Radialsystem: Feiern für die Kunst

Das Radialsystem ist der soziale Aufsteiger in der Kulturszene. Mit Promi-Künstlern wie Sasha Waltz hat sich das Haus in einem Jahr einen guten Namen gemacht.

Getanzt wird viel im Radialsystem - wenn auch nicht immer Tango Argentino Bild: AP

Den Blick auf das Wasser der Spree: Den hat das Radialsystem bisher auf jedem der Faltblätter gefeiert, mit dem es alle zwei Monate sein Programm vorstellt. Mal sieht man das Haus des Nachts, wie sich der gläserne Riegel mit den Probenräumen oben und den Bögen der alten Pumpstation unten in dem Flusslauf spiegelt; mal sieht man die Terrasse an einem Sommertag. Immer steht der Ort und seine Architektur im Mittelpunkt.

Tatsächlich ist deren Attraktivität wesentlich für das Überleben des Hauses mit dem ungewöhnlichen Namen, das am 9. September vor einem Jahr als "new space for the arts in berlin" in Berlin eröffnet wurde. Auf den Bildern, die Folkert Uhde und Jochen Sandig, die beiden Geschäftsführer und künstlerischen Leiter, zum Rückblick auf ihre ersten 365 Tage und Nächte im Radialsystem zeigen, sieht man denn auch viele der illustren Gäste, die hierher zum Feiern kamen, wie zum Beispiel Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier auf einer Party der Zeitschrift Focus. Zeitschriften, Fernsehsender, internationale Konferenzen: Sie alle waren Mieter des Radialsystems, das über die Hälfte seines Umsatzes in den ersten elf Monaten über Vermietungen und für Empfänge eingenommen hat.

"Wir haben Schwein gehabt, aber wir brauchen auch weiterhin Glück", sagt Uhde im Rückblick auf das erste Jahr. Denn der Umsatz von 1,3 Millionen Euro reicht noch nicht für schwarze Zahlen, aber das war auch nach einem Jahr noch nicht zu erwarten. Das Radialsystem muss die Miete für das Haus und den Etat für seine Infrastruktur als Veranstalter selbst erwirtschaften, damit es als Spielstätte und Produktionsort bestehen kann.

55.000 Besucher hatte das Haus, 32.240 davon haben Tickets gekauft und damit 35 Prozent der Einnahmen gesichert. Die Eintrittspreise für Tanzstücke und Konzerte, oft zwischen 16 und 34 Euro, haben viele Besucher schlucken lassen, liegen sie doch deutlich höher als etwa im HAU oder den Sophiensälen, die verwandte Produktionen zeigen. Aber eben auch strukturell gefördert werden.

Das Glück, dass das Radialsystem weiterhin braucht, ist dasselbe Glück, das auch für die Existenz des HAU entscheidend ist: dass die Künstler, mit denen man zusammenarbeitet, und die Projekte, die man zeigen will, öffentliche Förderung erhalten. Ohne diese Voraussetzung kann das eine Haus so wenig existieren wie das andere. Die Liste der Künstler im Haus spiegelt auch in dieser Hinsicht ihre gute Aufstellung wider. Viele regional und international geförderte Künstler sind darunter, was natürlich auch an potenten Produktionspartnern wie der Kölner Philharmonie, den Berliner Festspielen, dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg oder der Opéra National de Paris liegt. Erst dadurch wird möglich, dass alle, die hier proben, für die Probenräume Miete bezahlen, auch Sasha Waltz & Guest.

Für die Welt des Tanzes ist das Radialsystem zu einem Hoffnungsträger und Symbol für eine Zukunft geworden, in der neue ökonomische Modelle den Tanz aus seiner Nischenexistenz befreien könnten. In der Kritikerumfrage, die die Zeitschrift ballettanz in ihrem Jahrbuch veröffentlicht, wurde Sasha Waltz zur Choreografin des Jahres 2007 gewählt - auch für das Stück, mit dem ihre Tänzer und die Musiker der Akademie für alte Musik das Haus vor einem Jahr eröffneten.

Aber der besondere Stellenwert in der Gemeinde der Tanzbegeisterten allein hätte dem Haus noch nicht jene 1.004 Veröffentlichungen eingebracht, auf die alle Mitarbeiter nach einem Jahr mit 229 Veranstaltungen selbstverständlich stolz sind. Es ist dem Programm des Radialsystems vielmehr gelungen, sich in viele Richtungen zu öffnen und für Konzerte mit alter und neuer Musik auch ein neues Publikum zu mobilisieren. Die Macher haben spezielle Formate des Musikkonsums wie die Nachtkonzerte, bei denen man die Musik im Liegen hört, und der Vermittlung ("Meister-Werke-unplugged-remixed") gefunden, denn, wie Folkert Uhde feststellt, "Wissen steigert den Spaß an komplizierter Musik".

Das Radialsystem hat es geschafft, dass man stolz ist, ihm zu helfen. Die Liste der Partner, die Nike Bätzner, die als Kuratorin das kommende Festival "Medeamorphosen" betreut, dafür vorstellte, reichte vom Theater Ramba Zamba über Christa Wolf und Angela Winkler bis zum Pergamonmuseum. Das Radialsystem ist - vor allem jetzt in seiner Konturierungsphase - ein Boot, in dem jeder gerne mitfahren will.

Allein mit dieser Offenheit nach allen Seiten macht man sich in einem kulturellen Milieu, das auch auf Abgrenzungen und tribale Strukturen setzt, nicht nur Freunde. Das Haus ist auch so etwas wie der soziale Aufsteiger einer Kulturszene, zu deren Selbstverständnis auch ein gewisses Abrücken vom Mainstream gehört. Beim Radialsystem ist man sich da nicht mehr so sicher, wohin es steuert.

Am Samstag um 22 Uhr beginnt die Party "365 Tage Radialsystem", die am Sonntag in ein großes Familienfest mit Kinderprogramm mündet. Ganz sicher ist dann die Kindertanzcompany Berlin dabei, die Sasha Waltz mit gegründet hat. Die hatte schon am Dienstag einen ehrenvollen Auftritt, beim Hoffest des Bürgermeisters Klaus Wowereit im Roten Rathaus. Dass er dem Haus gewogen ist, weiß man, und dass in seiner Amtszeit als Kultursenator die Förderung des Tanzes weiter groß geschrieben wird, ahnt man auch.

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