeit bedeutet das, manchmal mehr. Und seit die Krankenkassen kein Sterbegeld mehr zahlen, seien die Aufträge dramatisch zurückgegangen, weiß man beim Humanistischen Verband.

Im schlicht, aber stilvoll möblierten Arbeitszimmer von Anna Fett in einem Charlottenburger Gründerzeithaus gibt es viel Platz. Platz für Erinnerungen, die ihr die Angehörigen erzählen. Ohne jede Schauspielerei - denn wer trauert, ist so, wie er wirklich ist. Das schätzt Anna Fett an ihrem Beruf. Und diese erzählten Erinnerungen sind es, in denen Tote weiterleben.

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